Standardsoftware/ERP und Workflow - Verbindung zweier Welten

Systematisch Luft gemacht: Ventilatoren einfacher bauen mit Workflow

05.11.1999
Kundenspezifischer Maschinenbau bedingt aufwendigen internen und externen Informationsfluß. Ziehl-Abegg, Hersteller von Ventilatoren für unterschiedliche Branchen, nutzt seit Einführung eines unternehmensweiten ERP-Systems intensiv die Workflow-Komponente - auch in den Produktionsbereichen. Die interne Kommunikation wird dadurch einfacher und sicherer, hat Alfred Göttel* festgestellt.

Workflow sollte mehr sein als das Weiterreichen von Dokumenten. Richtig organisiert und mit Automatismen versehen, lassen sich Vorgänge auch in komplexen Entscheidungsnetzwerken schneller und sicherer abarbeiten. Leistungsfähige Workflow-Systeme können voneinander abhängige Arbeitsfolgen und paralleles Bearbeiten eines Vorgangs von mehreren Personen oder Abteilungen steuern. Dazu müssen die Systeme alle üblichen Bearbeitungsvorgänge unterstützen, Informationen an betroffene Mitarbeiter verteilen und für korrektes und termingerechtes Abarbeiten der Aufgaben sorgen. Dabei dürfen die Vorgaben das individuelle, flexible Handhaben einzelner Vorgänge und Abläufe nicht einschränken.

Dieser Idealzustand läßt sich selbst in reinen Verwaltungen nur selten realisieren. In heterogenen Umgebungen wie bei Ziehl-Abegg, mit Produktions- und Konstruktionsabteilungen, sind überzeugende Workflow-Lösungen die große Ausnahme.

Streng strukturierte Abläufe von der Angebotsphase über die Fertigung bis zum Ersatzteilservice kann man in jeder Phase von der Informationstechnologie unterstützen lassen. Selektiv zugeordnete Informationen und vordefinierte Vorgangsketten vermindern Reibungsverluste zwischen den beteiligten Personen und Abteilungen. Doppelarbeiten oder das unbeabsichtigte Überschreiten von Terminen werden vermieden. Die Unternehmensorganisation gestaltet sich transparent, bis zu jedem Betriebsauftrag und bis hinunter auf Arbeitsplatzebene.

Vor allem in heterogenen Umfeldern mit ihren extremen Unterschieden in Arbeitsweisen und Informationsflüssen sind solche Vorstellungen üblicherweise eher Wunsch als Wirklichkeit. Die üblichen PPS- und ERP-Systeme meistern viele Aufgaben recht gut. Kapazitätsplanungen, Einkauf oder Vertrieb funktionieren in modernen Systemen mehr oder minder. Es fehlt jedoch in aller Regel das wirklich integrierte Arbeiten der Abteilungen.

1300 Mitarbeiter an vier Standorten

Um nicht bei jedem Auftrag "das Rad neu zu erfinden" begann Ziehl-Abegg bereits 1994 damit, ein ERP-System einzuführen, das die Abläufe eines Kleinserienfertigers unterstützen kann. Ziehl-Abegg entwickelt, produziert und vertreibt weltweit Ventilatoren für den industriellen Einsatz sowie Motoren und Regelgeräte. Rund 1300 Mitarbeiter fertigen an drei Standorten in Deutschland und in einer Fabrik in Ungarn. Das Vertriebsnetz umspannt inzwischen 30 Niederlassungen weltweit. Etwa 270 Millionen Mark Umsatz werden für 1999 erwartet.

Den größten Umsatzanteil erwirtschaftet der Bereich Lufttechnik mit Axial- und Radialventilatoren, Querstromgebläsen, Groß-Axialventilatoren und Außenläufer-Motoren. Weitere Umsatzanteile erwirtschaften Motoren für Logistikeinrichtungen wie Aufzüge, Krane, Regalbediengeräte und für die Offshore-Technik. Dazu kommt als dritter Geschäftsbereich ein Spektrum der Regelungstechnik.

Üblicherweise sind die Produkte sehr kundenspezifisch zugeschnitten. Überwiegend fertigt Ziehl-Abegg kleine Serien. Typische Stückzahlen liegen, je nach Produkttyp, bei 20 bis 25. Aber auch Einzelstücke und Serien von mehreren hundert zählen zu den gängigen Auftragsvolumen. Der extreme Variantenreichtum und die Vielzahl der Kunden führt zu hohem Aufwand in der Verwaltung der erforderlichen Produktionsunterlagen. Bei derzeit etwa 7500 aktiven Kunden und 5000 Lieferanten aus allen Teilen der Welt muß das Unternehmen 150000 Teilestämme, 700000 Stücklistenpositionen und 600000 Arbeitsplanpositionen verwalten. Es gibt 250 Kosten- und Kapazitätsstellen, die es möglichst optimal auszulasten gilt.

10000 Kundenaufträge pro Jahr ergeben etwa 120000 Fertigungsaufträge, von denen sich durchschnittlich 18000 ständig in Überwachung befinden. 360000 Lohnscheine sind per anno abzurechnen, 1,2 Millionen Materialbuchungen an 90 Lagerorten zu tätigen und für Einkauf, Produktion und Finanzbuchhaltung nachvollziehbar zu verwalten.

Damit Ziehl-Abegg angesichts dieser Zahlen nicht in einem Wust von Papier "absäuft" und möglichst geringe Durchlaufzeiten erreicht, bedarf es einer ausgeklügelten Organisation. Das Unternehmen entschloß sich bereits 1994 zur Einführung eines ERP-Systems in mehreren Schritten, das den Arbeitsfluß weitgehend unterstützt, dabei aber flexibel bleibt. Zudem sollten Hard- und Software dem neuesten Stand entsprechen und damit langfristig ausbaufähig sein.

Man entschied sich für das damals noch in der Entwicklung stehende System "Pro Alpha" der Ernst Informatik aus Weilerbach. Struktur und Kern sowie einige Module des Programms waren damals fertig programmiert und getestet. Ziehl-Abegg startete mit dem Basisprogramm und dem Modul Vertrieb. Es folgten Einkauf, Controlling, Materialwirtschaft und Produktionssteuerung. Als letzte Module nahmen Ende 1996 Anlagenbuchhaltung und Finanzbuchhaltung den Echtbetrieb auf. Das neuentwickelte, integrierte DMS-Modul führt Ziehl-Abegg derzeit ein. Daneben arbeitet das Unternehmen mit dem CAD-System "Procad", dem CAM-Programm "CAM Strim 100" sowie der gesamten Office-Familie von Microsoft. Weitere Software für die Qualitätssicherung und andere Bereiche ist im Einsatz.

Heute dreht sich die gesamte Unternehmensorganisation um das zentrale ERP-System. Es bildet alle relevanten Vorgänge ab, Fremdsysteme wie Qualitätssicherung und Versandabwicklung sind über Schnittstellen angebunden. Über rund 350 PC-Arbeitsplätze verfügt Ziehl-Abegg. Alle können auf Pro Alpha zugreifen. 450 User sind mit ihren Berechtigungen angelegt. Durchschnittlich haben sich 250 bis 280 User gleichzeitig im System angemeldet.

Ein typischer Auftrag läuft heute so ab, daß Anfragen und Aufträge über den Außendienst oder direkt über den internen Vertrieb eintreffen. Die Außendienstler geben ihre Kundenanfragen und Bestellungen per Mail oder Fax an den Vertriebs-Innendienst zur Angebots- beziehungsweise Auftragserfassung. Entscheidende Hilfe bei der Angebotserstellung bieten die Sachmerkmalleisten. Anhand der Kundenwünsche lassen sich die benötigten Komponenten mit allen Leistungsdaten trotz des extrem großen Artikelstamms sicher aufspüren. Das verhindert Doppelarbeit.

Bei komplexen Baugruppen mit kundenspezifischem Konstruktions- und Fertigungsaufwand erhält die Konstruktionsabteilung die Anfrage per Mail mit der Bitte um technische Klärung. Die Konstruktionsabteilung fügt entsprechende Daten ein und gibt die Anfrage zurück.

Aus Zukaufsteilen, die mit Preisen im System hinterlegt sind, und den spezifischen Angaben erzeugt der Vertrieb ein standardisiertes Angebot. Bestellt der Kunde entsprechend dem Angebot, reicht der Vertrieb den Kundenauftrag an die Disposition zur Einbeziehung in die Fertigungsplanung weiter. Hier kann anschließend ein voraussichtlicher Liefertermin zugesagt werden.

Die Disposition nutzt hierbei die Möglichkeit, über gesetzte Vorgangsketten mehrere Programmfunktionen automatisiert ablaufen zu lassen. Infolge der kurzen Durchlaufzeit bei der Auftragsbearbeitung kann der Vertrieb oft noch am selben Tag, spätestens am Tag nach dem Auftragseingang, die Auftragsbestätigung an den Kunden generieren. Parallel erhält der zuständige Sachbearbeiter in der Materialwirtschaft nach Freigabe durch die Disposition die Bestellvorschläge geroutet, aus denen die Bestellungen für die erforderlichen Materialien und Zukaufteile generiert wer- den.

Als wertvolle Verbindung hat sich das Zusammenwirken von Workflow und Sachmerkmalleisten erwiesen. Über ausgefeilte Suchfunktionen lassen sich bereits bestehende Produkte und Baugruppen finden. Dadurch wächst der schon sehr große Artikelstamm nicht unnötig weiter.

Auch die Qualitätssicherung ist in den Workflow eingebunden. Beim Anlegen einer neuen Baugruppe erhält ein Mitarbeiter der Qualitätssicherung automatisch die Aufgabe, einen Prüfplan zu entwickeln und ins Netz zu stellen. Beginnt der Arbeiter mit der Teilefertigung, erhält er mit den Fertigungsunterlagen automatisch auch den Prüfplan. Nach Freigabe des Produktionsauftrages wird dann über ein Schnittstelle automatisch der zugehörige Prüfauftrag im CAQ-System (Computer Aided Quality Control) generiert und zur Verfügung gestellt.

Welchem Sachbearbeiter welcher Abteilung welche Aufgaben zugeteilt werden, ist im System hinterlegt. Für bestimmte Produkte und Produktgruppen sind Verteiler definiert, die sich jederzeit ändern lassen. Die Mitarbeiter bekommen abzuarbeitende Tätigkeiten auf den Aktivitätenmonitor gespielt. So erkennt das System beispielsweise bei der Teilestamm-Neuanlage, welche Abteilungen einzubinden oder zu informieren sind. Bei eigengefertigten Teilen muß der Konstrukteur die Stückliste pflegen und die Arbeitsvorbereitung erhält die Aufgabe, einen Arbeitsplan zu erstellen. Die Disposition wird informiert, die Materialwirtschafts-Daten und Lagerorte zu pflegen, bei Kaufteilen muß zusätzlich die Materialwirtschaft die Einkaufsdaten definieren. Auch die Bereiche Qualitätssicherung zur Prüfplanerstellung, der Vertrieb zur Pflege der Vertriebsdaten oder die Finanzbuchhaltung zur Erstellung der Kalkulation können in die Arbeit einbezogen sein. Besonderer Komfort hierbei: Beim Erledigen ihrer Pflichten landen die Sachbearbeiter automatisch im richtigen Programm mit dem voreingestellten Datensatz.

Seit Anfang des Jahres lassen sich bei der Informationsverteilung auch Abhängigkeiten zwischen Abläufen berücksichtigen. So bekommt beispielsweise die Finanzbuchhaltung ihren Auftrag "Erstellung der Kalkulation" erst in den Aktivitätenmonitor gestellt, wenn die Stückliste und der Arbeitsplan vorliegen, da frühestens zu diesem Zeitpunkt eine Kalkulation möglich ist.

Für individuelle, nicht in Prozeßketten definierten Anforderungen kann jeder Mitarbeiter Aktivitäten bilden, an einen oder mehrere Kollegen senden und mit einem spätesten Bearbeitungstermin versehen. Diese individuelle Vorgehensweise eignet sich beispielsweise zur Abwicklung des Änderungswesens.

Jede Änderung und jeder Speichervorgang werden protokolliert. Dabei hat der Anwender die Möglichkeit, individuellen Text zu hinterlegen, um bestimmte Vorgänge zu erklären. Damit ergibt sich ein transparentes Informationssystem, das für jeden Vorgang und jede Abteilung, eventuell für einzelne Arbeitsplätze, detaillierte Informationen zum Stand aller Aktivitäten bietet.

Dieses System ermöglicht es auch, Stellvertreter-Regelungen eindeutig und nachvollziehbar zu definieren. Wer seinen Arbeitsplatz nicht besetzt, beispielsweise bei Urlaub oder Krankheit, muß einen Stellvertreter benennen, der sich dann auf den Aktivitätenmonitor des abwesenden Kollegen schalten kann.

Damit das System eine gewisse Flexibilität bekommt, dürfen einzelne Aktivitäten auch manuell weitergeleitet werden. Ist ein Mitarbeiter überlastet oder fehlen ihm Informationen, kann er Aufgaben an einen Kollegen weitergeben. Auch solche Vorgänge werden automatisch protokolliert.

Das systematische Bearbeiten von Reklamationen vergessen viele Unternehmen. Es ist aber sehr wichtig, wenn man die Abläufe im Unternehmen kontinuierlich verbessern will. Die hieraus erkennbaren Rückschlüsse auf Schwachstellen im Unternehmen - oder auch auf "problematische" Kunden - müssen in den Workflow integriert werden. Ziehl-Abegg erfaßt alle Reklamationen und stellt sie in Excel-Tabellen als monatliche Qualitätsberichte zusammen. Automatisch erhalten die QS-Abteilungen betroffener Werksbereiche bei Anlage einer Kundenbeanstandung den Auftrag in ihren Aktivitätenmonitor gestellt, Fehler und ihre Ursachen zu analysieren. Service-Techniker und QS-Mitarbeiter schlüsseln die Fehler und deren Ursachen auf und geben Hinweise für Verbesserungen.

Parallel dazu bekommt der dem jeweiligen Kunden zugeordnete Vertriebssachbearbeiter Informationen über die Reklamation. Angedacht ist bereits der nächste Schritt: Das Auslösen eines Nacharbeitsauftrags oder einer Neuanfertigung direkt aus dem Reklamationsmodul, quasi die Auftragsgenerierung vom Ende der Ablaufkette aus.

Workflow läßt sich in produzierenden Unternehmen weitaus schwieriger realisieren als bei üblichen, eher verwaltenden Aktivitäten in reinen Büroumgebungen. Die Fülle von Einflußfaktoren, die sehr unterschiedlichen Arbeitsweisen sowie Ansprüche von Vertrieb, Konstruktion, Produktion und anderen Unternehmensbereichen sind nur schwer unter einen Hut zu bringen. Eine weitere Hürde bilden die unterschiedlichen informationstechnischen Strukturen.

*Alfred Göttel ist Quality Manager und Leiter Organisation/Datenverarbeitung der Ziehl-Abegg & Co. KG in Künzelsau.