Podiumsdiskussion auf der Systems '98

Startups: Nicht Gründer, sondern Unternehmer braucht das Land

10.11.1998
Von Andrea Goder* MÜNCHEN - "IT-Startups - Deutsche Gründerszene" lautete das Motto des letzten Tages im COMPUTERWOCHE-Forum "Jobs & Karriere", das auf der Systems '98 gemeinsam mit der Messe München veranstaltet wurde. Wege in die Selbständigkeit - Chancen, Motive, Hindernisse und Erfolgsfaktoren waren dabei die Themen einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion. Der Tenor unter den Diskutanten war einhellig: Risikokapital für angehende Unternehmer gibt es mittlerweile auch hierzulande in Hülle und Fülle.

Die Erkenntnis, daß Wagniskapital zumindest ab einer bestimmten Firmengröße das richtige Finanzierungsinstrument für Existenzgründer ist, scheint in deutschen Landen immer breitere Kreise zu ziehen. Auch wenn man in der mittlerweile vielzitierten Gründerszene das Wort Existenzgründung nicht mehr so gerne in den Mund nimmt. "Der Aufbau unseres Unternehmens wäre ohne fremdes Eigenkapital nicht möglich gewesen", brach beispielsweise Stephan Schambach, Gründer und CEO von Intershop Communications, eine Lanze für die Venture-Capital-Industrie.

Warum sich das in Deutschland lange Zeit nur spärlich geflossene Wagniskapital für immer mehr Startups als Königsweg zu schnellem Wachstum herauskristallisiert, stand denn auch im Mittelpunkt der Diskussion. Neben den kräftigen Finanzspritzen, die sich in der Regel in einer Größenordnung zwischen zwei und 30 Millionen Mark bewegen, sollten Risikofinanciers aber auch "Know-how" in ihre Portfoliofirmen einbringen, betonte Falk Strascheg, Geschäftsführer der Münchner Technologieholding VC GmbH.

Was dies konkret bedeutet, machte der Risikokapitalspezialist im Folgenden deutlich: Unterstützung von Management und Marketing, um sich auf diese Weise "an der Wertschöpfung eines Unternehmens zu beteiligen". Was Strascheg zufolge vor allem bei deutschen Startups im IT-Umfeld sehr wichtig ist. Grund: Die vielfach zu hörenden und lesenden (Vor)urteile treffen zu: Deutsche Gründer sind zu technikverliebt, zu spezialisiert - vor allem mangelt es ihnen an einer auch nur in Ansätzen erkennbaren unternehmerischen Ausbildung.

Ein Defizit, das auch vom Münchner Marketing- und Public-Relations-Experten Paul Maisberger bestätigt wurde. Viele Gründer aus der IT-Szene rennen seiner Erfahrung nach schon bei den ersten Gehversuchen als Unternehmer in ihr Unglück. Was auch damit zusammenhänge, daß an den deutschen Hochschulen die Ausbildung der Youngster in den Bereichen Marketing und Vertrieb lange Zeit "sträflich vernachlässigt" wurde. Maisberger weiß, wovon er spricht. "Hinterher ist man immer klüger" heißt der Titel einer von ihm in Zusammenarbeit mit der "Süddeutschen Zeitung", der Deutschen Ausgleichsbank in Bonn sowie diversen Industrie- und Handelskammern erstellten Studie, die Erfahrungen und Erlebnisse rund um die Unternehmensgründung zusammenfaßt. Als besonders beunruhigend empfinden die Firmengründer in spe demnach mangelnde Sicherheiten beziehungsweise das Problem der Wachstumsfinanzierung sowie - damit verbunden - die Abhängigkeit von Geldgebern.

Womit wir wieder bei den Financiers als "Berater des Unternehmens" wären. Risikokapitalgeber an Bord zu haben bedeutet, Anteile am eigenen Unternehmen abzugeben. Im Klartext: Sich vom "Herr-im-eigenen-Haus-Gehabe zu verabschieden", wie Schambach es nannte. "Teilen, teilen und nochmals teilen" laute deshalb eine der wichtigsten Devisen für den Chef einer modernen IT-Company. Anders formuliert: Kompetenz abgeben und dafür Know-how ins Unternehmen holen. Das impliziere allerdings nicht, wie der Intershop-Chef häufigen Befürchtungen entgegentrat, daß sich die Investoren in grundsätzliche Unternehmensfragen einmischten.

"Partner zu finden, die das Unternehmen mit dem gleichen Ziel weiterführen wie man selbst", ist deshalb auch für Josef Hübl das "einzige, was zählt". Der Regensburger hat sich vor einigen Jahren mit seinem auf Componentware spezialisierten Softwarehaus Triple-S selbständig gemacht. Jetzt, wo nach der harten, aber letztlich erfolgreichen Startphase die weitere Markterschließung inklusive Internationalisierung angesagt ist, kommt der bisher in Finanzangelegenheiten eher konservativ operierende Oberpfälzer an der Inanspruchnahme von Risikokapital nicht mehr vorbei. Wie überhaupt es sich Newcomer im IT-Umfeld immer weniger leisten können, nur die heimische Business-Luft zu schnuppern. Die Musik spielt in den USA, wenn nicht weltweit - auch und gerade in der Software-Industrie. Die Formulierung "Deutsche Gründerszene" hat deshalb, auch das kam beim "Gründertreff" der CW auf der Systems È98 klar zum Ausdruck, einen etwas irreführenden Klang.

Will ein Jungunternehmer sein Geschäft von Beginn an international auf Touren bringen, sollte er jedenfalls bereits bei der Wahl der Investoren, also Risikokapitalgeber, darauf achten, daß diese nicht nur auf den Gebieten Finanzierung und Unternehmensberatung kompetent sind, sondern auch über ein globales Netzwerk verfügen. So geschehen bei Intershop. Bereits drei Wochen nach dem Einstieg der VC-Financiers von der Technologieholding konnten die Jenaer - seit geraumer Zeit bekanntlich die Shooting-Stars im Internet-Commerce-Markt - Firmenchef Schambach zufolge mit dem Aufbau des US-Geschäfts beginnen. "Junge Unternehmen, die es nicht schaffen, ihr Produktangebot schnell zu internationalisieren, verschwinden wieder von der Bildfläche", warnte Schambach.

Obwohl sich die Rahmenbedingungen für Unternehmensgründer in Deutschland stark verbessert haben, sind die Hürden, um an die begehrten Millionen zu kommen, noch immer sehr hoch. Und das ist auch gut so. Die Spreu muß vom Weizen getrennt werden. Nicht jede Ein-Mann-Softwarebude kann finanziert werden. Strascheg stellte klar, warum: Unternehmen, nicht Existenzgründer braucht das Land, zumindest wenn man "in Zukunft eine international bedeutsame IT-Branche in Deutschland haben möchte". Die Risikokapitalindustrie ihrerseits sucht natürlich auch lohnenswerte Investments. Finanzierung, Wachstum, Erlangung der Marktführerschaft oder zumindest einer führenden Position im jeweiligen Business-Segment, erfolgreicher "Exit" durch Börsengang oder Verkauf der Company ist der Lauf der Dinge, wie ihn die Geschäftsprinzipien der Wagniskapitalisten vorgeben. "Strukturbedingt", wie der Technologieholding-Chef es nannte, beschränken sich VC-Gesellschaften wie die seine deshalb auf wenige Investments, jährlich maximal 20 bis 30 Firmen. Das wiederum bedeutet, daß 90 Prozent aller eingereichten Geschäftsideen von den Herren beziehungsweise Vermittlern des großen Geldes abgelehnt werden.

Welche Finanzierungspfade Existenzgründern dann noch bleiben, ist hinlänglich bekannt: der Ritt durch den Dschungel der unzähligen Fördermittel oder der Gang zur Hausbank. Doch Vorsicht auch hier: Schon ab einer Summe von 100 000 Mark kann nach einer Firmenpleite der Bankkredit zum lebenslangen Alptraum werden. Startups bleibe daher nichts anderes übrig, als sich zu einem "attraktiven Happen zu entwickeln, nach dem die Risikokapitalgeber schnappen", faßte Triple-S-Gründer Hübl dieses Dilemma vieler Jungunternehmer zusammen.

Unabhängig davon grassiert das Gründungsfieber in Deutschland - auch und gerade im IT-Sektor. Gründermessen öffnen ihre Tore, Businessplan-Wettbewerbe schießen allenthalben wie Pilze aus dem Boden, und auch das Informationsangebot im Internet ist mittlerweile immens. Daß auch bereits das Ausland vom hektischen Treiben der Gründer hierzulande Notiz genommen hat, zeigt das Beispiel Bill Barhydt - ein Amerikaner, der auszog, um mit einer Internet-Geschäftsidee, die noch so neu und unausgegoren ist, daß er darüber nicht reden wollte, in der deutschen Startup-Szene sein Glück zu versuchen. Sein Beweggrund: "In den USA ist es momentan extrem schwierig, gute Softwareleute zu finden."

Manch einer hört hier das berühmte Gras wachsen. Glaubt man jüngsten Berichten in den Medien, hat das vielgepriesene Silicon Valley, das Mekka nicht nur der weltweiten IT-Industrie, sondern auch der internationalen Venture-Capital-Branche, seinen Zenit überschritten. Entlassungen bei namhaften Halbleiterproduzenten, der Crash an den Börsen, hohe Löhne und Immobilienpreise, Verkehrsprobleme etc. lassen grüßen! Doch noch hat Kalifornien für die deutsche Gründerszene einen unbestrittenen Modellcharakter. Denn in der Region zwischen San Franzisko und San Jose wird bekanntlich schon seit gut zwei Jahrzehnten vorexerziert, was in Deutschland jetzt erst in Gang gekommen ist. Intershop-CEO Schambach warnte deshalb zum Schluß vor Schadenfreude oder "typisch deutschem Pessismus". So falsch könne es nicht sein, "die Venture-Capital-Kultur in Deutschland zu fördern".

TEILNEHMER

- Bill Barhydt, Webcentric GmbH, München;

- Josef Hübl, Triple-S GmbH, Regensburg;

- Ralf Karabasz, Synergie GmbH, Bonn;

- Paul Maisberger, Maisberger & Partner, München;

- Stephan Schambach, Intershop Communications AG, Jena;

- Falk Strascheg, Technologieholding VC GmbH, München;

- Moderation: Gerhard Holzwart, COMPUTERWOCHE