Studie belegt: Stueckwerk statt System Loesungsgeschaeft: Haeufig fehlt die fundierte Vertriebsstrategie

27.01.1995

Von Hans-Ulrich Bachert*

Ob Hardwarehersteller, Datenbankanbieter oder Fachhaendler:

Komplettloesungen heisst das Gebot der Stunde. Bei allen Anbietergruppen der IT-Branche ist die Tendenz zu beobachten, das Leistungsangebot zu einer effektiven Problemloesung, bestehend aus Hardware, Software und Dienstleistungen auszubauen. Strategische Ueberlegungen sind angesagt.

Die Gruende fuer den Trend zu Komplettloesungen liegen auf der Hand: Durch sie lassen sich eine staerkere Wettbewerbsdifferenzierung und Kundenbindung sowie letztlich hoehere Renditen erzielen. Viele Anbieter uebersehen jedoch, dass es mit einer blossen Kombination bestehender Produkte und Dienstleistungen nicht getan ist. Loesungskompetenz beginnt im Vertrieb - und hier besteht nach einer Untersuchung der Baumgartner & Partner Unternehmensberatung erheblicher Handlungsbedarf.

"Jetzt haben wir seit einem Jahr das umfassendste Angebot, aber der Vertrieb setzt es beim Kunden nicht in klingende Muenze um." Dieses Zitat stammt aus einer Analyse von ueber 30 Vertriebsorganisationen, die von der Sindelfinger Unternehmensberatung in namhaften IT-Unternehmen in Deutschland durchgefuehrt wurde. "Der Trend zum Komplettangebot ist unuebersehbar. Strategien werden geschmiedet, neue Angebote aufgesetzt, die Vertriebsorganisationen haben sich den neuen Anforderungen jedoch ueberhaupt nicht oder nur zoegerlich angepasst", so wird das Dilemma vieler Unternehmen beschrieben.

Der Vertrieb stellt neue Anforderungen

Das Stimmungsbarometer am IT-Markt signalisiert, dass nach all den Kostensenkungen jetzt Wachstumsimpulse gegeben werden muessen. Gefragt sind Schlagkraft und Effektivitaet im Vertrieb. Das bedeutet, dass Komplettloesungen vor dem Hintergrund einer Gewichtsverlagerung von der Hardware zur Software, vom Produktverkauf zur Bereitstellung, neue Aufgaben loesen muessen.

- Der Markt fuer Loesungen ist intransparent und durch eine Vielzahl von branchen- und anwendungsspezifischen Nischen charakterisiert. Wichtiger denn je ist daher eine Vertriebsstrategie, die die Zielmaerkte klar abgrenzt und den Vertrieb mit entsprechenden Vorgaben und Werkzeugen ausstattet.

- Das Loesungsgeschaeft zeichnet sich durch grosse Auftragsvolumina und eine enge, partnerschaftliche Kundenbeziehung aus. Typischerweise steigt das Umsatzvolumen pro Kunde und damit der Anteil des Altkundengeschaefts. Der Stellenwert eines vertriebsorientierten Key-Account-Managements nimmt dadurch deutlich zu.

- Um Einzelleistungen aus verschiedenen Unternehmensteilen zu einer Komplettloesung zu verbinden, bedarf es bereits in der Pre- sales-Phase einer umfassenden Mitarbeit des Managements sowie aller an der spaeteren Implementierung beteiligten Bereiche. Team Selling, das gemeinsame Verkaufen ueber Geschaeftsbereiche und Hierarchieebenen hinweg, wird zum Erfolgsfaktor.

- Im Vorfeld umfangreicher DV-Projekte sind nicht nur die Analyse der IT-Infrastruktur, sondern auch des organisatorischen Umfelds gefordert. Loesungsanbieter mit Beratungskompetenz im Vertrieb besitzen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil: Sie koennen fruehzeitig in das Projekt eintreten und sich so besser auf die Beduerfnisse des Kunden einstellen.

Dabei sind diese Anforderungen, so die Untersuchung, den Fuehrungskraeften weitgehend bekannt. Beratungskapazitaeten sind aufgebaut, Key-Account-Management-Positionen eingerichtet und Vertriebsinformationssysteme eingefuehrt.

Falsche Strukturen blockieren den Erfolg

Allzu haeufig werden damit aber keine markanten Verbesserungen erzielt. Im Gegenteil: Der Umsatz pro Vertriebsmitarbeiter stagniert, Flexibilitaet geht verloren, von der erhofften Loesungskompetenz ist man noch weit entfernt. Ein Hauptgrund, so das Ergebnis der Untersuchung, liegt in Strukturen und Ablaeufen, die nach wie vor auf Einzel- statt auf Komplettleistungen ausgelegt sind.

In kaum einem der befragten Unternehmen liegen Verkaufsstrategien vor, die den Vertriebsmitarbeitern den Weg zum Ziel aufzeigen. Grundsatzfragen wie die Positionierung des Vertriebs im Unternehmen und gegenueber Kooperationspartnern oder die exakte Definition von Zielmaerkten werden lediglich ad hoc beantwortet. In einzelnen Firmen gibt es zwar Strategiepapiere, doch diese Ueberlegungen haben allzuoft lediglich Alibifunktion und werden nicht wirklich auf den Vertrieb uebertragen.

Vertrieb von Einzelleistungen

Wie die Studie zeigt, sind bestehende Verkaufsziele traditionell auf den Vertrieb von Einzelleistungen ausgerichtet. Nach dem Motto "Differenzierte Vorgaben scheitern an der Realitaet des Tagesgeschaefts" beschraenkt sich die Mehrzahl der befragten Unternehmen auf rein umsatz- und produktbezogene Ziele, Provisionsregelungen und Incentives. So setzen lediglich zirka zehn Prozent der befragten Firmen spezielle Vorgaben ein, um Komplettloesungen an Kunden zu verkaufen, die bisher lediglich Einzelleistungen beziehen ("Cross Selling"). Qualitative Verkaufsziele, die auch dem langfristigen Unternehmensdenken Rechnung tragen, fehlen meist. Die Folgen sind gravierend: Mangelnde Ausschoepfung des Potentials bei Bestandskunden, eine unguenstige Struktur im Neukundengeschaeft sowie eine Vernachlaessigung von Komplettloesungen.

Nachteil fragmentierter Vertriebsorganisation

So sehr dezentrale Vertriebsstrukturen Kundennaehe und Flexibilitaet sichern, so hinderlich sind diese bei der Realisierung des Team- Selling-Gedankens. Dieser Umstand tritt bei der weitverbreiteten dezentralen Profit-Center-Organisation besonders deutlich zutage: Ueblicherweise verfuegt jedes Center - meist implementiert als Geschaeftsstelle - ueber eigene Vertriebskapazitaeten, die lediglich die eigenen Leistungen vertreten und an Geschaeftsstellen- uebergreifenden Komplettloesungen wenig Interesse zeigen. Die Folge: ein uneinheitlicher Marktauftritt und ungenutzte Synergien.

Versuche, diesen Mangel durch uebergreifende Vertriebsstrukturen wie Key Accounts oder einen Zentralvertrieb zu beheben, haben sich nur in Ausnahmefaellen als erfolgreich erwiesen. Die dadurch entstehenden Kompetenzueberschneidungen mit dem Geschaeftsstellenvertrieb fuehren zu Reibungsverlusten und insgesamt zu einer aufgeblaehten, wenig schlagkraeftigen Organisation.

Vielfach ausser acht gelassen wird zudem die Moeglichkeit, Partnerunternehmen in die eigene Vertriebstaetigkeit mit einzubeziehen. Zwar hat die Anzahl der Vertriebspartnerschaften in den letzten Jahren stark zugenommen - doch wie die Untersuchung bestaetigt, dominiert im Loesungsgeschaeft nach wie vor der persoenliche Verkauf. Dies liegt zum einen an der hohen Individualitaet und Erklaerungsbeduerftigkeit der angebotenen Leistungen, zum anderen aber auch an der weitverbreiteten Einstellung, den Vertrieb selbst in die Hand nehmen zu muessen. Vor allem der deutsche IT-Mittelstand beschraenkt sich auf vereinzelte Kooperationen, die meist stark personenbezogen sind und insgesamt nur unwesentlich zum Geschaeft beitragen. Professionell ausgearbeitete Partnerschaftskonzepte, die den Anforderungen der verschiedenen Zielgruppen Rechnung tragen, sind lediglich bei Hardwareherstellern und international taetigen Softwarehaeusern anzutreffen. Angesichts steigender Direktvertriebskosten bei gleichzeitig stagnierenden Umsaetzen entwickelt sich das Thema Kooperationen fuer viele Anbieter zu einer Ueberlebensfrage.

Bei all den Schwierigkeiten belegen doch zahlreiche Beispiele, dass sich auch in so sensiblen Funktionen wie dem Vertrieb grundlegende Neuausrichtungen erfolgreich durchfuehren lassen. Die Muehe lohnt sich, wirkt sich ein schlagkraeftiger Vertrieb doch direkt auf die Umsatz- und damit auf die Ertragssituation aus.

Die Erfahrung zeigt, dass fuer die Umstellung auf einen Loesungsvertrieb keine grundlegend neuen Methoden erforderlich sind; es genuegt, vertraute Bausteine mit einer speziellen Systematik zu kombinieren. Im Mittelpunkt steht dabei die Erkenntnis, dass ohne eine Bewusstseinsaenderung bei den Mitarbeitern kein Team Selling und damit kein effektiver Loesungsvertrieb zustande kommen kann. Ein effektiver Ansatz zeichnet sich daher durch die gezielte Foerderung informeller Strukturen, durch die Beruecksichtigung qualitativer Ziele sowie durch eine intensive Einbeziehung der Mitarbeiter von der Basis - ohne dabei die harten Fakten zu vernachlaessigen.

Den Ausgangspunkt bildet eine Analyse des Kundennutzens, aus dem sich Kernkompetenzen und erfolgskritische Prozesse ableiten lassen. Eine Betrachtung der dabei auftretenden Schnittstellen, inbesondere mit den angrenzenden Unternehmensfunktionen wie Marketing und Controlling, liefert Erkenntnisse darueber, wo Effizienzpotentiale liegen und wie sich diese aktivieren lassen. Nicht selten ergeben sich daraus Ansatzpunkte fuer weitere Verbesserungen - etwa Zielmaerkte neu zu definieren oder das Leistungsangebot zu straffen.

So stellte man in einem fuehrenden Systemhaus, wie aus der Beratungspraxis berichtet wird, die bisher nach regionalen Gesichtspunkten gegliederte, heterogen zusammengesetzte Vertriebsorganisation komplett um. Zu diesem Zweck wurde der Vertrieb von den Geschaeftsstellen entkoppelt, auf wenige Zielbranchen ausgerichtet und durch bisher in Zentralbereichen angesiedelte Ressourcen verstaerkt.

Ein neues Deckungsbeitrags-orientiertes Vertriebs-Controlling ermoeglicht nun differenzierte Vorgaben und deren Kontrolle. Ueber gezielte Vertriebspartnerschaften werden mittlerweile die Maerkte abgedeckt, die frueher zwar mit einem hohen Aufwand, aber einem geringen Ergebnis bearbeitet wurden. Das Resultat nach 18 Monaten: Eine Umsatzsteigerung von 28 Prozent bei gleichbleibenden Personalkosten im Vertrieb, eine hoehere Kundennaehe und nicht zuletzt eine starke Wettbewerbsposition in den definierten Zielmaerkten.

* Diplominformatiker Hans-Ulrich Bachert ist Berater der Baumgartner & Partner Unternehmensberatung in Sindelfingen.

Checkliste zur Neuausrichtung des Vertriebs

Kundennutzen analysieren:

- Kundenbeduerfnisse untersuchen,

- Nutzen des Leistungsangebots pruefen sowie

- Vergleich zum Wettbewerb anstellen.

Komplexitaet reduzieren:

- Leistungsangebot bereinigen,

- auf wesentliche Kunden fokussieren sowie

- Kernkompetenzen im Vertrieb bestimmen; gegebenenfalls Ressourcen auslagern oder aufbauen.

Vertriebsstrategie festlegen:

- konkrete Zielmaerkte definieren,

- Vertriebswege-Mix bestimmen,

- quantitative und qualitative Vertriebsziele fixieren sowie

- Vertriebsstrategie kommunizieren.

Vertriebsprozesse ueberarbeiten:

- kritische Prozesse identifizieren,

- Schnittstellen-Probleme untersuchen,

- Kennziffern bilden sowie

- Vertriebs-Controlling anpassen.

Projekt-Management:

- Verantwortung festlegen,

- konkrete Massnahmen erarbeiten sowie

- Auswirkungen auf Kosten und Effektivitaet hinterfragen.

Mitarbeiter in allen Phasen einbeziehen:

- Information aller Beteiligten,

- Ideen von der Basis nutzen,

- informelle Strukturen foerdern,

- Management soll dabei mit gutem Beispiel vorangehen.

Implementierung ueberwachen:

- schnelle Piloteinfuehrung,

- wirksames Aktions-Controlling sowie

- Coaching installieren.

Die haeufigsten Fehler im Loesungsvertrieb:

Kompromisse sind die Regel

- Zu breite Vertriebsstrategie. Nach dem Motto "Wir loesen alle IT- Probleme unserer Kunden" werden Zielmaerkte nicht klar segmentiert und in den Vorgaben nicht entsprechend umgesetzt.

- Im Neukundengeschaeft werden Verkaufsziele umsatzbezogen nach Einzelleistungen erstellt. Es erfolgt keine besondere Beruecksichtigung von Komplettloesungen.

- Im Altkundengeschaeft fehlen die Cross-Selling-Anreize, um Einzelleistungen hin zu Komplettloesungen zu ueberfuehren.

- Die klassische Profit-Center-Organisation mit zugeordneten Vertriebsressourcen foerdert das Bereichsdenken. Synergien im Vertrieb bleiben ungenutzt.

- Uebergreifende Vertriebsstrukturen wie Key Accounts oder Zentralvertriebe werden lediglich aufgesetzt, statt in die Vertriebsorganisation integriert. Die Folge sind Overhead-Kosten ohne entsprechenden Umsatzbeitrag.

- Vertriebspartnerschaften werden ungezielt eingesetzt und nicht entsprechend gepflegt. Partnerschaftskonzepte bilden die Ausnahme.