Sündenpfuhl Internet: Wer trägt Verantwortung?

04.09.2001
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Sodom und Gomorrha - für viele ist das Internet mit Porno-Sites, sonstigen fragwürdigen Inhalten und Raubkopien der reinste Sündenpfuhl. Und verantwortlich dafür, soeine weit verbreitete Meinung, sind Internet-Provider und Website-Betreiber. Auf dem KPN Qwest Speed Summit in München diskutierten Experten über die Verantwortlichkeit aller Marktbeteiligten sowie Wege, die Flut an unerwünschten Inhalten einzudämmen.

Das Internet, ein globaler Raum für kriminelle Handlungen? Die Liste reicht von Urheberrechtsverletzungen über Gewaltverherrlichung und Verleumdung bis hin zur Verbreitung illegaler pornografischer Inhalte. Angesichts dieses fragwürdigen Contents stellt sich immer wieder die Frage nach Verantwortlichkeit, Haftung und rechtlicher Handhabe im Schadensfall.

Eine Frage, die jedoch alle Beteiligten beim länderübergreifenden Datentransport via Internet vor ein Dilemma stellt: Solange sich die Rechtsnormen und Auffassungen in den einzelnen Ländern unterscheiden, bleibt die Hoffnung auf eine Lex Internet, die die Sitten und Gebräuche im Netz regelt, ein frommer Wunsch. Entsprechend schnell kommt dann der Gedanke auf, die nach jeweiligem Landesrecht unerlaubten Inhalte aus dem globalen Datenstrom herauszufiltern, wie Marcel Machill, Gutachter für die Copa, die vom US-Kongress eingesetzte Child Online Protection Act, weiß. Ein Anliegen, dem Hadmut Danisch, Sicherheitsexperte bei KPN Qwest, energisch entgegentritt. Für ihn sind die übertragenen Bits erst einmal unschuldige digitale Einsen und Nullen. Zudem ist für Danisch das Filtern des Datenstroms in Echtzeit derzeit für die Service-Provider technisch nicht zu bewältigen, "denn damit kämen auf die Provider Investitionen zu, die eine Vermarktung von Internet-Zugängen zu vertretbaren Preisen unmöglich macht", gibt der KPN-Qwest-Mann zu bedenken.

Ebenso wenig kann er sich mit dem Gedanken anfreunden, dass die Provider per URL-Filter den Zugriff auf Server sperren, auf denen fragwürdige Inhalte angeboten werden. In diesem Fall befürchtet Danisch nämlich, dass etwa die Anbieter von Web-Seiten mit harmlosem Content Schadensersatzansprüche stellen könnten, wenn auf ihre Seiten keine Kunden mehr kommen. Letztlich sieht Danisch deshalb eher die Eltern in der Verantwortung, die auf dem heimischen PC entsprechende Filter installieren sollten, um ihren Sprößlingen den Zugang zu den entsprechenden Sites zu verwehren.

Eine Idee, mit der auch Copa-Gutachter Machill leben könnte. Allerdings hat er Zweifel an der Wirksamkeit dieser Verfahren, da mittlerweile das IT-Know-how der jungen Generation so groß sei, dass sie diese Sperren mit Links aushebelt. In letzter Konsequenz, so glaubt Machill, helfen technische Vorkehrungen hier auf Dauer nicht weiter. Er fordert deshalb von der Gesellschaft, im Umgang mit dem Internet eine Medienkompetenz zu entwickeln, wie sie sich in den letzten Jahrzehnten auch im Umgang mit Zeitungen, Radio und Fernsehen entstanden ist. Eine Kompetenz, die nicht nur die junge Generation benötigt, sondern auch die Erwachsenen, könnte doch dann in den Unternehmen so manche Überwachungsmaßnahme gegen exzessives Surfen entfallen.

In der Frage nach der Verantwortung für fragwürdige Inhalte im Internet erhalten die Provider Schützenhilfe von Professor Ulrich Sieber, der sich als Verteidiger im Prozess gegen den ehemaligen Compuserve-Deutschlandchef Felix Somm einen Namen als Rechtsexperte in Sachen Internet erwarb. Für Sieber ist hier zwischen zwei Arten von Providern zu unterscheiden: den reinen Access- und den Service-Providern, die etwa im Kundenauftrag Internet-Seiten hosten. So tragen Sieber zufolge die Access-Anbieter für die Inhalte keine Verantwortung, da diese - hier folgt der Jurist der Argumentation von KPN-Qwest-Mann Danisch - nicht jedes Bit auf seine Gesetzeskonformität prüfen könnten. Zumal neue Verschlüsselungsverfahren wie etwa das Verstecken von Informationen in Bildern oft genug den wahren Inhalt nicht erkennen lassen.

Differenzierter beurteilt Sieber die Situation der Hosting-Provider. Per se sind diese in seinen Augen auch nicht für den Inhalt der bei ihnen gehosteten Seiten verantwortlich. Dies ändert sich allerdings dann, wenn die Provider davon Kenntnis erhalten (etwa per E-Mail, Telefonanruf etc.), dass auf ihren Seiten verbotener Content angeboten wird. Dann haben sie laut Sieber die Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Inhalte aus dem Netz genommen werden.

Trotz dieser Verantwortung der Provider erteilten die Experten auf der KPN-Qwest-Veranstaltung "Speed Summit" Versuchen, sie als Sittenwächter der Nation in die Pflicht zu nehmen, eine klare Absage. Neben rechtlichen Bedenken spricht in den Augen der Branchenkenner auch die technische Entwicklung gegen diese Sichtweise: Sollte sich im Internet der Gedanke des Peer-to-Peer-Networking mit privaten Servern durchsetzen, so hätten die Provider sowieso keinen Einfluss mehr auf die angebotenen Inhalte. Zudem ist laut Sieber bei allem berechtigten Bestreben, fragwürdigen Content aus dem Netz zu verbannen, immer sorgfältig abzuwägen, inwieweit eine Kontrolle höher als das Rechtsgut der demokratischen Freiheit zu bewerten ist.

Vor diesem Hintergrund sieht Sieber nicht nur die Provider in der Verantwortung, sondern auch Unternehmen oder Universitäten, die Proxy- oder FTP-Server betreiben, die einen anonymen Zugang ermöglichen. Dienen diese Plattformen doch nur allzu oft dazu, Raubkopien etc. auszutauschen oder die wahre Identität des Surfers zu verschleiern. Hier stellt sich für den Juristen die Frage, ob im Internet wirklich alles anonym sein darf oder muss. Auch wenn für Sieber eine Einschränkung der Anonymität denkbar ist, so spricht er sich doch klar gegen die Bestrebungen mancher Politiker und Ermittlungsbehörden aus, alles und jeden im Netz zu protokollieren. Einen Zugriff auf solche Daten, so Siebers Forderung, dürfe es nur im Einzelfall und unter Einbeziehung der Gerichte geben.

Maßgeblich für die Verantwortlichkeit der Service-Provider im Internet-Umfeld ist der Paragraph 5 im Gesetz über die Nutzung von Telediensten (Teledienstegesetz - TDG). Der Gesetzgeber definiert hier drei Typen von Anbietern und nimmt sie in unterschiedlicher Weise in die Pflicht. Access-Provider sind für fremde Inhalte nicht verantwortlich, da sie nur den Zugang herstellen. Internet-Service-Provider (ISP), die in ihren Datenzentren Web-Seiten ihrer Kunden speichern, stehen dann für Inhalte in Verantwortung, wenn sie Kenntnis von illegalem Content haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, die Nutzung zu verhindern. "Kenntnis bedeutet in diesem Zusammenhang positive Kenntnis über unrechtmäßige Web-Seiten, so dass eine fahrlässige Unkenntnis zur Begründung einer Haftung nicht ausreicht.

Demzufolge muss der ISP auf problematische Sites hingewiesen werden, bevor eine unmittelbare Verantwortlichkeit begründet werden kann", erläutert Hajo Rauschhofer, Rechtsanwalt in der Kanzlei Andreä und Partner, Wiesbaden. Den höchsten Grad der Verantwortung trifft Content-Provider. Sie sind nach Paragraph 5 Absatz 1 des TDG für eigene Inhalte nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. Doch auch hier gibt es Grauzonen, etwa die Verlinkung zu fremden Web-Sites oder der Betrieb von Foren, in denen Kunden Inhalte austauschen. "Insgesamt ist die Rechtsprechung aufgrund gegenläufiger Urteile deutscher Gerichte nicht einheitlich, vieles ist hier noch in Fluss und nicht eindeutig geklärt", meint Rauschhofer, Rechtsexperte in Online-Fragen.