Steuern ueber Abweichungen, nicht ueber den Regelfall Controlling und Informatik noch kein eingespieltes Team

20.10.1995

Von Uwe Taeger*

Das interne Rechnungswesen als Servicefunktion - Stichwort Controller-Dienste - muss sich in erster Linie an den Informationsbeduerfnissen des Managements ausrichten. Eine Unternehmensfuehrung, die nicht nur auf die Umsatzzahlen der Vergangenheit reagiert, sondern die gegenwaertige und zukuenftige Entwicklung aktiv beeinflussen will, benoetigt fruehzeitige, fundierte und umfassende Informationen ueber alle liquiditaets-, finanz- und erfolgswirtschaftlichen Aspekte.

Controlling im heutigen Sinn besteht nicht nur in einer nachtraeglichen Auswertung von Informationen, sondern in der Formulierung eines Ziels, in der Aufbereitung von Ist- Informationen und schliesslich aus Daten, die die Zukunft "steuern" sollen.

Die Integration leistungsfaehiger Controlling-Instrumente, eines Cost-Management-Planning-and-Accounting-Systems bedeutet daher eine konzeptionelle Weiterentwicklung von der operativen zur taktischen bis hin zur strategischen Planung.

Situatives Rechnungswesen und alternative Planungen

Vom Rechnungswesen wird zunehmend mehr gefordert als die Basisverfahren der Kostenrechnung und Kalkulation. Es soll sich vielmehr zusaetzlich als ein Instrument fuer Simulationsrechnungen und Spezialauswertungen einsetzen lassen, ohne die aktuelle Abwicklung des Tagesgeschaefts zu beeintraechtigen.

Die Voraussetzungen fuer ein situatives Rechnungswesen sind neben der entsprechenden Hardware die objektbezogene Verwaltung der Daten und subjektbezogene Informationen, das heisst, im Idealfall geht der Benutzer mit Tools in die Daten hinein und holt sich die Informationen, die als Beleg, also unverdichtet, abgelegt sind, in dem von ihm benoetigten Verdichtungsgrad.

Relevante Informationen, wenn sie benoetigt werden

Eine moderne Controlling-Software erfuellt diese Anforderungen, indem sie die technischen Moeglichkeiten der relationalen Datenbanken ausschoepft. Sie gestattet ein situatives Rechnungswesen nicht nur durch die Auswertung von Budgetabweichungen zum Ist, sondern auch dadurch, dass sie zusaetzlich entscheidungsrelevante Informationen genau dann zur Verfuegung stellt, wenn sie benoetigt werden.

Waehrend Management by Objectives im Bereich Rechnungswesen und Controlling bedeutet, dass ein Ziel in Form eines Budgets gesetzt wird, tritt daneben gleichwertig das Management by Exception: Die Unternehmensfuehrung steuert ueber Abweichungen, nicht ueber den Regelfall, und sie benoetigt dazu den Direktzugriff auf alle relevanten Daten. Soll zum Beispiel ueber einen Auftrag fuer eine Einzelfertigung entschieden werden, muessen Informationen ueber die Beschaeftigung, die Fixkostendeckung, die Materialintensitaet und aehnliches sofort vorliegen. Bei der Festlegung eines Budgets fuer ein neues Geschaeftsjahr, sei es als Bottom-up- oder als Top-down- Budgetierung, tragen alternative Planungen dazu bei, Outsourcing- oder Make-or-buy-Problemstellungen begruendet entscheiden zu koennen. Zur Beantwortung von Fragen wie "was passiert, wenn der Umsatz um zehn Prozent unter- oder um 20 Prozent ueberschritten wird?"; "Entsprechen die vorhandenen Ressourcen den Beduerfnissen des Markts?"; "Sollen Auftraege nach draussen gegeben oder die Ressourcen ausgebaut werden?"; "Werden durch Aenderung von Variablen jeweils der Best und der Worst case ermittelt. Alternative Planungen setzen also Informationen ueber die Vernetzung des Kostenverhaltens voraus, um aus dem best- und dem schlechtestmoeglichen Fall den wahrscheinlichen herausfiltern zu koennen.

Die Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen im Sinne eines Lean Management fuehrt haeufig zur Bildung von Profitcentern, so dass mehrere weitgehend autonom planende Firmenbereiche gleichzeitig die knappen Ressourcen des Unternehmens in Anspruch nehmen wollen und separate Abrechnungen erfordern. Investitions-, Beschaffungs-, Produktions-, Absatz- und andere Entscheidungen muessen daher nicht nur im Rahmen einer fundierten Planung vorbereitet, sondern auch im nachhinein durch geeignete Dispositions-Kontrollrechnungen ueberwacht werden. Sie sollen die Zweckmaessigkeit der Entscheidungen und nach ihrer Realisierung ihre Wirtschaftlichkeit belegen.

Methodisch hat sich ein zweiteiliger Aufbau der Kosten-, Leistungs- und Ergebnisrechnung als sinnvoll erwiesen. Ein Teil stellt den Aufbau der Grundrechnungen der Kosten und Erloese dar, in denen saemtliche Daten Verwendungszweck-neutral, das heisst ohne gespeicherte Verdichtungen, erfasst werden.

Diese Grundrechnungen sind durch den zweiten Teil - die Auswertungsrechnungen - zu ergaenzen, die den Informationsbeduerfnissen des Managements entsprechen und eine freie Berichtgestaltung bezueglich Zeilen und Spalten sowie Perioden- und Informationsverdichtung aufweisen.

Von der Vollkosten-zur Teilkostenrechnung

Der Einsatz von neuen Recheninstrumenten fuehrt zu konzeptionellen Umstellungen vor allem in der Kosten- und Leistungsrechnung wie auch in der Ergebnisrechnung. In der Praxis steht zwar nach wie vor die klassische Vollkostenrechnung im Vordergrund. Diese wird jedoch sukzessive um Deckungsbeitrags-orientierte Sonderrechnungen ergaenzt, das heisst, es wird ein Uebergang von der Vollkosten- (Ueberwaelzungs-)Rechnung zur Teilkostenrechnung (Grenzkostenrechnung) und damit zur Brutto-Ergebnisrechnung stattfinden.

Eine Vollkostenrechnung auf Basis der Ist-Beschaeftigung und davon abhaengiger Fixkostendegression kann keine entscheidungsrelevanten Daten liefern, da sich in ihr die Verrechnungssaetze mit steigendem Leistungsvolumen aufgrund der Gemeinkostenschluesselungen und Fixkosten-Proportionalisierungen reduzieren.

Auf der anderen Seite ist die heute bereits eingesetzte starre Plankostenrechnung, die grundsaetzlich noch auf der Vollkostenrechnung basiert, in der Lage, proportionale und fixe Kostenarten zu trennen, so dass sich der Trend zu einer Integration der Kostenstellen-orientierten Grenzkostenrechnung und der Kostentraeger-orientierten Deckungsbeitragsrechnung weiter ausbauen laesst.

Die Einfuehrung neuer Technologien hat zu einem grundlegenden Wandel der Kostenstrukturen gefuehrt, das heisst, die fixen Kosten gewinnen, die proportionalen Kosten - mit Ausnahme der Material- und Energiekosten - verlieren an Bedeutung. Das Rechnen mit Grenzkosten reicht also allein nicht aus.

Auf die traditionelle Vollkostenrechnung kann zwar nicht verzichtet werden, da die Vollkosten fuer die Bewertung der Halbfabrikate und selbsterstellten Anlagen in der Bilanz und Ermittlung von Konzern-Verrechnungspreisen notwendig sind. Die Durchfuehrung von Parallelrechnungen, sprich einem abrechnungstechnischen Nebeneinander von Vollkosten- und Entscheidungs-orientierten Rechnungen, erweist sich aber zunehmend als sinnvoll.

Die herkoemmliche Art und Weise der Kostentraegerrechnung, also der Vollkostenrechnung, basiert darauf, dass alle Kosten auf die Kostentraeger abgewaelzt werden. Da jedoch fuer viele Kosten kein klarer Verursachungs-Zusammenhang besteht, ist die Budgetierung der Vollkosten problematisch: Bei Unterbeschaeftigung werden die geplanten Zuschlaege auf die Herstellungskosten verrechnet, decken aber nicht mehr die vollen Kosten ab. Was als Vollkostenverrechnung ausgegeben wird, ist demnach in Wirklichkeit Unterdeckung.

Es wird daher zunehmend nach Moeglichkeiten gesucht, die Kosten verursachungsgerecht zu verteilen. Die Standards of Performance, die in der Vergangenheit zu stark auf die Kostenstellen bezogen wurden, muessen sich auf Prozesse orientierten, die in jedem Unternehmensbereich mit unterschiedlicher Intensitaet entstehen. Sie sollen ermittelt werden und die Frage beantworten: Was treibt meine Kosten in die Hoehe?

Spezifische Informationsbeduerfnisse verlangen mehrdimensionale Kostenstellenhierarchien und eine differenzierte Einteilung der Kostenarten in primaere und sekundaere, in fixe und proportionale Bestandteile sowie in ausgabewirksame und kalkulatorische Kosten. Nur so sind aussagekraeftige parallele oder situationsbedingte Auswertungen der Kostenstellen- und Kostentraegerrechnung moeglich. Da Kostenstellen sehr unterschiedliche Leistungen erbringen koennen, sollte bei der Weiterentwicklung der Leistungs- und Erloesrechnungen der Ausbau der Leistungsrechnung forciert werden. Eine effiziente Steuerung und Ueberwachung benoetigt eine detaillierte Kostenstellengliederung und Kostenartenerfassung.

Aufgabe der Vollkostensicht macht Schwierigkeiten

Neue Produktionstechnologien stellen nicht nur an die Logistik erhoehte Anforderungen hinsichtlich einer Just-in-time-Anlieferung und Anlagenverfuegbarkeit. Sie sind auch fuer die Kosten- und Leistungsrechnung mit erheblichen Konsequenzen hinsichtlich eines umfassenden Fixkosten-Controlling (Prozesskostenrechnung) verbunden. Fuer den Aufbau eines leistungsfaehigen Berichtswesens benoetigt das Management neben einem Instandhaltungs-Controlling objektbezogen ausgewiesene Kosten- und Leistungsdaten.

In den letzten 20 Jahren wurde daher verstaerkt auf die Teilkostenrechnung uebergegangen. Gemeinkosten, die nicht verursachungsgerecht zuzuordnen sind, werden dabei ueber eine mehrstufige DB-Rechnung abgedeckt. Die Aufgabe der Vollkostensicht fuehrt jedoch in vielen Unternehmen zu Schwierigkeiten, die erst durch solche Softwareloesungen behoben werden, die Voll- und Teilkostenrechnungen parallel darstellen koennen.

Eine Schwaeche des Controlling liegt in dem immer noch ueblichen Blick in den Rueckspiegel, dem abrechnungstechnischen Blick: Welche Ergebnisse gibt es, und was lassen sie fuer die Zukunft erwarten? Notwendig ist aber das strategische, das Feed-forward-Denken. Nur wenige Betriebe fuehren ueberhaupt eine Mittelfristplanung durch, denken also ueber das laufende und kommende Geschaeftsjahr hinaus. Dazu muessten sie Portfolios mit strategischen Geschaeftsbereichen erstellen, die zeigen, wo die Produkte plaziert sind und wie sie sich entwickeln, das heisst, welches die Poor dogs, welches die Cash-cows sind.

Informationssysteme fuer ein erfolgreiches Controlling muessen ausserdem empfaengerorientiert sein und verdichtete Informationen dorthin bringen, wo sie benoetigt und analysiert werden. Das zweite Kriterium fuer eine effektive DV-Unterstuetzung ist die Vergleichbarkeit: Die Daten muessen mit anderen Daten und ihrem Kontext in Beziehung gesetzt werden koennen. Und schliesslich soll die Controlling-Software das Instrumentarium der Simulation bereitstellen, so dass sich die Planungsinformationen durch Erwartungsrechnungen variieren lassen.

Im Idealfall eine rollierende Planung

In der Praxis dienen die eingesetzten Controlling-Pakete zwar in erster Linie der Aufbereitung aktueller Informationen, sie werden also im operativen und nicht im strategischen Bereich eingesetzt.

Im Idealfall aber fuehrt das Management eine rollierende Planung durch, die nicht auf reines Stichtagsdenken fixiert ist, sondern nach Ablauf einer Periode eine neue dazunimmt, so dass im Vorlauf immer wieder die gleiche Zeitstrecke bearbeitet wird. Damit koennte die operative Jahresplanung hinfaellig werden, weil Phasen in den operativen Bereich hineinkaemen, die strategisch vorbereitet, sprich bereits integriert sind und "nur noch" von der strategischen auf die operative Ebene heruntergebrochen werden muessten.

Um die Einsatzmoeglichkeiten einer Controlling-Software zu nutzen, muss die Integration der Finanz- und Betriebsbuchhaltung zu einer Integration mit allen Vorfeldern des Rechnungswesens ausgebaut werden. Damit wird eine umfassende Datenbank bereitgestellt, die sowohl der internen als auch der externen Rechnungslegung dient.

Das Zusammenspiel von Controlling und Informatik bietet auf der technischen Seite bereits ein betraechtliches Potential. Um jedoch ein eingespieltes Team zu werden und dieses Potential befriedigend nutzen zu koennen, bedarf es auf allen und nicht nur den Entscheidungsebenen eines Unternehmens einer Offenheit und Flexibilitaet fuer notwendige Umstrukturierungen und Umorientierungen, die haeufig noch "aus der Not" des Umsatzrueckgangs und weniger aus Ueberzeugung und Engagement gespeist werden.

* Uwe Taeger ist Fachredakteur in Tuebingen.