Stimmen von der Orgatec: Wenig Lob und viel Kritik Not interesting at all, but very well organized

04.11.1994

Man sollte meinen, es haette zwei verschiedene Messen gegeben. Die Messegesellschaft zeichnet in ihrem Schlussbericht das Bild einer erfolgreichen "internationalen Bueromesse". Das Konzept habe sich bestaetigt, die Besucherflut sei durch ein qualifiziertes, entscheidungsfreudiges Fachpublikum ersetzt worden. Besucher, Fachverbaende und Aussteller urteilen ganz anders.

Das Ganze hat einen mueden Eindruck gemacht", formuliert Guenther Hirscher, Vorstandsmitglied des etwa 1500 Mitglieder zaehlenden Anwenderfachverbands Deutscher Informationsverarbeiter e.V. (adi), Herford, seine vernichtende Kritik an der diesjaehrigen Orgatec. Seiner Einschaetzung nach lautete der Tenor beim Messepublikum: "Ein Besuch lohnt sich kaum noch - keine Neuheiten, schlecht besetzte Staende und wenig Auskunftsbereitschaft."

Die Orgatec ist "Messeereignis von Weltrang", meint der Koelner Oberbuergermeister und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Koeln Messe, Norbert Burger. Zudem "stimmt das konjunkturelle Umfeld", ergaenzte Franz Vogt, Vorsitzender des Fachbeirats der Orgatec. Die Software-Industrie habe bereits "die Talsohle der Rezession durchschritten", und die Moebelindustrie erwarte den Aufschwung im kommenden Jahr. Mittelfristig schaffe der Dienstleistungsbereich Buero in Ostdeutschland zwei Millionen zusaetzliche Jobs, im Westen sollen

"in absehbarer Zukunft" 500 000 neue Bueroarbeitsplaetze entstehen. Gute Voraussetzung fuer die Messe.

Die Besucherzahlen bestaetigen das keineswegs (siehe Kasten). Hirscher: "Die Taxifahrer, denen die Orgatec in vergangenen Zeiten ein willkommenes Zubrot war, beschwerten sich, von einer Messe in Koeln sei nichts zu bemerken." Der adi-Mann ist sich sicher, dass in dem "Wald- und Wiesenangebot" keine Zukunft liegt. "In der jetzigen Struktur hat die Messe keine Chance."

Ganz anders der Messebericht: "Die gleichgewichtige Verteilung der Interessenskala auf Einrichtung und Informationstechnik bestaetigt die Richtigkeit des Konzepts der Orgatec als umfassende Fachmesse fuer das gesamte Buero."

"Die Orgatec ist keine Computermesse", positionierte Hans Wilke, Geschaeftsfuehrer der Messe- und Ausstellungs GmbH, vor vier Jahren in der COMPUTERWOCHE die Veranstaltung. Gerade in den Ueberschneidungsbereichen von Systemkomponenten, Informations- und Kommunikationstechnik, Peripheriegeraeten, Einrichtung und Ausstattung sei die Messe "einzigartig" und "hoechst zukunftstraechtig". Leider mochte Wilke in diesem Jahr keine Stellungnahme abgeben.

Stichproben unter Ausstellern und Besuchern aus dem Bereich Informations- und Kommunikationstechnik stellen den Anspruch der Messe als internationales Forum fuer alles, was mit dem Arbeitsplatz Buero zu tun hat, in Frage.

"Die Orgatec ist definitiv eine Regionalmesse", urteilt Erik Dynowski, Geschaeftsfuehrer der Via Computer GmbH, Koeln, mit dem Hinweis auf die fehlenden Marktgroessen. Den fuer das Unternehmen insgesamt zufriedenstellenden Messeverlauf fuehrt Dynowski auf die Zugpferde Toshiba und Panasonic zurueck, deren lokale Vertretung Via Computer repraesentiert.

Waehrend die Messegesellschaft betont, dass der Anteil der internationalen Aussteller gestiegen sei, ist die Orgatec nach Meinung von Gabriele Reza, Gruendungsgesellschafterin und Vertriebsleiterin der Egssoft GmbH, Erkrath, "bedauerlicherweise zu einer regionalen Ausstellung mutiert. Seit 15 Jahren besuche ich die Messe, doch noch nie war es so leer wie in diesem Jahr", resuemiert Reza. "Allerdings hatten wir Termine vereinbart und nicht nur darauf gehofft, dass Leute zufaellig vorbeikommen. Die meisten Aussteller waren jedoch sehr enttaeuscht."

Der Schlussbericht spricht von einem "differenzierten Ergebnis bei den Technik-Anbietern, wobei vor allem die gezielte Messevorbereitung eine hohe Besucherqualitaet garantierte". Im Klartext bedeutet der Hinweis, die Hersteller konnten nur dann auf gute Ergebnisse hoffen, wenn sie eine genuegende Anzahl Kunden eingeladen hatten.

Rolf Raubach, Geschaeftsfuehrer der DEJ Datentechnik in Haan und Vertriebspartner von Bull, bestaetigt die Einschaetzung: "Da das Standgeschaeft ueberwiegend mit geladenen Kunden absolviert wurde, ist fuer uns kuenftig als Alternative zur Orgatec durchaus eine Hausmesse denkbar."

Dietmar Ley, Geschaeftsfuehrer der Software-Ley GmbH, Pulheim, bezeichnet die Veranstaltung jetzt schon als "Hausmesse". "Der Messe mangelt es am internationalen Touch. Wie soll sich ein Besucher denn noch orientieren, wenn die Haelfte der Mitbewerber durch Abwesenheit glaenzt? Damit ist der Sinn eines Messebesuchs in Frage gestellt."

Dabei gehoert die Produktlinie dieses Herstellers zu den tragenden und aktuellen Themen: dem Workflow. So verwundert es nicht, dass auch Hersteller- und Anwenderverbaende das Thema zur Grundlage von Orgatec-Foren machten.

Der Publikumszuspruch war laut Dagmar Schimansky-Geier, stellvertretende Vorsitzende des Anwenderfachverbands Buerokommunikation e.V. (VTV) aus Bad Honnef, jedoch gering. Schlecht war auch die Zuschauerresonanz auf die Themen Corporate Networks und Telekommunikation, obwohl sie von Fachleuten aus der Unternehmenspraxis dargestellt wurden. Die veranstaltenden Verbaende konnten jeweils nur knapp ein Dutzend Zuschauer mobilisieren. Die Bewertung der Messeveranstalter, die den Orgatec-Foren eine "erfolgreiche Fortfuehrung" bescheinigten, steht dazu im Widerspruch.

Fuer Klaus Poehlmann, bei ABB Stolz-Kontakt, Heidelberg, zustaendig fuer Bueroorganisation und Kommunikation, haben etwa die Veranstalter des Forums "Tag der TK-Anwender" dem Anspruch nicht genuegt: "Der Verlauf hat mich enttaeuscht." Leider beschraenkten sich insgesamt sechs Redner darauf, ihre Verbaende und ihre Probleme mit dem sich wandelnden Markt darzustellen. Es ging darum, Mitglieder zu werben.

Stolz ist die Messegesellschaft auf den "lebhaften Besuch" an den Staenden der indischen Hersteller. Davon konnte beim besten Willen keine Rede sein. Murali Murti, Direktor vom Software-Promotion- Centre des Igep (The Indio-German Export Promotion Project), unter dessen Dach die zwoelf indischen DV-Hersteller zu finden waren, bezeichnete von vorneherein die Orgatec als ein Wagnis, als "risky choice". Dagegen sei der Erfolg auf der CeBIT sicher. Waehrend der Messe beklagten sich die Aussteller ueber gaehnende Langeweile. "Wir haben relativ gute Ergebnisse erreicht", gab Iwan Medwedew an, Consultant aus Moskau und Organisator des russischen Gemeinschaftsstandes. Die Messe spricht allerdings von einem "vollen Erfolg".

"84 Prozent der Befragten bezeichneten das Orgatec-Angebot als gut oder sehr gut", schreibt die Koeln Messe. Viele Besucher sahen das anders: "Die Messe ist keineswegs interessant, aber sehr gut organisiert" (not interesting at all, but very well organized), befand Pierre Bec, Student aus Frankreich und taetig fuer verschiedene multinationale DV-Unternehmen. Er erhoffte sich von der Buero-Show, Anwender sprechen zu koennen, um zu sehen, wo deren Schwerpunkte liegen: "Die Firma, die mich beauftragt hat, moechte erfahren, welche deutsche Messe fuer eine Teilnahme in Frage kommt. Am ersten Tag war es sehr schwierig, ueberhaupt Leute zu treffen, heute sind Gott sei Dank mehr da."

"Stressig, weitlaeufig und flach", urteilte ein Beamter aus Bonn.

"Das Produktspektrum bei den PC-Kommunikationsloesungen ist zu schmal fuer eine so gross angelegte Messe." Er besuche nicht zum erstenmal die Orgatec, mit Sicherheit aber zum letztenmal.

"Eigentlich hatten wir uns erhofft, innovative ISDN-Loesungen im Bereich Multimedia zu entdecken", aeusserten sich Cornelia Lange und Andrea Giere enttaeuscht. Die beiden Frauen kamen aus Berlin vom Fernmeldeamt 2, Sonderstelle fuer ISDN-Anwendungen (Sofia). "Die Orgatec ist nicht die richtige Messe fuer uns. Wahrscheinlich kommen wir in zwei Jahren nicht wieder."

Der franzoesische Messegast Bec meint, er verstehe zwar die Idee, "Alles, was Buero ist", unter einem Messedach zusammenzufassen, doch die Verbindung sei missglueckt.

"Eine reine Bueromoebelmesse wuerde ich unter keinen Umstaenden befuerworten", nimmt Armin Schroeter, Vorstandsvorsitzender vom Koelner Bundesverband Buerowirtschaft e.V. (BBV), Stellung.

Der BVB dagegen, auf der Orgatec 1992 noch mit vierzig Mitgliedern vertreten, in diesem Jahr mit acht, befuerwortet eine Verkuerzung der Messe auf fuenf Wochentage. Im Fachbeirat fand dieser Vorschlag keine Mehrheit, vor allem Einrichtungsaussteller sollen dagegen votiert haben. Die naechste Orgatec findet voraussichtlich von Dienstag, den 15., bis Sonntag, den 20. Oktober 1996 in Koeln statt.