Sunsoft-Manager Jim Green ueber den Middleware-Markt "Uns liegt gar nicht soviel am Vorsprung vor der Konkurrenz

15.10.1993

MUENCHEN (CW) - Mit Distributed Objects Everywhere oder kurz: "Project DOE" hat die Sunsoft Inc., Mountain View, Kalifornien, einen Object Request Broker entwickelt, der die Corba-Spezifikationen der Object Management Group (OMG) beruecksichtigt. Ueber die durch Middleware veraenderten Marktbedingungen sprach Karin Quack mit Jim Green, dem fuer Objekttechnologie zustaendigen Sunsoft-Direktor.CW: Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen einem ORB und dem, was die Open Software Foundation mit DCE definiert hat?Green: DCE ist vor allem ein Kommunikationssystem. Es setzt sich zusammen aus dem Remote Procedure Call und einem Werkzeugkasten, mit dem sich die RPCs durchfuehren lassen. Project DOE hingegen ist ein Objektsystem, das fuer die Unternehmenskommunikation erweitert wurde. Die RPC-basierten Systeme - einschliesslich unserem eigenen ONC - verlangen von den Entwicklern, dass sie im Sourcecode eine grosse Anzahl von Details programmieren. Wenn sie die Kommunikationsarchitektur spaeter auf eine andere Konfiguration ausdehen wollen, muessen sie also den Schritt zurueck machen und den Code aendern.CW: Wie ist dieses Problem in einem Objektsystem geloest?Green: Tatsaechlich gehen Project DOE und die OMG-Architektur weit ueber den Kommunikationsaspekt hinaus. Ein Objektsystem beschreibt beispielsweise exakt definierte Schnittstellen zwischen Code-Segmenten, so dass unterschiedliche Leute an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten, ja sogar in unterschiedlichen Sprachen Anwendungsteile entwickeln koennen, die dann als kooperierende Objekte miteinander arbeiten koennen.CW: Die Bezeichnung Distributed Objects Everywhere ist allerdings irrefuehrend. Bislang funktioniert DOE naemlich nur, wenn sich alle Objekte auf Maschinen von Sun Micro-systems befinden.Green: Deshalb haben wir uns ja der Object Management Group angeschlossen. Wir versuchen, einen Industriestandard zu etablieren, damit zahlreiche Anbieter dieselben Schnittstellen nutzen koennen. Der Standard selbst garantiert jedoch noch keine Interoperabilitaet zwischen unterschiedlichen Anwendern. Die Rolle der OMG besteht vielmehr darin, eine Architekturspezifikation zu schaffen. Von dieser Spezifikation leiten sich dann unterschiedliche Implementierungen ab.CW: Wozu sind diese unterschiedlichen Implementierungen notwendig?Green: Wir glauben, dass der Industriestandard Flexibilitaet bei den Implementierungen zulassen sollte, weil die Anbieter ihre Schwerpunkte auch auf unterschiedliche Dinge setzen wollen. So legt Sunsoft beispielsweise im Vergleich zu HP mehr Wert auf eine feine Granularitaet, also kleinere Objekte, zum Beispiel Spalten einer Kalkulationstabelle.CW: Aber wie lassen sich diese Unterschiede mit dem Standard in Einklang bringen?Green: Was wir jetzt tun muessen, ist, die Unterschiede in der Implementierung herauszuarbeiten und die unterschiedlichen Systeme interoperabel zu machen. Wir arbeiten daran, diese Interoperabilitaet zu foerdern. Allerdings hat die Portabilitaet derzeit eine hoehere Prioritaet als die Interoperabilitaet.CW: Weshalb ist das so?Green: Die unabhaengigen Software-Anbieter im Unix-Umfeld koennen sich nicht auf eine einzige Plattform konzentrieren. Sie wollen, dass ihre Anwendungen nicht nur auf Sun-Plattformen, sondern auch auf HP- und IBM-Rechnern laufen.CW: Was heisst das konkret?Green: Jedesmal, wenn wir eine neue Technologie einfuehren, schrecken die unabhaengigen Software-Anbieter davor zurueck, sie zu nutzen, weil dadurch die Portabilitaet ihrer Anwendungen eingeschraenkt wird. Wenn wir also wollen, dass unsere Software-Partner diese neue Technologie einsetzen, dann muessen wir sicherstellen, dass unsere Mitbewerber eine aehnliche Technologie haben wie wir. In der Tat liegt uns also gar nicht soviel an einem Vorsprung vor der Konkurrenz. Was wir wollen, ist eine bessere Implementierung auf der Grundlage derselben Programmierschnittstellen. Das gilt uebrigens auch fuer die anderen Anbieter. Wir alle sind motiviert zusammenzuarbeiten.CW: Das fuehrt aber zwangslaeufig zu einem Interessenskonflikt. Als Hardware-Anbieter duerfte ihre Konzernmutter Sun Microsystems naemlich sehr wohl daran interessiert sein, die Anwender an die eigenen Maschinen zu binden.Green: Ich bin da nicht so sicher. Ja, es sieht so aus, als waere es fuer die Anbieter eine feine Sache, wenn es ihnen gelingt, ihre Kunden an sich zu binden, wie IBM und DEC das getan haben. Tatsaechlich werden sich die Kunden das aber nicht lange gefallen lassen. Diese Strategie kann also nicht langfristig angelegt sein.CW: Wie sieht im Gegensatz dazu die Sun-Strategie aus?Green: Sun hat von Anfang an auf Offenheit gesetzt. Und wann immer wir uns vom Standard entfert hatten, korrigierten wir diesen Kurs, soweit wir konnten. Nehmen Sie beispielsweise das Windowing-System: Wir haben News erfunden, aber die Industrie entschied sich gegen News und fuer X.11. Folglich wurde X.11 in News eingeschlossen. Als Look and Feel haben wir Open Look entwickelt. Doch nach einigen Jahren stellte sich heraus, dass Motif die bevorzugte Loesung sein wuerde. Mit Hilfe der COSE-Vereinbarungen fanden wir einen Weg, Motif anzunehmen, so dass wir nun wieder ein allgemeines Set von Programmierschnittstellen unterstuezten.CW: Welche Konsequenzen hat diese Strategie fuer ihre Arbeit mit Objekttechnologie?Green: Das erste, was wir getan haben, war ein Abkommen mit Hewlett-Packard zu schliessen und so eine Zusammenarbeit in der Industrie zu erreichen. Als zweites haben wir gemeinsam mit HP einen Technologievorschlag bei der OMG eingereicht, um unsere Entwicklung dort einzubringen, wo es um offene Systeme geht.CW: De facto ist Project DOE aber auf ein Betriebssystem, naemlich Solaris, beschraenkt.Green: DOE kann fuer andere Betriebssysteme lizenziert werden - genauso wie beispielsweise ONC. Mit den Anbietern, die DOE nicht lizenzieren, sondern statt dessen etwas Eigenes entwickeln wollen - namentlich mit IBM und HP, haben wir ein "Technology Exchange Agreement" getroffen: Dieser Abmachung zufolge koennen wir gegenseitig unsere Programmierschnittstellen unterstuetzen, damit die Interoperabilitaet zwischen zwei unterschiedlichen Systemen gewaehrleistet ist.CW: Worin unterscheidet sich DOE von den anderen Corba-Implementierungen, wie sie beispielsweise von Hyperdesk, DEC, IBM und HP entwickelt wurden?Green: Unsere Loesung ist weitaus aggressiver als die der anderen Anbieter. Wir werden uns vor allem dadurch unterscheiden, dass wir einen kompletten Werkzeugkasten anbieten. Was wir den anderen Anbietern voraus haben, ist die Menge an Technologie, die wir entwickelt und bei der OMG eingereicht haben. Bei uns arbeiten viel mehr Ingenieure in diesem Bereich als beispielsweise bei HP. Im Unterschied zu Hyperdesk decken wir nicht nur die Corba-Spezifikationen ab, sondern auch die Spezifikationen fuer Object Services. Darueber hinaus hat dieses Thema fuer uns eine ganz andere strategische Bedeutung als fuer die anderen Anbieter. Die meisten handhaben ihre Bemuehungen um die Objektentwicklung bloss als einen Teil dessen, womit sie sich insgesamt beschaeftigen. Sun hingegen hat diese Aktivitaeten in die vorderste Linie gestellt und investiert sehr viel darin.CW: Aus meiner Sicht ist die strategische Bedeutung der Objekttechnik ihren Mitbewerbern keineswegs entgangen. Ich denke beispielsweise an IBM und HP, die sich anschicken, hier das Kommando zu uebernehmen. Sehen Sie die Gefahr, dass diese Anbieter eine Dominanzstellung auf dem OO-Sektor erringen?Green: Ich denke nicht, dass IBM und HP hier eine Vormachtstellung einnehmen. Zum einen hat Sun intensiver mit HP zusammengearbeitet als IBM, und unsere Beziehung zu HP besteht bereits seit zweieinhalb Jahren, waehrend die Kooperation zwischen HP und IBM erst ein Jahr alt ist. Ueberdies unterhaelt Sun ebenfalls eine Partnerschaft mit IBM, so dass wir alle drei miteinander Technologie austauschen. Wenn hier ueberhaupt ein Anbieter eine fuehrende Rolle spielt, so beanspruche ich diese Position viel eher fuer uns.CW: Lassen Sie uns zum Anfang unseres Gespraechs zurueckkommen. Ich habe gelesen, die OSF wolle davon absehen, die Corba-Spezifikationen in ihre Distributed Computing Environment einzubeziehen. Was soll das eigentlich heissen?Green: Hier herrscht einige Verwirrung. Und ich halte es nicht fuer gluecklich, dass diese Diskussion oeffentlich gefuehrt wird. Ich bin der Auffassung, dass alles, was jetzt passiert, im Wandel begriffen ist.CW: Wir danken Ihnen fuer das Gespraech.