Web

Sturm im Wasserglas: Kulturkampf Europa gegen USA

13.05.2005

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Man weiß nicht so recht, ob man darüber jetzt lachen oder weinen soll: Der Präsident der französischen Nationalbibliothek, Jean-Noel Jeanneney, trachtet eine Initiative des Suchmaschinenbetreibers Google, der millionenfach Bücher von US-amerikanischen und britischen Bibliotheken einscannen und zur Volltextsuche für Benutzer offerieren will, mit einem europäischen Projekt zu kontern.

Sechs Landesoberhäupter und 23 Nationalbibliotheken in Europa konnte Jeanneney schon überzeugen, sich an einem Projekt namens European Digital Library zu beteiligen. Die Europäische Kommission hat bereits 77 Millionen Dollar für das Vorhaben, ebenfalls millionenfach Bücherbestände einzuscannen und online zu offerieren, gebilligt. Weitere 46 Millionen Dollar stehen ebenfalls von der EU für flankierende Maßnahmen wie etwa der Entwicklung einer nicht für kommerzielle Zwecke zu nutzenden Suchmaschine zur Verfügung.

Jeanneney hatte in einem Zeitungsartikel darauf verwiesen, dass durch die Google-Initiative die Gefahr bestünde, englischsprachige Quellen und eine US-amerikanisch zentrierte Geschichtssicht und -darstellung könnten künftig das WWW dominieren. In die gleiche Kerbe schlug später Frankreichs Präsident Jacques Chirac. Das "Wall Street Journal" zitierte ihn mit dem Ausspruch, Googles Initiative stelle eine "immense Gefahr für eine kulturelle Standardisierung" dar.

Jeanneney selbst sieht sich nicht als antiamerikanisch inspiriert. Es sei aber für Europäer nötig, zusammenzuarbeiten, um nicht von Amerika überwältigt zu werden. Der Präsident der französischen Nationalbibliothek weiter: "Ich bin nicht antiamerikanisch oder gegen Google. Ich möchte nur, dass Europa gemeinsam mit den USA auf diesem Gebiet zusammenarbeitet."

Ob der Kampf der Kulturen nicht vielleicht doch nur ein Sturm im Wasserglas ist, wird sich zeigen. Jeanneney und seine Kollegen von der Bibliotheque Nationale haben sich jedenfalls auch schon mal mit Vertretern von Google getroffen, um die beidseitig geplanten Buch-Initiativen zu diskutieren. Beide Parteien machten zwar keine detaillierten Angaben zu den Gesprächsinhalten. Der kämpferische Franzose deutete allerdings an, dass das von ihm initiierte Projekt mit dem von Google zusammenfließen könnte. Auf diese Weise würde eine möglicherweise gemeinsam aufgebaute digitale Bibliothek auch die europäische Perspektive sicherstellen.

Interessanterweise lässt der amerikanisch-europäische Hahnenkampf verschiedene Sichten völlig außer Acht: Der Schlagabtausch der Streiter kümmert sich wenig oder gar nicht um eine asiatische, afrikanische oder lateinamerikanische Sicht der Welt und deren verschiedener Kulturen. Allerdings sagt Google, man sei bereit, mit französischen und europäischen Bibliotheken zu kooperieren. Auch habe man schon Bücher in mehr als 100 Sprachen eingescannt, seit das Projekt vergangenen Dezember startete. Google-Manager Adam Smith betont, man wolle ein multikulturelles und vielsprachiges Projekt in Szene setzen. Man wird sehen, ob die von wem immer in Kooperation aufgebaute digitale Weltbibliothek diesem Anspruch genügen wird. (jm)