Wie viel Praxisbezug braucht der IT-Profi?

Streit um die richtige Informatik

18.11.2008
Von 
Winfried Gertz ist Journalist in München. Er arbeitet in einem Netzwerk von zahlreichen Anbietern kreativer Dienstleistungen. Das Spektrum reicht von redaktioneller Hörfunk- und Fernsehproduktion über professionelle Fotografie bis zu Werbetexten für Industrieunternehmen und Non-Profit-Organisationen.

Anwendungsentwicklung auf Werkstattniveau

Dieser Argumentation kann Bernhard Schmid, selbst Informatiker und nach zahlreichen Stationen mit operativer Verantwortung heute Beirat in IT- und Dienstleistungsfirmen, nichts abgewinnen. Ortners Kritik hingegen hält er für überfällig. So sei die klassische Programmierung in der beruflichen Praxis inzwischen von modellbasierender Entwicklung und agiler Programmierung abgelöst worden, hier sei genaueste Prozesskenntnis gefragt. Schmid gehen die Vorschläge von Ortner hinsichtlich der Prozessoptimierung nicht weit genug. "Im Vergleich zum Automobilbau mit seinen ausgefeilten Wertschöpfungsketten ist die Entwicklung von Anwendungen noch nicht übers Werkstattniveau hinausgekommen."

Freilich finden die gescholtenen Hochschullehrer auch Verbündete. "Das Studium ist schon okay", sagt zum Beispiel Ulrich Bode, stellvertretender Sprecher für Freiberufler in der GI. "Ich kann mich nicht beklagen." Projekt-Management, Kundennutzen und Soft Skills "sollte man im Elternhaus, in der Schule und vor allem durch praktische Tätigkeit lernen".

Laut Bode ist es unerheblich, ob man sich zunächst mit System- oder Anwendungsinformatik vertraut macht. "Ich habe neben dem Studium berufsnah gearbeitet. Das war die beste Lehrzeit." Übungen an der Universität, so anwendungsnah sie auch sein mögen, ersetzten nicht die "gelebte Praxis". Die duale Ausbildung, da stimmt Bode Sattelberger ausdrücklich zu, könnte durchaus ein Modell für die Hochschulen sein.

Die Diskussion zeigt, dass zwischen Hochschulen und Wirtschaft unterschiedliche Auffassungen bestehen. Wer die mangelnde Praxisorientierung der Informatik beklagt hat, sieht sich durch die von Ortner angestoßene Debatte bestärkt. Gewiss ist seine Argumentation etwas zugespitzt, ein "Zerrbild", wie Bitkom-Sprecher Pfisterer kritisiert. Doch auch er räumt ein, dass ein Problem der Informatik darin liege, "dass sie oft die technisch beste, nicht die wirtschaftlichste Lösung sucht". Wenn Innovationsfähigkeit künftig das Rennen im globalen Wettbewerb mitentscheidet, werden Unternehmen Wirtschaftsinformatiker wie Systeminformatiker gleichermaßen benötigen. "Aber eben ausgestattet mit den zusätzlichen Befähigungen jenseits des fachlichen Wissens", hakt Praktiker-Personaler Stroh nach, "ohne die niemand mehr in den vernetzten Unternehmensstrukturen auskommt."