Newcomer in Deutschland: Realtech AG

Systemhaus will aus dem Schatten der SAP treten

23.04.1999
Von Andrea Goder* WALLDORF - Mit der Realtech AG feiert Ende April ein weiterer vermeintlicher Wachstumswert seine Premiere am Neuen Markt. Bei dem auf R/3-Implementierung und -Betrieb spezialisierten Systemhaus steht und fällt jedoch noch alles mit dem Produkt des Walldorfer Softwareriesen - kein Wunder angesichts der Vita der Firmengründer. In Zukunft soll verstärkt der Aufbau eigener Geschäftsfelder forciert werden.

"In den USA würde man das einen Garagenstart nennen", erinnert sich Markus Adam an das Jahr 1994, als er gemeinsam mit Daniele Di Croce, Rainer Schmidt und Peter Stier in unmittelbarer Nähe zum SAP-Stammhaus die Realtech AG gründete. In der Beratung und technischen Unterstützung von Kunden bei der Implementierung von R/3 erkannten die vier ehemaligen SAP-Mitarbeiter eine "riesige" Marktlücke. "Um technologische Zusammenhänge hat sich damals außer der SAP kaum ein anderes Systemhaus gekümmert. Vor allem mit R/3 unter Windows NT hatten viele Anwender Probleme, begründet Adam die Entscheidung, dem früheren Arbeitgeber den Rücken zu kehren. Heute, fünf Jahre später, sieht der Markt bekanntlich etwas anders aus.

Der Sprung in die Selbständigkeit hat sich indes bezahlt gemacht. Denn das SAP-Beratungshaus arbeitete nicht nur von Anfang an profitabel, auch die Umsatzzahlen wuchsen von Beginn an kräftig. Mit 33,7 Millionen Mark konnte Realtech im zurückliegenden Geschäftsjahr die Einnahmen gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppeln. Auch beim Gewinn legten die Newcomer 1998 mit 5,5 Millionen Mark im Vergleich zum Vorjahr um 100 Prozent zu.

Stolz ist die junge Vorstands-Crew, deren Alter zwischen 32 und 36 Jahren liegt, aber vor allem auf eines: Das bisherige Wachstum wurde ausschließlich aus eigenen Mitteln finanziert. Und was da im Laufe von nur wenigen Jahren ohne Bankkredite und Venture-Capital auf die Beine gestellt wurde, kann sich sehen lassen. Getreu dem Motto "Follow the Customer", also im Prinzip der SAP, zeigt Realtech heute mit 230 Mitarbeitern weltweit in wichtigen Märkten und Regionen Flagge, etwa in den USA, Australien, Neuseeland, Singapur, Italien, Großbritannien und seit kurzem auch in Spanien. Bereits heute stammt die Hälfte der Einnahmen aus dem Auslandsgeschäft, in Zukunft soll dieser Anteil Vorstandssprecher Adam zufolge "deutlich höher liegen".

Um den nächsten Wachstumsschub finanzieren zu können, wollen die vier Gründer und Vorstände, deren Anteil am Unternehmen nach dem IPO immer noch bei über 70 Prozent liegen wird, nun an der Börse Kapital sammeln. "Unser Ziel ist es, in den nächsten Jahren flächendeckend in den wichtigsten SAP-Märkten vertreten zu sein", skizziert Adam die Marschrichtung. Konkret sind 20 bis 25 Tochtergesellschaften an 30 bis 40 internationalen Standorten geplant. Parallel zur internationalen Expansion planen die "kleinen" Walldorfer in Deutschland neben einem bereits bestehenden Standort in Ratingen weitere Niederlassungen in Hamburg und München zu eröffnen.

Wie sieht nun aber das Wettbewerbsumfeld der Newcomer aus? 95 Prozent ihres Umsatzes erzielt die Realtech AG mit der Beratung und Unterstützung ihrer Kunden in Sachen Konzeption, Einführung und Betrieb von R/3. Dazu gehört neben der reinen Software-Installation auch die Projektkoordination sowie die, wenn gewünscht, langfristige Betreuung des produktiven Systems. Ein Portfolio also, das, wie eingangs erwähnt, heuzutage nicht mehr unbedingt ein Alleinstellungsmerkmal garantiert. Offensichtlich haben aber die Jungunternehmer mehr "Drive" als so manch anderes R/3-Systemhaus. Noch hält sich die Zahl der Konkurrenten laut Adam "in einem überschaubaren Rahmen" - was durchaus wörtlich gemeint ist, denn viele im SAP-Umfeld angesiedelte Unternehmen suchen wie Realtech die geografische Nähe zum Softwaregiganten. Und das wiederum heißt nichts anderes, als daß der Kampf um Marktanteile quasi vor der eigenen Tür beginnt. So bieten die mit eigenen Kompetenz-Centern in Walldorf vertretenen großen Hardwarehersteller ebenfalls technische Services für R/3-Lösungen an. In diesem Marktsegment mischen außerdem die IBM-Tochter Sercon und Compunet mit. Stärkster Wettbewerber von Realtech ist jedoch natürlich immer noch die SAP selbst.

Trotz der geplanten weiteren Expansion im R/3-Geschäft wollen die Realtech-Gründer in Zukunft aus dem Schatten ihres großen Nachbarn heraustreten. Zur Strategie gehört deshalb auch der Ausbau anderer Beratungskompetenzen, etwa im Bereich Internet. Zu diesem Zweck schlossen die Walldorfer erst vor kurzem eine Kooperation mit Intershop Communications. "E-Commerce-Lösungen an ein R/3-System zu koppeln ist nur ein Beispiel für mögliche Internet-Projekte", verdeutlicht Realtech-Chef Adam das seiner Ansicht nach zukunftsweisende Konzept. Um diese Aktivitäten zu verstärken, beteiligte sich Realtech vor kurzem am Internet-Service-Provider Topnet, der inzwischen von Mobilcom übernommen wurde.

Während im Bereich E-Business weiterhin die Pojektarbeit im Mittelpunkt stehen dürfte, wollen die Walldorfer auf der SAP-Schiene vor allem die Entwicklung eigener Software forcieren. "Interessant sind für uns besonders die Themen RZ-Automatisierung und Datenadministration", so der Vorstandschef. Zur schon vorhandenen Produktpalette gehören das Applikations-Management-Tool "The Guard", das Fehler bei einem laufenden R/3-System, der darunterliegenden Datenbank, der Hardware und des Betriebssystems anzeigt, beziehungsweise der "Transport Manager", ein Programm, das den Angaben zufolge den freien Transport von Objekten innerhalb eines R/3-Systems gewährleistet. Die Automatisierung von Verwaltungsaufgaben, die Verteilung von Objekten sowie die komplexe Systemüberwachung lassen sich mit den SAP-Standard-Tools nicht oder nur mühsam unter großem Zeit- und damit auch Kostenaufwand lösen, werfen die Realtech-Gründer in ihrem Firmenprospekt der früheren "Mutter" den Fehdehandschuh hin.

Auch der Ausbau dieser Geschäftsfelder und damit teilweise Abkopplung vom reinen R/3-Geschäft sollen durch den Börsengang beschleunigt werden. Bedenken, daß die schlechte Performance der SAP-Aktie, die zur Zeit das Dax-Schlußlicht bildet, dem eigenen IPO abträglich sein könnte, hat Adam nicht. Wie der SAP-Vorstand begründet auch der Realtech-Frontmann die Ertragsschwäche des ERP-Riesen mit einem "Investitionsstau", der durch Jahr-2000-Projekte ausgelöst wurde und im übrigen absehbar gewesen sei. "Spätestens ab dem dritten Quartal 1999 werden Firmen wieder vermehrt in R/3-Projekte einsteigen", zeigt er sich überzeugt. Kritikern versucht Adam zudem mit dem Argument Wind aus den Segeln zu nehmen, daß sein Unternehmem nicht vom Neugeschäft der SAP abhängig sei. Daß der R/3-Beratungs- und -Servicemarkt auch weiterhin ein enormes Potential birgt, ist unter Branchenkennern ohnehin unumstritten.

*Andrea Goder ist freie Journalistin in München.

Abb: Ordentliche Bilanz: Von Beginn an schrieben die "kleinen" Walldorfer schwarze Zahlen - entsprechendes Wachstum inklusive. Quelle: Realtech