Stoppt US-Richter die Auslieferung von Windows 95? Justizbehoerde plant offenbar den Gerichtsgang gegen Microsoft

04.08.1995

MUENCHEN (CW) - Unter Brancheninsidern breiten sich zunehmend Spekulationen aus, das US-Justizministerium (DOJ) versuche mittels einer einstweiligen Verfuegung und nachgereichter Klage, die Markteinfuehrung und Auslieferung von Windows 95 zu blockieren.

Am 24. August 1995 soll der DOS-Nachfolger ausgeliefert werden. Das DOJ vertritt aufgrund umfangreicher Recherchen bei Microsoft selbst sowie bei Konkurrenzunternehmen offensichtlich die Meinung, die Gates-Company verstosse mit der Integration des Zugangs-Tools fuer die Online-Software Microsoft Network (MSN) in Windows 95 gegen Wettbewerbsrecht.

Die "Financial Times" zitiert den Software-Industrie-Analysten David Readerman mit der Einschaetzung, die Wahrscheinlichkeit, dass das DOJ eine Klage einreichen koennte, liege bei 50 Prozent.

Neue Nahrung fuer das DOJ lieferte Microsoft zudem, als es vor zwei Wochen Plaene bekanntgab, in Windows 95 einen Web-Browser zu integrieren. Mit diesem Softwarewerkzeug - Konkurrenzprodukte waeren etwa "Inet-Suite", "Mosaic" oder "Netlauncher" - ist es moeglich, sich halbwegs bequem im ausufernden Internet zu bewegen.

Jetzt hat die Justiz auch den Web-Browser im Auge

Nach den Worten von Microsoft-Sprecher Thomas Baumgaertner wird das Tool in allen Windows-95-OEM-Versionen fuer PC-Hersteller integriert sein. Zusaetzlich wird Microsoft das "Windows-95-Plus"- Software-Paket vertreiben, in dem diverse Tools und der Web- Browser enthalten sind. Letzteren koennen sich Anwender spaeter auch aus dem MSN herunterladen.

Analysten sehen nicht nur in der seit Monaten zunehmend haerteren Gangart des DOJ gegenueber Microsoft Indizien fuer einen unmittelbar bevorstehenden Gerichtsgang. Das DOJ hatte vor zwei Wochen eine Aufforderung an Microsoft zurueckgenommen, weiteres umfangreiches Material zur Sache einzureichen. Viele Experten werten diesen Vorgang dahingehend, das DOJ habe mittlerweile genug Informationen gesammelt, um gewappnet in eine gerichtliche Auseinandersetzung mit der Gates-Company einzusteigen.

In einem zweiseitigen Brief schreibt darueber hinaus die seit langem in die Microsoft-Verhandlungen eingebundene Kartellrechtsbeamtin Anne Bingaman: "Es ist augenscheinlich, dass die Regierung sich jetzt entscheiden muss, ob sie vor der Markteinfuehrung (von Windows 95, Anm. d. Red.) gerichtliche Aktionen einleitet auf der Basis von Beweismaterial, das wir von Microsoft und dritten Parteien erhalten haben." In dem Brief an den zustaendigen US-District-Richter Robert Ward weist Bingaman ferner darauf hin, dass DOJ habe keine Zeit mehr, sich mit prozeduralen Kleinigkeiten abzugeben.

Aehnlich aeusserte sich der Washingtoner Kartellrechtsanwalt Garret Rasmussen. Gegen Microsoft eine Anti-Trust-Klage einzubringen, sei ein erhebliches Unterfangen. Da koenne sich das DOJ nicht mehr mit Nebensaechlichkeiten abgeben. Das Justizministerium, glaubt Rasmussen, richte bereits alle Kraefte auf eine Auseinandersetzung mit der Gates-Company aus.

Da Microsoft jedoch seit Wochen Windows-95-Kopien produziert - das Unternehmen spricht von einer Million Exemplaren pro Woche -, wird die Ausgangsposition fuer die Behoerde von Tag zu Tag schwieriger. Rasmussen: "Je mehr Ausgaben Microsoft hat, desto hoeher wird die Huerde fuer die Regierung" einerseits, eine einstweilige Verfuegung durchzuboxen. Andererseits muss das Justizministerium seine Argumentation sorgfaeltig vorbereiten.