Suites und Office-Pakete/Anwendungsrealitaet und Funktionsbreite im Clinch Marketing-Strategen koedern die User mit Pseudo-Schnaeppchen

01.09.1995

Von Horst-Joachim Hoffmann*

Eine neue Form der verdeckten Collectionitis macht sich unter PC- Anwendern breit. Ausloeser sind Office-Pakete - wer immer etwas auf sich haelt, nennt mindestens eines mit allem erdenklichen Schnickschnack sein eigen. Doch mit der Flut der Features ruecken die Grenzen des Verarbeitbaren immer naeher. Hardware-Ausstattung und Trainingszeit wachsen exponentiell zur Anwendungsbreite und - tiefe.

Vorbei die Zeit der integrierten Software e la Framework oder Works. Im Leistungsumfang und in der Bedienung passend aufeinander abgestimmt, konnte der Anwender im Lauf seiner (Arbeits-) Zeit die beruehmte 80-zu-20-Regel im Training on the job optimieren. Nach dieser Regel werden 80 Prozent aller Arbeiten mit 20 Prozent der verfuegbaren Befehle ausgefuehrt. Die Ausbeute wurde mit der Gewoehnung immer besser, die Zeit effektiver genutzt, die Arbeit ging schnell und sinnvoll vonstatten.

Ein Mix and Match in Reinkultur

Integrierte Pakete der alten Schule versorgten den Anwender mit fast allem, was noetig schien: Text, Grafik, Datenbank, Spreadsheet und DFUE - ein Mix and Match in Reinkultur. Aber die DV waere nicht die DV, wenn nicht findige Strategen geschickt an der Nachfrage drehen und dem umsatztraechtigen Perfektionismus des Schoener, Umfassender und Unnuetzer froenten.

Es galt schlicht, neue Maerkte zu schaffen und Kunden zu binden. Dem zufriedenen Besitzer eines integrierten Pakets konnte nur eine Neuversion pro Update verkauft werden. Die neue Strategie hiess Buendeln und macht sich wohl bezahlt: IDC spricht von einem weltweiten Umsatz von einer Milliarde Dollar mit Suites und Office-Paketen allein im Jahr 1994.

Der Verkaufsrenner der 90er ist schlicht eine Sammlung von sich einander vordergruendig ergaenzenden - oder auch oft ueberschneidenden - Bueroanwendungen, die in einem Karton verkauft werden. Microsoft und Novell unterteilen dabei noch einmal in Standard- und Professional-Pakete.

Unbestrittener Marktfuehrer ist in diesem Markt Microsoft mit ueber 70 Prozent Anteil; die weiteren wichtigen Player heissen Novell, Lotus und Star Division. Der Kampf um Softwarepfruende ist entbrannt. Novell und Lotus greifen Microsofts Position mit aggressivem Marketing an. Der Profit kommt mit den Upgrades, den Updates und mit der langfristigen Kundenbindung.

Bei den Branchengroessen gehoeren zu einem Paket Textverarbeitung (Microsoft: Winword, Lotus: AmiPro, Novell: Wordperfect, Star Division: Writer), Tabellenkalkulation (Excel, Lotus 1-2-3, Quattro Pro, Calc), Praesentationsgrafik (Powerpoint, Freelance Graphics, WP Presentations, Draw) und - in den teureren Professional-Versionen zum Teil - Datenbanken zur Grundausstattung. Erst langsam finden auch Anwendungen wie Kommunikation, Organisation, Informations-Manager sowie diverse Utilities ihren Platz.

Im Zuge der Ueberarbeitung zu einem Buendel bieten die von den jetzigen Anbietern teils aufgekauften Einzelprogramme OLE-2- Unterstuetzung zur Integration von Dokumenten unter Windows. Dennoch gibt es an der identischen Bedienung der Programme eines Buendels und an der reibungslosen Zusammenarbeit der Programme noch viel auszusetzen. Die Hersteller bemuehen sich nach eigener Darstellung unisono um Verbesserung, aber alles kostet halt Zeit und Geld.

Fuer den Einzelanwender lohnt sich ein genauer Vergleich der angebotenen Varianten, die es als Vollversion, Umsteigerversion, auf Disketten oder CD, mit und ohne Handbuch gibt. Auch auf die Versionsnummern der einzelnen Komponenten ist zu achten - ein Wechsel erfolgt schnell und still. Schnaeppchenspezialisten finden hier ein reiches Betaetigungsfeld. Neuerdings, im Zeitalter von Multimedia, sind auch Hardwarekomponenten wie Soundkarte oder CD- ROM-Laufwerk den Paketen zum Superpreis beigepackt.

Per definitionem sind die Bestandteile aller Pakete immer noch einzeln auf dem Markt erhaeltlich. Auf die Summe gerechnet sind "Singles" aber um einige hundert Mark teurer, und so finden die Rundumpakete unter Nutzung aller Schnaeppchenchancen leicht ihre Kaeufer. Doch nach der ersten Euphorie liegen entweder die Moeglichkeiten brach oder ungeahnte Folgeinvestitionen stehen ins Haus.

Weiterer Ausbau wird zur Pflichtuebung

Es draengt sich der Vergleich von Naehmaschinen und Office-Paketen auf. Beide existieren in den verschiedensten Ausfuehrungen von der Standardversion mit leichter Bedienbarkeit bis hin zum Profigeraet. Hausfrauen jedoch scheinen erheblich gewiefter als die meisten PC- User zu sein: Wer kauft sich schon die teuerste und aufwendigste Naehmaschine, um lediglich zwei Stoffbahnen aneinander zu naehen?

Computeranwender aber kopieren entsprechend den Wuenschen der Marketing-Strategen immer treu die neueste Version der Software auf ihren Rechner. Sie brauchen dazu garantiert groessere Festplatten, mehr Hauptspeicher, die neueste Betriebssystem- Variante und benoetigen trotzdem erheblich laengere Zeit zum Starten. So geht die Branche davon aus, dass aktuelle Suites mit derzeit 4 bis 16 MB RAM-Bedarf im naher Zukunft mindestens 16 bis 32 MB voraussetzen. Der Festplattenbedarf wird sich ebenfalls stark erhoehen.

Hunderte von neuen Funktionen, die zuvor fast niemand vermisst hat, fordern eben ihren Tribut. Die vielen neuen bunten Icons aber veraendern die eigentliche Arbeit nur insofern, als dass es jetzt vor lauter Verwirrung nur noch laenger dauert, bis ein Brief geschrieben ist.

Die Hardware-Anforderungen wachsen aber nicht nur in bezug auf den benoetigten Speicher. Auch die Prozessorleistung erfordert staendig Nachbesserung. Die von Herstellern propagierten Minimalausstattungen - meistens 386er Prozessor und 4 MB RAM - reichen gerade einmal so eben aus, um das Betriebssystem am Laufen zu halten. In der Praxis sind 486er Rechner und ein RAM-Minimum von 8 MB sehr zu empfehlen.

Hausfrauen gewiefter als viele PC-Anwender

Der Trend der letzten Jahre macht aber schon jetzt einen weiteren Ausbau zur absehbaren Pflichtuebung. In Fakten: Unternehmen sollten damit rechnen, die Investitionssumme fuer Hard- und Software in den kommenden fuenf Jahren noch einmal fuer Support und Upgrades aufbringen zu muessen (vgl. Computerwoche, Nummer 26 vom 30. Juni 1995, Seite 22). Die Strategie des "Alles auf einen Schlag" hat also schon mal finanzielle Tuecken.

Frueher hatte der Anwender eine einzeln erworbene Textverarbeitung. Kam schliesslich der Wunsch nach Ausweitung der Anwendung, wurde in der Regel schrittweise Software zugekauft. Er hatte also die Chance, nach Bedarf zu agieren, was nebenbei seinen Schulungsaufwand ueber groessere Zeitraeume dehnte. Dieses sukzessive Vorgehen wird im Bundling unterbunden, die Aenderungen kommen auf einen Schlag.

Gerade Schulung erfordert bei Office-Paketen einen oft unterschaetzten Aufwand. So ist es in 14taegigen Ganztageskursen lediglich moeglich, Anfaengern die Bedienung von Windows und die unabdingbarenen Grundfunktionen von Textverarbeitung und Tabellenkalkulation nahezubringen. Die bei den Professional- Varianten der Office-Pakete vorhandenen relationalen Datenbanken bieten allerdings so komplexe Moeglichkeiten, dass Normalanwender schon beim Einstieg Verstaendnisprobleme bekommen. Um auch nur die Theorie zu verstehen, benoetigt - so die Erfahrung - auch ein computerversierter Schnelldenker mindestens eine weitere Woche intensiven Studiums.

Unter dieser Fuelle von Moeglichkeiten leiden vor allem Unternehmen, die ihren Mitarbeitern mit eigentlich gutem Vorsatz Suites zur Verfuegung stellen. Nicht umsonst ziehen sich professionelle Buerokurse ueber mehrere Monate hin.

Und trotzdem steigen Anwender auf die Verkaufsstrategien der Hersteller ein. Aufgrund kurzfristiger Preisvorteile schaffen sie Office-Pakete an, obwohl sie einzelne Programme davon ueberhaupt nicht benoetigen. Eine bescheidenere Textverarbeitung, Tabellenkalkulation oder Adressdatenbank taeten es haeufig auch. Und selbst die gepriesenen Integrationsmoeglichkeiten werden im Arbeitsalltag entweder gar nicht benoetigt oder nur in einem so beschraenkten Umfang, dass die entsprechenden Faehigkeiten einer begrenzten Zahl von Einzelprogrammen es genauso gut koennten. Im Alltag liegt der Options-Overhead aus Unkenntnis schlicht meist brach.

* Horst-Joachim Hoffmann ist freier Fachjournalist in Muenchen.