Oft nur eine Liste von IT-Produkten oder -Standards

Strategie: Inflation eines Begriffs

12.04.2002
MÜNCHEN (CW) - Der Begriff "Strategie" geht Anbietern, Beratern und IT-Chefs leicht von den Lippen. Aber seine häufige Verwendung bedeutet noch nicht, dass die IT signifikant zum Unternehmenserfolg beiträgt. Raymond Tischendorf, Senior Consultant bei der Meta Group, hat sich Gedanken darüber gemacht, was eigentlich eine IT-Strategie ausmacht.

Die Meta Group hat eine steigende Nachfrage nach Beratungsleistungen im Umfeld IT-Strategie und IT-Architektur festgestellt. Signifikant zugenommen hätten beispielsweise auch die Veröffentlichungen in der Fachpresse und die Internet-Beiträge zu diesen Themen sowie die Teilnehmerzahlen von Veranstaltungen, die sich mit strategischen Fragestellungen beschäftigen.

Die Praxis sieht allerdings anders aus, weiß Tischendorf, der als Practice Leader "Strategic Business Applications" der Meta Group einen tiefen Einblick in so maches Kundenunternehmen erhält: "Nur in wenigen Ansätzen wird die IT-Strategie als integraler Bestandteil der Geschäftsstrategie verstanden." Häufig bestehe die so genannte Strategie nur aus einer Liste von IT-Produkten oder IT-Standards.

Zudem wird das Adjektiv "strategisch" vielfach unreflektiert und in falschen Zusammenhängen benutzt, so Tischendorf weiter. Der inflationäre Umgang mit dem Strategiebegriff führe aber dazu, dass die Unternehmensleitungen das Interesse an diesem Thema verlören. Einen besonders schweren Stand hätten hier die hausinternen IT-Strategen.

Tischendorfs Definition für Strategie lautet: "eine in jeder Hinsicht umfassende Vorgehensweise, um ein mittel- bis langfristiges Ziel zu erreichen". Eine IT-Strategie betrachte die gegebenen Randbedingungen, schätze potenzielle Einflüsse ein, bewerte die Risiken und beschreibe schließlich das geeignete Vorgehen zur Strukturierung, Positionierung und Organisation der gesamten Informationstechnik, also von Hardware, Software, IT-Prozessen, Mitarbeitern und Dienstleistungen. Eine gute IT-Strategie enthalte - im Sinne des Risiko-Managements - auch Handlungsanweisungen für den Fall, dass der geplante Lösungsweg beeinträchtigt sei.

Planung und Steuerung der IT auf der strategischen Ebene sind Management-Aufgaben. Wie Tischendorf erfahren hat, fühlen sich viele Manager aber nicht ausreichend informiert, um derart weit reichende Entscheidungen zu treffen. Insbesondere fehle ihnen oft der Bezug zwischen den IT-Maßnahmen und den Unternehmenszielen.

Frühzeitig planen oder reagieren?Hinzu kommt, dass sich in den IT-Organisationen eine gewisse Resignation bemerkbar macht. Die schnellen Innovationszyklen der Technologie und die sich laufend ändernden Anforderungen aus den Geschäftsprozessen lassen laut Tischendorf zunehmend Zweifel am Erfolg einer langfristig angelegten IT-Strategie aufkommen. Die Frage laute: Was ist wirtschaftlich sinnvoller - frühzeitig die künftigen Einflüsse auf die IT analysieren und entsprechende Maßnahmen planen oder aber erst bei Bedarf reagieren?

Verlässliche RichtungsanzeigeNicht teilen kann der Meta-Group-Consultant die Ansicht vieler Experten, wonach sich die Lebensdauer einer kompletten IT-Strategie auf ein bis anderthalb Jahre belaufen sollte. Derart kurzlebige Strategien hätten wenig Wert - vor allem angesichts der Zeiträume, die für Entwicklung, Einführung und anschließenden Betrieb eines IT-Systems typisch seien. Die IT-Strategie eines großen Unternehmens lasse sich nicht permanent ändern. Schließlich benötigten die Anwendungs- und Infrastrukturentwickler eine verlässliche Richtungsanzeige, die wenigstens für eine Generation von aufeinander abgestimmten IT-Systemen Geltung behalte. Bei der Erstellung einer solchen Strategie sei es auf jeden Fall wichtig, die richtige Balance zwischen Detaillierungsgrad und Bearbeitungszeit zu finden. (qua)