Microsoft kuendigt Windows-API fuer Mac und Unix an

Sun und Microsoft konkurrieren mit Windows-Interface fuer Unix

14.05.1993

"Aenderungen im Windows-API betreffen Tausende von Software- Anbietern und Millionen von Anwendern. Sie sollten daher von der Allgemeinheit in einem offenen Prozess kontrolliert werden", spricht Sun-Chef Scott McNealy Microsoft die Verfuegungsgewalt ueber das eigene Windows-Produkt ab. Er plaediert daher fuer die Spezifizierung eines Public Windows Interface (PWI), ueber dessen Weiterentwicklung nicht nur ein Hersteller, sondern Open-Systems- Organisationen und ein jedermann zugaengliches Entwicklergremium entscheiden sollen.

Wabi ist ein rotes Tuch fuer Microsoft

Doch das "Reich des Boesen", wie McNealy Microsoft seit kurzem nennt, denkt nicht daran, irgendwelche Rechte an der Programmier- Schnittstelle fuer Windows abzugeben. Zwar will das Unternehmen nach Meldungen der amerikanischen IDG-Schwesterpublikation "Computerworld" das Windows-API sowohl fuer Unix- als auch fuer Macintosh-Plattformen lizenzieren, die Richtlinien fuer die kuenftige Entwicklung sollen aber weiterhin ausschliesslich von Microsoft kommen.

Ausloeser fuer die Auseinandersetzung um Windows-Anwendungen unter Unix ist das vom Sun-Tochterunternehmen Sunselect kuerzlich vorgestelle Windows Application Binary Interface (Wabi) (vgl. CW Nr. 17 vom 23. April 1993, Seite 1: "Bei Unix-Software Solaris soll Sun Urheberrecht verletzt haben"). Mit Hilfe dieser Binaer- Schnittstelle ist es moeglich, Windows-Anwendungen ohne Windows- oder DOS-Umgebung auf Unix-Systemen laufen zu lassen.

Wabi ist fuer Microsoft ein rotes Tuch, weil damit der Verlust von Lizenzeinkuenften aus den in Unix-Umgebungen haeufig eingesetzen DOS- und Windows-Emulationen droht. Diese Befuerchtung scheint durchaus gerechtfertigt, zumal Wabi-Lizenzgeber Sunselect bereits Abkommen mit den Unix-Anbietern USL, SCO und Sunsoft zur Verbreitung der Windows-Schnittstelle auf PC-Unix-Derivaten abgeschlossen hat. Ausserdem hat der Sun-Vorschlag inzwischen bei Anwenderunternehmen wie American Airlines und der norwegischen Telecom Zustimmung gefunden. Weitere Rueckendeckung bekommt PWI von Herstellern wie den Unix System Laboratories (USL), HP, IBM, ICL, SCO, Borland, Corel, Tadpole und Wordperfect.

Als erste Reaktion auf Wabi hatte Microsoft-Chef Bill Gates versucht, den Gegner Sun mit der Ankuendigung einer Klage wegen Verletzung des Urheberrechts einzuschuechtern. Allerdings raeumen Branchenkenner diesem Vorhaben nur wenig Chancen ein. Die Wabi- Hersteller koennen naemlich offenbar nachweisen, dass das Produkt ohne Microsoft-Code entstanden ist. In der Ahnung, vor Gericht den kuerzeren zu ziehen, drohte Microsoft in einem weiteren Schritt, die Wabi-Entwickler durch Windows-Innovationen technologisch ins Abseits zu stellen.

Diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstanden die Sun-Techniker offenbar als Hinweis auf eine moegliche Aenderung des Windows-APIs. Eine solche Entwicklung wuerde jedoch nicht nur fuer Wabi das Aus bedeuten, sondern auch alle anderen Windows-Entwickler in Schwierigkeiten bringen. Deshalb riefen sie die PWI-Initiative ins Leben, in deren Rahmen das Windows-API zu einem offenen und herstellerunabhaengigen Standard werden soll.

Fuer die Unix-Anwender ist der Streit der beiden Lager offenbar von Vorteil. Er eroeffnet ihnen die Wahl, Windows-Anwendungen weiterhin in einer Emulation zu nutzen, sie mit Hilfe von Wabi direkt aufzurufen oder auf Programme zu warten, die mit Hilfe des nun offengelegten Windows-APIs portiert wurden.