Manöverkritik anläßlich eines Gipfeltreffens in München

SW-Gurus: Methodeneinsatz weiterhin in den Kinderschuhen

22.05.1992

MÜNCHEN (qua) - Alles andere als zimperlich sprang Michael Jackson, Erfinder des Jackson Structured Programming (JSP), mit seiner Zunft am: "Adäquate Methoden gibt es noch nicht; das gesamte Software-Busineß ist extrem unreif", konstatierte er auf der Konferenz "Methoden 92", zu der der Decollege-Zweig der Digital Equipment GmbH und das Systemhaus GEI ein halbes Dutzend CASE-Experten nach München eingeladen hatten.

Jackson Beweisführung war so simpel wie treffend: "Warum sitzen wir in dieser Konferenz", fragte der Geschäftsführer der Michael Jackson Ltd., London seine Zuhörer und lieferte prompt die Anwort: Im Gegensatz zu anderen Ingenieuren reden Software-Entwickler nur darüber, wie etwas herzustellen sei, und nicht darüber, was sie herstellen wollen.

Auch Paul Ward, Prinzipal des New Yorker Beratungsunternehmens Software Development Concepts, zog negative Bilanz: Nach 25 Jahren Designmethoden und anderthalb Dekaden Analysemethoden seien die Entwickler in den meisten Unternehmen immer noch weit davon entfernt, methodisch vorzugehen. Die Ursache dafür liege zum großen Teil in den Methodenwerkzeugen, die viel zuviel Aufmerksamkeit beanspruchten: "Wir brauchen Tools, die für die Anwender so transparent sind wie beispielsweise ein Spreadsheet", forderte der CASE-Berater.

Ein Lanze für den Einsatz von Methodenwerkzeugen brach hingegen Imtiaz Pirbhai, Leiter der Beratungsunternehmens Systems Methods mit Sitz in Seattle, Washington, und Mitbegründer der Hatley/Pirbhai-Methode zur Entwicklung von Echtzeitsystemen: Zwar seien weder Methoden noch Werkzeuge perfekt, aber die Anwendung einer Methode bedürfe nun einmal der Unterstützung durch Tools. Sein Rat an das Auditorium wirkte eher ernüchternd: "Schrauben Sie ihre Erwartung herunter."

Vor einem unbefangenen Einsatz von Werkzeugen warnte der Erfinder des Entity-Relationship-Ansatzes (ER), Peter Chen: "Ein CASE-Tool kann nur helfen, wenn Sie die zugrundeliegende Methode kennen", gab der ER-Papst zu bedenken. "Ansonsten verschlimmert es die Sache."

Laut Chen liegt eine der Hauptschwierigkeiten des Software-Engineering darin begründet, daß es keine theoretischen Grundlagen für die Integration verschiedener Techniken gibt. Ähnlich dachte offenbar auch Jackson, als er klagte: "Das Problem ist, daß die Methoden nicht kombiniert werden können, weshalb sich der Anwender zwischen ihnen entscheiden muß."

Für Carma McClure, Spezialistin für Unternehmensmodelle und Vice-President of Research beim Consulting-Unternehmen Extended Intelligence in Chicago, läßt sich dieses Problem jedoch lösen, und zwar mit Hilfe von Standards.

Es spiele überhaupt keine Rolle, welche Methode eingesetzt werde, behauptete die Beraterin, wenn es nur möglich sei, eine Methode auf der anderen abzubilden. Zu standardisieren sei zumindest die Art und Weise, in der Prozesse repräsentiert würden.

Hier stieß die CASE-Expertin jedoch auf vehementen Widerspruch: Nach Jacksons Ansicht ist es für eine solche Normierung noch zu früh: "Niemand hat die leiseste Idee, wie ein Metamodell aussehen sollte", schimpfte der Brite. Zum jetzigen Zeitpunkt einen Standard festzuschreiben, sei ungefähr so als wäre seinerzeit die IBM-Programmiersprache PL/1 zur Norm erhoben worden.

Schützenhilfe erhielt Jackson von Bertrand Meyer, Präsident des kalifornischen Unternehmens Interactive Software Engineering, Santa Barbara, und Entwickler der Programmiersprache Eiffel.

"Heute wird zuerst standardisiert und dann erst nachgedacht", lautete die Einschätzung des gebürtigen Franzosen. Standards seien zwar notwendig und nützlich, doch müßten sie sich aus der Praxis entwickeln, und das sei derzeit kaum der Fall.