Supply-Chain-Monitoring: Felix Schoeller und der totale Durchblick

12.11.2007
Seine tonnenschweren Rollen aus Fotobasispapier verschickt der Hersteller auf Paletten weltweit. Hört sich einfach an …

Und irgendwie ist es das nach Abschluss des IT-Projekts auch, mit dem sich das Unternehmen am diesjährigen Wettbewerb "Anwender des Jahres" beteiligt hat. Das Geschäft der Felix Schoeller Gruppe ist im Prinzip schnell erklärt: Zuerst einmal produziert sie Fotobasis- und unter dem Namen Technocell auch Dekorpapiere. Der Hersteller veredelt das Fotopapier zudem, indem er eine Polyethylenschicht (PE) aufbringt. Dann sind die bis zu 2,7 Tonnen schweren und im Durchmesser 1,5 Meter messenden Papierrollen auch schon fertig für die Lieferung zu namhaften Kunden. Gemeinsam mit dem langjährigen Partner von Schoeller, der Firma Wilms oHG, wurden für den Versand der Papierrollen spezielle Paletten entwickelt. Diese werden bei Schoeller angeliefert, die Rollen darauf gestellt und von verschiedenen Abwicklungsspediteuren an ihre Bestimmungsorte weltweit verfrachtet. Beim Kunden angekommen, werden die Papierrollen wieder von der Palette gekippt und das Papier noch mit einer fotoempfindlichen Schicht versehen. Die Paletten sowie weitere Ladungsträger machen sich derweil allein wieder auf den Heimweg. So unspektakulär ist der Kreislauf.

Projektsteckbrief

Projektart: Supply-Chain-Monitoring

Branche: Papierherstellung

Zeitrahmen: Januar 2006 bis August 2006

Stand heute: komplett im Einsatz

Aufwand: 200.000 Euro

Produkte: Transpondergestütztes Informationssystem Tralosy, SAP, RFID-Transponder

Umfang: für Schoeller und die Partner der gesamten Supply Chain

Ziele: Kostenreduzierung und Prozessbeschleunigung

Ergebnis: Lückenlose Überwachung der gesamten Supply Chain und Kostenreduzierung realisiert

Herausforderung: Zu den Systemen der Partner und Kunden mussten diverse Schnittstellen entwickelt werden

Und das soll jetzt Anlass sein, ein IT-Projekt aufzusetzen? "Ja genau", sagen die Leute um Frank Meyer-Niehoff, Geschäftsführer der Felix Schoeller Supply Chain Technologies. Denn es wäre für alle Beteiligten interessant, wenn die komplette Supply Chain überwacht werden könnte. Wenn sich dies dann noch automatisch und ohne großen bürokratischen Aufwand realisieren ließe, wäre es noch besser. Und wenn alle dafür anfallenden Daten ebenso automatisch in die Systeme bei Schoeller und beim Kunden einfließen würden, wäre es geradezu traumhaft. Genauso regelt Schoeller heute seine Lieferkette.

Frank Meyer-Niehoff (Mitte), Horst Rademacher (rechts) und Jens Weiermann haben dank ihres Projekts den kompletten Durchblick beim Supply-Chain-Monitoring.
Frank Meyer-Niehoff (Mitte), Horst Rademacher (rechts) und Jens Weiermann haben dank ihres Projekts den kompletten Durchblick beim Supply-Chain-Monitoring.
Foto: Joachim Wendler

Für die Einführung des transpondergestützten Informationssystems gab es allerdings noch einen weiteren Grund: Das Geschäft mit einem Großkunden wurde auf Konsignationsabwicklung umgestellt. Das bedeutet, die Waren, also die Basispapierrollen, gehören zwar noch Schoeller, sie lagern aber bereits beim Kunden. "Bei solch einem Prozedere erhebt sich die Frage, wie man die Warenströme und die Verbrauchsabrechnung kontrolliert und kaufmännisch abrechnet", erklärt Meyer-Niehoff.

Old School und Avantgarde

Das gesamte System funktioniert, weil Schoeller gemeinsam mit Wilms das softwarebasierte Informationssystem "Tralosy" entwickelte, das direkt an die beteiligten SAP-Systeme bei Schoeller und dessen Kunden angebunden wurde. Die entscheidende weitere Entwicklung, die das Gesamtsystem erst möglich macht, besteht zudem aus der gemeinsamen Nutzung von Old-School- und Avantgarde-Technik: der kombinierten Nutzung von Barcode-Scannern und modernem RFID-Einleseverfahren (RFID = Radio Frequency Identification).

Die von Wilms kommenden Paletten besitzen alle einen RFID-Transpondertag mit einer eindeutigen zehnstelligen Nummerierung. Schoeller, Produzent der Basispapierrollen, deponiert diese zunächst einmal in einem Hochregallager. Auf dem Weg dahin werden eine Rohpapierrolle mit Barcode und eine Palette mit RFID-Tag zum ersten Mal verheiratet, wie es in der Branche heißt. Für den PE-Beschichtungsprozess werden Palette und Rolle noch einmal getrennt und danach ein zweites Mal verheiratet. Ab jetzt sind Palette und Papierrolle eine Einheit, die erst beim Kunden wieder getrennt wird.

Papierrollen-Barcode und RFID-Kennung sind nun in die zentrale Datenbankapplikation eingelesen. Diese systemtechnische und buchhalterische Verquickung von Palette und Rolle wird erst wieder beim Kunden gelöst, wenn der nämlich die Rolle auf einem so genannten Kippstuhl von der Palette trennt. Die Information, dass die Ehe von Palette und Papierrolle gelöst ist, wird ebenfalls automatisch und direkt am Kippstuhl wieder über eine VPN-Verbindung in die zentrale Datenbank eingelesen. So lässt sich in Echtzeit der Bestand an beim Kunden vorrätigen Papierrollen festhalten.

Unternehmen: Felix Schoeller Gruppe

Umsatz 2006: 721 Millionen Euro.

Gewinn 2006: ja, wird nicht ausgewiesen.

Anzahl Mitarbeiter 2006: zirka 2400.

Anzahl IT-Mitarbeiter 2006: 34 weltweit.

IT-Budget 2006 (ohne Abschreibungen): 3,6 Millionen Euro.

In einem nächsten Verarbeitungsschritt benetzt der Kunde die Basispapierrolle in der Gießmaschine mit einer fotoempfindlichen Schicht. Buchhalterisch für die Konsignationslagerhaltung ist nun dieser Schritt von Bedeutung. Er wird über die Schnittstelle zum SAP-System des Kunden festgehalten. "An dieser Stelle meldet der Kunde uns nämlich seinen tatsächlichen Verbrauch an Papierrollen. Hierzu liest er den Barcode, der auf der Papierrolle aufgebracht ist, und füttert sein System mit dieser Information. So wissen wir und er gleichzeitig, welche Rolle verbraucht ist", so Meyer-Niehoff. An dieser Stelle kann Schoeller nun die Papierrolle fakturieren.

Bei dieser mit IT automatisierten Verarbeitung der Lieferkette zeigt sich der große Vorteil des IT-Projekts: Es gibt keinen mühsamen Datenabgleich mit der Materialwirtschaft und vor allem mit der Finanzbuchhaltung des Kunden mehr. "Mit einem einzigen Verbrauchssignal wird sowohl die Warenwirtschaft des Kunden als auch unsere Lagerverwaltung und Logistik immer auf dem neuesten Stand gehalten, weil das SAP-System des Kunden mit unserem System gekoppelt ist", so Schoeller-Geschäftsführer und IT-Projektleiter Meyer-Niehoff. "Sein System meldet an dieser Stelle die Entnahme, also seinen Warenverbrauch, in unser System. Diese Information läuft nachts bei uns in Rechnungen hinein. Diese senden wir am nächsten Morgen wieder von unserem SAP-System in das SAP-System des Kunden."

Das System hat weitere Vorteile: Bei der fast lückenlosen Kontrolle der Paletten und Papierrollenwege kann Schoeller seinen jeweiligen Partnern zeigen, welche Schäden an Paletten wo aufgetreten sind und was die Reparaturen gekostet haben. Jens Weiermann, Manager IT-Systems bei der Wilms oHG, sagt dazu: "Ein Effekt dieser Transparenz ist, dass die Reparaturrate der Paletten von 15 Prozent auf etwa drei Prozent gesunken ist."

Netter, einträglicher Nebeneffekt

Das Projekt hat einen zwar nicht von Anfang an geplanten, nichtsdestotrotz interessanten Nebeneffekt: Supply-Chain-Monitoring und ihre IT-gestützte Realisierung lassen sich vermarkten. Deshalb hat sich die Schoeller-Geschäftsführung entschieden, hierfür eine eigene Gesellschaft zu gründen. Am 1. Juli 2007 wurde die Supply Chain Technologies GmbH & Co. KG aus der Taufe gehoben. Deren Geschäftsmodell ist es, das bei Schoeller realisierte Supply-Chain-Monitoring auch anderen Kunden anzubieten. "Auch bei dieser Gesellschaft ist Wilms oHG unser Partner", sagt Meyer-Niehoff. Zurückhaltend äußert er sich zu den Anfangserfolgen der neuen Gesellschaft, deren Geschäftsführer er und Rademacher sind. So viel kann man ihm allerdings an Information entlocken: Es gibt schon vier Kunden.

Auf diese Weise hat Felix Schoeller ein neues Geschäftsmodell kreiert. Nun will man neben dem angestammten Kerngeschäft auch anderen Firmen behilflich sein, unspektakulär scheinende Warenlieferketten völlig transparent zu machen. Ganz einfach eigentlich. Aber sehr lohnend für die Unternehmen.