"Sun braucht ein Software-Geschäftsmodell"

08.11.2001
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Sabine Prehl ist freie Journalistin und lebt in München.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Auch Sun Microsystems blieb zuletzt vom Abwärtstrend nicht verschont. Neben der sinkenden Nachfrage nach Servern und Workstations leidet der einstige Börsenliebling unter seiner bisherigen Fixierung auf die New Economy und der Konkurrenz durch IBM. Zwecks neuer Wachstumsimpluse sollte sich Sun laut Analyst Philip Dawson stärker als Software-Company positionieren.

Genau genommen war es eine Krise mit Ansage: Im vierten Quartal des abgelaufenen Geschäftsjahres (April bis Juni) hatte Sun zum ersten Mal seit zwölf Jahren rote Zahlen geschrieben. Der Nettoverlust lag bei 88 Millionen Dollar - ein Jahr zuvor hatte der Server- und Workstation-Hersteller noch ein Plus von 720,4 Millionen Dollar erzielt. Dennoch hatte Finanzchef Michael Lehmann damals beteuert, es werde keine Entlassungen geben. Anfang August trat zwar eine neue Runde der alljährlichen Restrukturierungsmaßnahmen in Kraft, als deren Folge diesmal rund 300 Angestellte ihren Job verloren.Verglichen mit den Massenentlassungen bei Konkurrenten wie HP oder Compaq konnte Sun sein Versprechen, auf Stellenstreichungen zu verzichten, jedoch halbwegs halten.

   Quelle: Gartner Dataquest  
   Quelle: Gartner Dataquest  

Inzwischen hat sich die Situation jedoch drastisch verschärft: Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres, das am 30. September zu Ende ging, wies Sun einen Nettofehlbetrag in Höhe von 180 Millionen Dollar aus. Der Quartalsumsatz brach um 43 Prozent auf 2,86 Milliarden Dollar ein. Zum Vergleich: Im ersten Dreimonatszeitraum des Vorjahres, dem besten Quartal der Unternehmensgeschichte, hatten die Kalifornier noch 5,05 Milliarden Dollar eingenommen. Damit kommt jetzt auch Sun nicht mehr um Entlassungen in großem Stil herum. Rund 3900 Angestellte - das sind neun Prozent der weltweiten Belegschaft - müssen jüngsten Ankündigungen zufolge das Unternehmen verlassen. Und Analysten gehen davon aus, dass es bei dieser Zahl nicht bleiben wird.

Der Umsatzeinbruch ist in erster Linie auf den schleppenden Verkauf von Workstations und Unix-basierten Servern, Suns Kerngeschäft, zurückzuführen. Ende August hatte das Unternehmen aus Santa Clara noch mit einer baldigen Besserung der Lage gerechnet, da sich das Geschäft nach den traditionell sehr ruhigen Monaten Juli und August im September normalerweise wieder belebt. Durch die Terroranschläge in den USA ist dieser Effekt laut Lehmann in diesem Jahr ausgeblieben. Vor allem in den ersten beiden Wochen nach den Attentaten hätten die Kunden ihre Aufträge storniert. "Unser Geschäft kam in dieser Zeit fast zum Stehen", so der Finanzchef.

Rückläufiges Server-Geschäft

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Bereits vor den Anschlägen litt Sun unter einem massiven Rückgang im Server-Geschäft. Den Marktforschern von Dataquest zufolge hat die kalifornische Company unter den fünf größten Server-Anbietern (IBM, Sun, Dell , HP und Compaq) im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2001 am stärksten verloren. Der Anteil am weltweiten Server-Markt schrumpfte im Jahresvergleich von 7,6 Prozent auf 6,4 Prozent. Der Verkauf nach Stückzahlen ging sogar um 15,4 Prozent zurück. Die Nummer drei im Server-Markt, Dell, und vor allem der Marktführer IBM legten dagegen kräftig zu.

Aber auch in Suns Kerngeschäft mit Unix-basierten Servern, auf den rund 60 Prozent des 60 Milliarden schweren Server-Markts entfallen, könnte es für Sun enger werden. Hier stehen die Kalifornier als zweitgrößter Anbieter nach IBM noch gut da. Compaq hat seit dem Verkauf seiner Alpha-Serie, die Intel in absehbarer Zeit einstellen will, massive Probleme im Neugeschäft. Zudem sind Compaq und HP momentan sowieso außen vor, da sie mit ihrem Merger zu kämpfen haben: "Diese Fusion ist für IBM und Sun ein Göttergeschenk", so Henrik Klagges, Geschäftsführer der Beratungsfirma TNG-Tech. Zudem profitiere Sun von seiner klaren Fokussierung auf Unix-Server: "Unix hat eine regelrechte Renaissance erlebt - nicht zuletzt durch die Verbreitung von Linux: Heute können wesentlich mehr Leute mit Unix umgehen als früher", so Klagges.

Wachsende Konkurrenz durch IBM

Allerdings wird auch hier der Konkurrenzdruck von Seiten IBMs immer größer. Früher war die Kombination von Sun-Servern mit Oracle-Datenbanken aus Sicht vieler Kunden unschlagbar. Doch seit IBM die eigene DB2-Datenbank mit einem aggressiven Pricing vermarktet, wurde Oracles Vorherrschaft laut Klagges zunehmend in Frage gestellt, da die Oracle-Datenbank sowohl in der Anschaffung als auch bei den Wartungsgebühren sehr teuer ist. Und immer häufiger fiel dann auch die Server-Entscheidung zugunsten von IBM.

Hinzu kommt, so Klagges, dass IBMs Highend-Server dank der sehr guten Power-Prozessoren heute billiger und meist auch schneller als die Sun-Maschinen sind. "Wenn ein Unternehmen seine Datenbanklandschaft ändert, denkt es auch eher über den passenden Server nach. Argumente wie der Preis spielen dann natürlich eine Rolle." Auch die neue Highend-Serie "Regatta", mit der Big Blue gegen Suns "Starcat"-Server ("Sun Fire 15K") antritt, besticht nach Ansicht von Experten durch ihr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Fatale Folgen der Dotcom-Krise

Von einer Bedrohung durch IBM im Hardwaresektor will Sun jedoch nichts wissen. Laut Deutschland-Chef Helmut Wilke hat Sun als reine Produkt-Company unter der derzeitigen Wirtschaftsabschwächung einfach stärker zu leiden als sein Rivale: "IBM ist serviceorientiert: Die brauchen viel Manpower, aber ihre Projekte sind langfristig angelegt und daher konjunkturellen Schwankungen weniger ausgesetzt", so Wilke. Ein Wachstum, wie es Sun in den vergangenen Jahren erlebt hat, könnte IBM gar nicht erreichen. "Dafür leiden wir stärker, wenn es abwärts geht."

Vor allem die Ausrichtung seines Server-Geschäfts auf große E-Business-Projekte wurde dem Unternehmen zum Verhängnis, als die allgemeine Wirtschaftsabkühlung einsetzte. Während Marktführer IBM hauptsächlich Firmen aus Industrie und Dienstleistungsgewerbe zu seinen Kunden zählt, konzentrierte sich der Serverlieferant aus Kalifornien bislang vor allem auf Internet- und TK-Firmen, die ihm während des Dotcom-Booms ein enormes Wachstum bescherten. Umso härter traf Sun dann jedoch der Niedergang der New Economy.

Viele Sun-Kunden haben die Krise entweder nicht überlebt oder stehen - wie Exodus Communications und Excite at Home - kurz vor der Pleite. Laut Laura Conigliaro, Analystin bei Goldman Sachs, hat Sun zwar in den vergangenen Monaten "ein paar tausend" Neukunden hinzugewonnen, allerdings noch mehr bestehende Kunden verloren - vor allem Firmen aus der angeschlagenen TK-Branche. Aber auch viele Vertreter der Old Economy haben ihre großen E-Business-Projekte auf Eis gelegt und verkaufen ihre neuwertigen Sun-Server inzwischen zu Schleuderpreisen. Nachdem die Nachfrage derzeit ohnehin gering ist, leidet Sun durch den Verkauf auf dem Graumarkt noch unter einem zusätzlichen Preisdruck.

Darüber hinaus verlieren die Kalifornier auch im Lowend- und unteren Midrange-Bereich zunehmend Marktanteile - vor allem an die Wintel-Konkurrenz. Server mit Intel-CPU und Microsoft-Betriebssystem sind laut Klagges mittlerweile richtig schnell: "Gegen eine Zwei-Prozessoren-Maschine von Intel oder AMD kommt Suns Dual-Prozessor-Rechner böse ins Schwitzen." Zudem seien die PC-Server billiger. Dieses Problem versucht Sun jetzt in den Griff zu bekommen: Die beiden neuen Ultrasparc-III-Maschinen "Sun Fire V880" und "Netra 20", die seit vergangener Woche auf dem Markt sind, stellen eine klare Preisoffensive gegen die Wintel-Rivalen dar. Branchenkenner halten die Strategie, auch Lowend-Server mit dem superschnellen Chip zu bestücken, für durchaus sinnvoll. In puncto Betriebssystem muss sich Sun derzeit ohnehin wenig Sorgen machen: Solaris gilt als extrem leistungsfähig und stabil. Wenn überhaupt, werde es noch Jahre dauern, bis das neue Windows XP und Linux für Solaris

gefährlich werden.

Hohe Kosten im Prozessorgeschäft

Im Highend-Bereich dagegen ist es nach Einschätzung von Experten problematisch, dass Sun seine Server nach wie vor mit den eigenen Ultrasparc-Prozessoren ausstattet, während die Konkurrenz mehr und mehr auf Intels Itanium wechselt. Wenn die IA-64-Architektur sich durchsetzt, könne sich ein Preiskrieg anbahnen, den Sun aufgrund geringerer Stückzahlen und der dadurch relativ hohen CPU-Preise mit großer Wahrscheinlichkeit verlieren werde.

Auch Berater Klagges bezeichnet das Prozessorgeschäft als "Suns Achillesferse". Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob sich Sun den jetzigen Grad an Fertigungstiefe und die damit verbundenen hohen Entwicklungs- und Produktionskosten überhaupt auf Dauer leisten könne, investierten Intel und IBM schon heute mehr in ihre Forschung als der Sparc-Anbieter. Zudem sei Sun auf Partner bei der Chipfertigung angewiesen, was in der Vergangenheit nicht selten zu Lieferproblemen geführt habe: "Häufige Partnerwechsel sind schmerzhaft", so der Berater.

Sun empfindet den Itanium dagegen nicht als Bedrohung. Nach Ansicht von Wilke wird es Jahre dauern, bis es für die IA-Architektur auch nur annähernd so viele Anwendungen gebe wie für Solaris. "Und was dann passiert, wird man sehen. Wettbewerb ist gut fürs Geschäft." Ein Strategiewechsel sei daher auch nicht vorgesehen - weder bei Prozessoren noch bei Servern. Auch künftig wolle Sun verstärkt in Forschung und Entwicklung investieren und seine umfangreiche Sales-Truppe beibehalten. "Mitarbeiter und Innovation sind unser wichtigstes Kapital - gerade in Krisenzeiten", betont auch CEO Scott McNealy immer wieder. Um nicht mehr so stark wie bisher von der New Economy abhängig zu sein, will Sun zudem neue Kundensegmente erschließen - etwa das Gesundheitswesen, den Handel, Versicherungen und Regierungseinrichtungen.

Essenzielles Wachstum noch nicht in Sicht

Bleibt die Frage, ob und wann die Nachfrage wieder anzieht. Erste Anzeichen dafür, dass sich die Wirtschaft in den USA stabilisiert und ab dem zweiten Quartal nächsten Jahres wieder erholt, sind erkennbar. Auch im hiesigen Markt rechnet Wilke bald mit neuen Impulsen: "Die IT-Leiter beginnen jetzt, sich auf ihre neue Budgetsituation einzustellen und Projekte an Land zu ziehen, mit denen sie Kosten einsparen können - etwa die Portierung von Mainframe-Anwendungen auf Unix." Durch den erwarteten Boom bei mobilen Anwendungen und Diensten entständen ebenfalls neue Projekte, von denen Sun profitieren werde.

Server-Konsolidierung

Wie IBM setzt auch Sun mittlerweile auf den Trend in Unternehmen, eine Vielzahl von kleineren Servern gegen einen einzigen Hochleistungs-Server auszutauschen, da dieser leichter zu warten und damit günstiger im Unterhalt ist. Laut Henrik Klagges, Geschäftsführer der Beratungsfirma TNG-Tech, versuchen die Branchenriesen mit dieser Philosophie, das margenträchtige Terrain Hochleistungs-Server zu verteidigen. Die viel beschworene Server-Konsolidierung könne jedoch je nach Einsatzgebiet auch Nachteile haben - zumindest im Unix-Bereich: "Wenn der große Server ausfällt, dann stehen alle Dienste, die vorher verteilt waren, en bloc nicht mehr zur Verfügung." Bei Internet-Service-Providern (ISP) zum Beispiel gebe es für modulare Server keine Alternative.

Das vor allem in Europa und Japan schleppende Geschäft und die hohen Lagerbestände werden jedoch auch noch die kommenden Quartalsergebnisse belasten, warnt Konzern-Finanzchef Lehmann. Er gehe zwar davon aus, dass Sun zum Ende des Geschäftsjahres im Juni 2002 wieder schwarze Zahlen schreiben wird. Allerdings sei dafür ein Quartalsumsatz von etwa 3,5 Milliarden Dollar erforderlich. Sieht man sich die vorgelegten Zahlen genauer an, lässt sich die aktuelle Situation auch so zusammenfassen: Es kommt jetzt darauf an, wie viele umsatzschwächere Quartale die Company mit ihren Bargeldreserven - immerhin rund sechs Milliarden Dollar - noch auffangen kann.

Nach Ansicht von Philip Dawson, Director Infrastructure bei der Meta-Group in London, zahlt es sich aus, dass Sun viel in das Vertrauen seiner Kunden investiert: "Sun ist heute so weit wie IBM vor fünf Jahren", so Dawson. "Sie können es sich leisten zu sagen: Vertraue uns - wir sind Sun." Das Unternehmen habe jedoch mehr Wachstum vorausgesetzt, als der Markt derzeit erlaube.Doch wo kann Sun mittelfristig wieder essenzielles Wachstum generieren? Eine bröckelnde Bastion im Server-Markt, hohe Risiken im Prozessorgeschäft - die Zukunft der Java-Company scheint momentan ungewiss. Apropos Java: Laut Dawson hängt Suns künftiges Schicksal auch zu großen Teilen davon ab, wie sich die Aktivitäten von Iplanet, seinem Joint Venture mit AOL/Netscape, entwickeln.

Im Markt für Enterprise-Software versuchen die Kalifornier schon seit geraumer Zeit, Fuß zu fassen - etwa mit dem auf J2EE (Java 2 Enterprise Edition) basierenden Applikations-Server. Als Hüter des universellen Java-Standards bringen sie hier auch gute Voraussetzungen mit: Die Programmiersprache ist die am weitesten verbreitete Grundlage für Unternehmenssoftware. Allerdings spielte Java bislang eine nur untergeordnete Rolle auf der Applikationsebene - und diese wird laut Dawson bei der Plattformauswahl immer entscheidender.

Vor allem gegenüber der Windows-Welt konnte sich Java bislang nur bedingt behaupten. Das zeigt sich auch im Bereich der Web-Services, XML-basierende verteilte Programme, die plattformübergreifend via Internet zugänglich sind. Bislang hatte Sun hier nur eine Instant-Messaging-Anwendung zu bieten. Inzwischen hat das Unternehmen weitere Bestandteile seiner E-Commerce-Software "Iplanet" vorgestellt. Was die Verfügbarkeit betrifft, ist Rivale Microsoft mit seiner Web-Services-Software ".NET" aber schon weiter. Nicht nur in puncto Anwendungen, sondern auch bei den Entwicklertools.

Nach Ansicht von Dawson muss Sun hier dringend aufholen. Angesichts der sinkenden Margen im Hardwaregeschäft liege die größte Herausforderung jetzt darin, die eigene Software in großen Stückzahlen zu vermarkten. Als traditionell Hardware- und Channel-orientierte Company werde sich Sun künftig stärker als Softwareanbieter positionieren müssen. Dawsons Fazit: "Sun braucht ein Software-Geschäftsmodell, das - wie bei Microsoft - Umsatz bringt."

Stiefkind Speichergeschäft

Im Speichermarkt konnte Sun bislang nicht richtig Fuß fassen. Nach Ansicht von Norbert Deuschle, Industrieexperte und Berater bei der Meta-Group, wurde dieses Thema "nicht ernst genug genommen und intern nicht klar genug positioniert". Durch die Konzentration auf das Server-Geschäft seien die Speicherlösungen lange Zeit nur eher passiv mitverkauft worden. Erst seit etwa zwei Jahren verfüge Sun über eigene Storage-Vertriebsorganisationen in den Ländergesellschaften und damit über einen klaren Fokus auf diesem Bereich. Suns "Jiro"-Strategie, intelligente Speichernetze als quasi offenes Framework abzubilden, ist nach Deuschles Ansicht ein "guter, aber etwas abstrakter Ansatz". Die Frage sei, ob Sun damit kurzfristig genug Entwicklungspartner gewinnen könne. Zudem verfügten die meisten Kunden bereits über Speicher-Management-Lösungen von anderen Herstellern.

Dennoch glaubt Deuschle, dass die Kooperation mit Hitachi, in deren Rahmen Sun die Highend-Speichersysteme "Hitachi Freedom Storage Lightning 9900" als Teil seiner "Storedge"-Server-Familie verkaufen will, ein Schritt in die richtige Richtung ist. "Speicherkonsolidierung lässt sich von Server-Konsolidierung kaum noch trennen, und Hitachis Lightning-System eignet sich dafür sehr gut", so Deuschle. Über speziell an seine Systeme angepasste Software, Support und Service werde Sun Marktanteile zurückgewinnen. "Aber die anderen schlafen natürlich auch nicht", so der Speicherexperte. Speziell für ein Unternehmen wie Sun, dem keine große Affinität zur Windows-Welt nachgesagt wird, sei das Storage-Geschäft nach wie vor schwierig.