Verteilung und Middleware gegen den Universal Server

Sybase: Wir sind nicht weg vom Fenster

21.03.1997

CW: Ist Sybase tatsächlich weg vom Fenster?

Rosenhagen: Ellison widerlegt sich ja schon selbst, wenn er weiter hinten in dem CW-Artikel einräumt, daß Sybase einen Marktanteil von 17 Prozent hat und damit immerhin vor Informix liegt. Bei solchen Zahlen kann man nicht davon sprechen, daß wir weg vom Fenster seien.

CW: Nur ist bei Sybase der Marktanteil rückläufig.

Rosenhagen: Bis Mitte 1996 hat der Umsatz tatsächlich zu wünschen übrig gelassen. Wir haben aber im zweiten Halbjahr 1996 an Boden gewonnen. Das lag an der Freigabe der Version 11 des "SQL Server".

CW: Sie hatten große Probleme mit der Version 10...

Rosenhagen: Ja, sie hat unsere Erwartungen nicht erfüllt. Das Produkt ist zu früh auf den Markt gekommen, war technisch unreif. Vor allem haben die Kunden aber die mangelnde Skalierbakeit und die schlechte Leistung auf Multiprozessor-Systemen moniert.

CW: Ist Sybase hier nicht hoffnungslos in Verzug geraten? Schließlich wirbt Oracle schon seit 1993 mit Multiprozessor-Unterstützung.

Rosenhagen: Selbst heute verfügen die meisten Anwender noch nicht über Systeme mit mehr als acht Prozessoren, schon gar nicht 1993. Bei vier bis acht Prozessoren kann unsere Version 10 durchaus mit Oracle mithalten. Ich warne vor solchem Marketing-Nebel.

CW: Worin liegt Ihrer Meinung nach das Problem?

Rosenhagen: Wir sind von Anfang an ein Client-Server-Systemhaus gewesen. Wir haben daher in den späten 80er Jahren voll auf Verteilung gesetzt. Marketing-mäßig haben das auch unsere Konkurrenten getan, aber bald gemerkt, daß das technisch sehr schwierig ist. In der Folge haben sie unter Unix die herkömmlichen zentralen Strukturen nachgebaut.

CW: Da kam das Data-Warehouse mit dem Konzept, verteilte Informationen in einem System zu sammeln und aufzubereiten, gerade recht...

Rosenhagen: Unser Standpunkt war hier, daß der Kunde das tun können soll, was er will, und dazu gehört natürlich auch verteilte Datenhaltung. Darin liegt unserer Stärke, und dafür haben wir unsere Middleware und unseren Replikationsmechanismus entwickelt.

CW: Der Datenbankanbieter Sybase hat sich in den vergangenen Jahren mit Powersoft als Tool-Anbieter versucht, sich aber gleichzeitig als Middleware-Spezialist positioniert. Wo steht das Unternehmen eigentlich?

Rosenhagen: Wir sind ein Technologielieferant für offene verteilte Systeme. Das heißt, daß wir dafür sorgen, daß sich jedes beliebige Tool, jede Anwendung in verteilten oder nicht verteilten Umgebungen mit seinem Counterpart, dem Datenbanksystem oder Applikations-Server, verständigen kann. Es geht darum, den Anwendern die Freiheit zu lassen, das zu machen was sie wollen.

CW: Das klingt nach Marketing. Womit machen Sie Ihr Geschäft?

Rosenhagen: Mit 50 Prozent des Lizenzumsatzes dominiert der Datenbankanteil. Der Schlüssel zu unseren strategischen Zielen liegt aber in der Middle- ware, wo 20 bis 25 Prozent erwirtschaftet werden. Der Rest kommt von den Tools, insbesondere von Powersoft.

CW: Es sieht so aus, als hätten sie zugunsten dieser Diversifizierung Ihre Datenbank vernachlässigt. Zum Beispiel ist das alte Problem des Locking-Mechanismus nie gelöst worden, so daß der SQL Server für das lukrative R/3-Geschäft nicht in Frage kommt.

Rosenhagen: Von der Datenbank her gibt es keinen zwingenden Grund, das Verfahren zu ändern. Deshalb haben wir versäumt, das inzwischen gebräuchliche Row-Level-Locking* einzuführen, als die Mitbewerber das in den 90er Jahren taten.

CW: Warum?

Rosenhagen: Wir denken nach wie vor, daß unser Verfahren das effizientere ist - insbesondere im typischen Transaktionbetrieb. Allerdings können wir uns der Tatsache nicht mehr verschließen, daß viele Anwender, aber auch Softwarehersteller wie SAP ihre Programme so gestalten, daß sie mit dem Row-Level-Locking besser zurechtkommen.

CW: Heißt das, daß Ihr nächstes Produkt-Release Row-Level-Locking haben wird?

Rosenhagen: Sie werden in diesem Jahr noch mehr darüber hören.

CW: Ein weiteres Problem ist, daß Ihre Datenbank tief in das Betriebssystem eingreift.

Rosenhagen: Das hat seinen Ursprung darin, daß wir zu einer Zeit Multithreading eingeführt haben, als das noch keine selbstverständliche Betriebssystem-Funktion war. Das hat uns einen Leistungsvorsprung gegenüber Oracle, Informix und Co. in Multiuser-Umgebungen gebracht...

CW: Wurde aber dann zum Klotz am Bein . . .

Rosenhagen: Richtig. Daraus erklärt sich unser Skalierungsproblem in Multiprozessor-Umgebungen. Diese Schwierigkeit haben wir mit der Version 11 behoben.

CW: Sie lösen jetzt alte Probleme, haben darüber aber offensichtlich Trends wie Multiprocessing, Data-Warehousing und neuerdings den objektrelationalen Ansatz verschlafen.

Rosenhagen: Lassen Sie mich das objektrelatione Konzept kommentieren. Die Kunden wollen im Web-Zeitalter auf beliebige Informationen zugreifen und damit möglicherweise Transaktionen durchführen. Sie sind aber nicht bereit, auf Leistung zu verzichten.

CW: Wollen Sie damit andeuten, daß sie immer noch an dem Sybase-Statement festhalten, wonach Informix das "Universal-Server"-Projekt nicht stemmen kann, weil die Ziele unrealistisch sind?

Rosenhagen: Im Kern ist unsere Aussage immer noch richtig. Mit objektrelationalen Datenbanken soll sich jegliche Art von Information in einer einzigen Datenbank speichern lassen, daher die Bezeichnung Universal Server. Dieser Ansatz ist nach wie vor unrealistisch.

CW: Warum?

Rosenhagen: Die Anwender wollen im Zeitalter des Web einen schnellen und einfachen Zugriff auf verschiedene Datenarten. Es geht dabei um strukturierte Informationen, wie man sie üblicherweise in Datenbanken verwendet, Textdaten, Spezialdaten wie räumliche Koordinaten oder Zeitreihen und Multimedia-Daten. Wie sie gespeichert sind, kann dem Benutzer gleichgültig sein. Tatsächlich wird genau das schon bei einer ganzen Reihe von Anwendern realisiert - und zwar ganz ohne Universal Server.

CW: Fachleute sagen, daß objektorientierte oder gar die aus der Mode gekommenen hierarchischen Datenbanken für das Speichern von Web-Objekten weit geeigneter seien als relationale Systeme . . .

Rosenhagen: Richtig. Es geht nicht darum, welche Technik die einzig seligmachende ist. Jede Technik zeigt ihre Stärke bei einer anderen Aufgabe. Es geht daher vor allem um die Integration der verschiedenen Techniken in die Browser, die Anwendungen. Es geht um Datenkonsistenz und Replikation. Hier spielen Middleware-Standards wie Corba oder Active X eine wesentliche Rolle. In einer verteilten Umgebung reduziert sich die Rolle der Datenbank auf die Rollen von Quell- und Zielsystemen für solche Funktionen.

CW: Ein anderes Mittel ist, die Daten mit einem einzigen Produkt, eben dem Universal Server, zu integrieren.

Rosenhagen: Das Ziel, alle Aufgaben mit einer Datenbank zu lösen, ist grundsätzlich eine Illusion. Was nun die verschiedenen Datentypen betrifft, so versucht Informix, die entsprechenden Funktionen in den Datenbankkern zu implementieren. Wir klinken sie lediglich ein. Der Unterschied liegt darin, daß bei uns jeder Datentyp mit einer eigenen spezialisierten Engine verwaltet wird, während es beim Universal Server nur ein Datenbanksystem für alle Informationsformen gibt. Die Leistungsfähigkeit resultiert dann aus den Zugriffstechniken, aus der Middleware.

CW: Nun argumentiert Informix, daß gerade die indirekten Verfahren der Konkurrenten Performance-Einbußen zur Folge hätten . . .

Rosenhagen: Ich will hier nicht polemisieren. Vielleicht existieren Konstellationen, in denen unsere Lösung langsamer ist, aber unserer Meinung nach gibt es viel mehr Aufgaben, bei denen wir im Vorteil sind. Ferner hat selbst Informix-Manager Rich Finkelstein eingeräumt, daß Performance nicht das Hauptanliegen bei der Entwicklung des Universal Server sei. Außerdem ist der gewaltige Aufwand risikoreich, die Datenbank-Kernels von Illustra und Informix nicht nur zu verschmelzen, sondern darüber hinaus auch durch Datablades aufzubohren. Das gilt insbesondere für das Leistungsverhalten.

CW: Das heißt, daß Sie das Verfahren von Informix durchaus für gangbar halten . . .

Rosenhagen: Wir halten unseren Weg für leistungfähiger und vor allem stabiler und zuverlässiger. Außerdem sollte man darauf hinweisen, daß sich der Universal Server von Informix noch bewähren muß, und ein "Oracle 8" - wie immer es aussehen mag - noch nicht lieferbar ist. Hier wird von Anbietern durch Marketing eine Nebelwand aufgebaut. Ich sage das auch mit einem Quentchen Selbstkritik.

CW: Verstehe ich richtig, daß Sie sich über das bessere Marketing der Konkurrenten beklagen?

Sybase: Marketing ist notwendig, um die Produkte zu positionieren. Aber ich kann die Anwender nur dazu auffordern, sich nicht an Trends und vermeintlichen Markt- und Technologieführern zu orientieren, sondern an ihren konkreten Anforderungen. Und da geht es eben eher um funktionierende Datenverbindung zwischen Notebook und Mainframe oder um performante Massentransaktionen. Das ist dann wieder die Middleware-Aufgabe.