Unklare AIX-Politik der IBM geht zu Lasten der Anwender

Statt der RS/6000 wird die AS/400 angeboten

04.10.1991

Immer noch zeichnet sich die IBM bei ihrem Open-Systems-Engagement offensichtlich mehr durch Sprüche als durch Taten aus. Obwohl die AIX-Rechner im MDT-Geschäft angeblich gleichberechtigt neben der AS/400 stehen, versucht der Direktvertrieb für den kommerziellen Sektor - auch wenn vom Kunden die RS/6000 gewünscht wird - nicht selten noch vehement, das proprietäre Hätschelkind AS/400 zu plazieren. Der Trend zu Unix ist jedoch nicht mehr aufzuhalten; Big Blue muß sich entscheiden, welches System favorisiert wird.

Mit zwiespältigen Gefühlen verfolgt die DV-Branche derzeit die Midrange-Aktivitäten der IBM. Bisher galt die AS/400 nicht nur bei /36- und /38-Anwendern als das unumstrittene Flaggschiff für die Mittlere Datentechnik - es schien, als fahre Big Blue damit im kommerziellen Markt weiterhin die proprietäre Linie, anders als die Konkurrenz, die sich Offenheit auf die Fahnen schrieb. Anfang 1990 trat IBM dann mit der RlSC-Maschine RS/6000 der Unix-Gemeinde bei, doch diese Neuorientierung in Richtung offene Systeme spielte sich nach Auffassung der Kunden mehr in der Theorie als in der Verkaufspraxis ab. Der Grund: Besonders im kommerziellen Bereich fehlte die Applikationssoftware. Anders bei der AS/400 - dort hatte die IBM in kurzer Zeit eine große Schar von Softwarepartnern um sich gesellt, die für das proprietäre Midrange-System Programme entwickelte. Dadurch wurde die herstellerspezifische Lösung für die Anwender interessant.

Seit einigen Monaten vermitteln die Armonker in bezug auf ihre Unix-Politik ein anderes Bild. Verstärkt wirbt der DV-Riese für die RS/6000, die nun auch für den kommerziellen Einsatz ohne Einschränkung angeboten wird. Mehr als 1000 Anwendungen (darunter viele kommerzielle) stehen heute für das RISC-System/6000 bereit. Das Argument der AS/400-Verfechter, es gäbe keine Applikationen für den AIX-Rechner, laßt sich damit nicht mehr aufrechterhalten.

Die Marktforscher von Frost & Sullivan teilen jedoch die Euphorie mancher Unix-orientierter DV-Nutzer - ("IBM meint es mit offenen Systemen jetzt ernst!") - nicht. Ein Rückblick der Analysten auf vier Jahre AS/400 läßt den Schluß zu, daß Big Blue immer noch das Ziel verfolgt, die Anwender in proprietären Fesseln zu halten. So schreiben die Briten in ihrem blauen Insider-Blatt "IBM and his competitors": "In einigen europäischen Ländern wurde der Direktvertrieb angewiesen, die RS/6000 zu verleugnen, es sei denn, sie wird als 'Powerstation' für technische Anwendungen verkauft."

Daß das jeweilige Management in einigen europäischen Ländern solche Anweisungen gegeben haben soll, bezeichnen Mitarbeiter der Abteilung AIX-Marketing der IBM Deutschland schlichtweg als "Unsinn". Was IBMer für frei erfunden halten, bewegt sich jedoch für einige der AIX-Vertriebspartner im Rahmen des Möglichen. Die Softwarehaus-Manager berichten, mit dem IBM-Direktvertrieb in bezug auf die RS/6000 Vermarktung schlechte Erfahrungen gemacht zu haben.

"Ein IBM-Vertriebsbeauftragter bot einem Kunden, der einen Unix-Rechner wollte, eine AS/400 an und sagte fast wörtlich, daß das Unternehmen vom ihm keine Unix-Anlage bekommen würde", erzählt Horst Emmerich, Geschäftsführer der Orga-Soft GmbH. "Ich habe diesen Vorfall der IBM gemeldet. " Der Gröbenzeller Unix-Spezialist weiter: "Dies war aber nicht der einzige Fall. Der Direktvertrieb von Big Blue wollte bei einem weiteren Unternehmen mit allen. Mitteln ein AS/400-Modell plazieren." Ein ähnliches Erlebnis schilderte auch ein zweiter Vertriebspartner, der namentlich nicht genannt werden will. "Wir hatten als IBM-Vertriebspartner die RS/6000 angeboten, davon hat Big Blue beziehungsweise ein einzelner Verkäufer Wind bekommen. Dieser Vertriebsmann offerierte dann als Alternative die AS/400." Bei diesem Kunden war die Intervention des Vertriebs jedoch erfolglos, freut sich der Software-Anbieter, das Unternehmen habe sich schließlich doch für die RS/6000 entschieden.

Dagegen verzeichnet ein anderer Vertriebspartner, Baloghy Computer, Düsseldorf, keine Probleme mit dem Marktführer. Die Unterstützung sei sehr gut, meint der für den kommerziellen Bereich zuständige Marketing-Verantwortliche, Norbert BaIke. Den Support, den der Baloghy-Mitarbeiter ausdrücklich lobt, bemängelt aber Karlheinz Heydorn von der Hamburger HM Orga GmbH. Der HM-Geschäftsführer fühlte sich von Mother Blue schlecht betreut, als er in Düsseldorf seine kommerzielle Anwendungssoftware in Verbindung mit einer RS/6000 anbieten wollte. "Bei der Installation gab es große Probleme mit der IBM. Die Anlage ist super, aber der Support - auch für die Software - ist katastrophal." Das bestätigt auch der DV-Leiter des Unternehmens: "Der Support ist miserabel, wir haben uns schon überlegt, den Vertrag mit IBM wieder zu kündigen." Von der Technik einer RS/6000 habe der IBM-Vertriebsmann keine Ahnung gehabt - und dies auch zugegeben -, aber dafür wurde dreimal die AS/400 angeboten, berichten übereinstimmend das Softwarehaus und der Kunde.

Gerüchteweise kennt man natürlich auch an höherer Stelle bei Big Blue diese Praktiken des Direktvertriebs. Sicher könne es in Ausnahmefällen passieren, daß ein Verkäufer eine AS/400 anbiete, obwohl der Kunden nach einer RS/6000 gefragt habe, meinten IBM-Mitarbeiter. Es gebe Mittelstands-Geschäftsstellen, die sich das AS/400-System auf die Fahnen geschrieben hätten. Da könne es schon vorkommen, daß versucht werde, das proprietäre Midrange-Modell unterzubringen, obwohl der Kunde mit einem Unix-Rechner liebäugelt. Dies sei aber keinesfalls eine Order des Managements, war zu hören.

Dem stimmen auch Branchenkenner zu. Sie unterstellen der Führungsschicht nicht, bewußt den Vertrieb der RS/6000 im kommerziellen Bereich zu blockieren und die Pro-AIX-Werbekampagne nur wegen des Geschäfts im Behördenmarkt und mit technisch-wissenschaftlichen Anwendern gestartet zu haben. Balke: "Die IBM tut sehr viel von der Preispolitik her. Dem muß man entnehmen, daß auch im kommerziellen Bereich ein Interesse am Vertriebserfolg der RS/6000 besteht." Peter Hänscheid, Geschäftsführer der Compunet Projekt-Management GmbH, ist ebenso wie Balke der Meinung, daß die RS/6000 von den Armonkern mittlerweile vorbehaltlos unterstützt wird.

Wenn die Führungsriegen der blauen Europa-Töchter die Unix-basierten RS/6000-Modelle den proprietären AS/400-Systemen gleichstellt, bleibt für die IBM-Klientel aber die Frage offen, welcher Maschine im Midrange-Markt die Zukunft gehört. Hier werden die Armonker um eine Entscheidung nicht herumkommen. Momentan pflegt man bei Big Blue jedoch die interne Konkurrenz, die durch die starke Trennung der einzelnen Produktgruppen hervorgerufen wird. "Wir merken in der Zusammenarbeit mit der IBM den hausinternen Wettbewerb und diese geteilte Philosophie", berichtet Bernd Appel, Branchenbereichsleiter der Hanse Consult GmbH. Durch diese Zerrissenheit werde es der DV-Riese schwer haben, beim Kunden glaubwürdig zu bleiben, wenn "zwei IBM-Vertriebsmänner ein Unternehmen besuchen". Appel: "Der eine sagt, die AS/400 hätte ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, der andere behauptet das gleiche von der RS/6000."

Die für die Anwender unbefriedigende Situation, daß bei Mother Blue auf der Vertriebsebene keine klare Linie gefahren wird, dürfte nach Einschätzung von Hänscheid noch ein bis drei Jahre anhalten. Die neue offenere Ausrichtung der IBM-Führung sei bisher nicht nach unten durchgedrungen. "Die Missionarsarbeit sollte IBM besser hausintern machen", findet daher auch Heydorn. "Die Betreuer von uns Vertriebspartnern kämpfen innerhalb des Hauses gegen Windmühlen. Ich selbst komme mir auch wie ein Wanderprediger für das IBM-RISC-System vor." Bisher sei das Direkt-Marketing noch stark der proprietären Politik des Unternehmens verhaftet.

"Ganz langsam ändert sich die Einstellung", bemerkt Heydorn, "aber wenn ich die letzten eineinhalb Jahre betrachte, dann habe ich das Gefühl, daß viele IBM-Verkäufer versucht haben, die RS/6000 zu blockieren. " Auch in IBM-Kreisen spricht man davon, daß sich der Direktvertrieb jetzt gegenüber Unix-orientierten Anwendern objektiver verhält. Karlheinz Kallabis von der Kallabis Beratungsgesellschaft für Organisation und Datenverarbeitung GmbH hat dementsprechend bereits eine Erfahrung gemacht. "Als ich eine AS/400 angeboten habe, hat der IBM-Vertriebsmann eine RISC-Maschine angeschleppt."

Der Druck kommt von seiten der Kunden, die offene Systeme fordern. Daß Mother Blue deswegen einen Arm nach Unix ausstreckt, ist für die mit IBM verbandelten Anbieter eine klare Sache. "Die AS/400 ist das einzige proprietäre System, das noch gepuscht wird. IBM kann an AIX zwar aus Profitgesichtspunkten kein gesteigertes Interesse haben, muß aber so tun, als ob, weil die Anwender offene Systeme wollen", vermutet Balke. "Der Anwender wird immer mündiger", findet auch Kallabis.

Nur in den neuen Bundesländern scheint man in den DV-Abteilungen noch nicht in eine offene Richtung zu schielen. Folglich sucht die IBM hier über Mittelstandspartner nach Abnehmern für die proprietäre Midrange-Maschine AS/400. Eine Entscheidung, wohin der blaue MDT-Weg führt, steht hier offensichtlich in nächster Zeit noch nicht an. "Wir sind uns über den Zielbereich der Unix-Schiene noch nicht im klaren, und in bezug auf die RS/6000 übt die IBM nicht viel Druck auf uns aus", berichtet Wolfgang Ladewig, Geschäftsbereichsleiter für Vertrieb und technischen Service beim Datenverarbeitungszentrum Leipzig. Derzeit versuche man mit der IBM "wirklich noch die AS/400 an den Mann zu bringen".

Dagegen fragen sich die westdeutschen Vertriebspartner, etwa bei Hanse Consult, "ob die AS/400 in Zukunft eine große Rolle spielen wird". Appel, dessen Unternehmen mit den /3x-Umsteigern einen guten AS/400-Umsatz verzeichnet, versichert: "Wir wissen genau, wenn es mit den SAP-Applikationen und im Unix Markt vorangeht, wird die Nachfrage nach Unix im kommerziellen Bereich steigen. "