Studie über Vor- und Nachteile der Existenzgründung

Start in die Selbständigkeit: Die Risiken richtig ausloten

27.10.2000
Die Arbeitsbelastung ist immens. Das Risiko, an fehlendem Wirtschafts-Know-how zu scheitern, enorm. Dennoch: Die "Neuen Selbständigen" in der Informations- und Multimedia-Branche wollen mit niemandem tauschen. Das zumindest ergab eine Online-Befragung des Instituts Arbeit und Technik (IAT) in Gelsenkirchen. Von Veronika Renkes*

Die Neuen Selbständigen stehen unter hohem Leistungs- und Termindruck. Trotz der damit verbundenen Probleme aber sind die Existenzgründer mit dieser Art der Erwerbsform sehr zufrieden. Das ist das erste Ergebnis einer Online-Befragung, die das IAT bei 140 Einzel- und Kleinstunternehmen umgesetzt hat. Die Umfrage ist Teil des Projektes "Neue Selbständige in der Informationsgesellschaft", mit dem das IAT und der DGB die Interessen, Probleme und Bedürfnisse der Selbständigen identifizieren und geeignete Bildungs- und Beratungsangebote entwickeln wollen. Die wichtigsten Argumente für den Schritt in die Selbständigkeit sind: "Die Chance auf ein höheres Einkommen; sich nicht mehr vorschreiben zu lassen, was man zu tun und zu lassen hat; die Aussicht, interessantere Aufgaben übernehmen zu können und dass man sich seine Partner und Kunden aussuchen kann", fasst Achim Vanselow, Arbeitsmarktexperte beim IAT, zusammen.

80 Prozent der Befragten äußerten sich weitgehend oder vollkommen zufrieden, 92 Prozent wollen auch in Zukunft weiter selbständig sein, und nur ein Prozent möchte in eine abhängige Beschäftigung zurückkehren. Diese hohe Zufriedenheit überrascht, nachdem die Befragten zugegeben haben, dass sie unter der hohen Arbeitsbelastung, schwankendem Einkommen sowie steuerlichen und juristischen Problemen litten. 46 Prozent schätzen mit 50 und mehr Arbeitsstunden in der Woche ihre Arbeitszeit als eher zu hoch ein, sieben Prozent arbeiten sogar über 70 Stunden in der Woche. Die Mehrzahl der Befragten (57,9 Prozent) beschäftigt keine festen Mitarbeiter, häufig heuern sie freie Kräfte an. Fast zwei Drittel waren vor ihrer Selbständigkeit abhängig beschäftigt, davon sehr viele in leitenden Positionen. "Die meisten Gründer in der Informations- und Multimedia-Branche sind Informatiker. Es gibt aber auch die klassischen Quereinsteiger mit recht schillernden Berufsbiografien", so Vanselow.

"Mein eigener Chef wollte ich schon immer sein, also warum nicht sofort nach dem Studium", meint Frank Hilliger und gründete 1998 das Softwareunternehmen C/S Sol Client/Server Solution GmbH in Wächtersbach. Allerdings mit einem staken Partner an der Seite. Siegfried Czakay, Inhaber der Ctc Computertechnik GmbH, Anbieter von Schulungen im Bereich Unix, Softwareentwicklung und Netzwerk-Management, lieferte das Startkapital, Know-how und die dazugehörige Infrastruktur für die Gründung des Unternehmens. Dafür erhält er Unternehmensanteile in Höhe von 50 Prozent. Die Investition lohnt sich, meint Czakay. Aber auch Hilliger ist zufrieden: "Für mich war es wichtig, jemanden zu haben, der mich an die Hand nimmt. Außerdem brauchte ich mir über zu wenig Aufträge keine Sorgen zu machen." Dies bescherte ihm eine durchschnittliche Wochenarbeitzeit von 60 bis 70 Stunden - und ein gutes Einkommen. Mittlerweile hat er drei Mitarbeiter und kann das erste Mal seit 1998 eine Woche Urlaub nehmen.

Kennen gelernt haben sich die beiden Partner während eines Praktikums, das der damalige Informatikstudent Hilliger 1995 bei der Ctc absolvierte. Der kluge Kopf fiel auf und passte in die Vision des Mathematikers Czakay: Eine Unternehmensfabrik aufzubauen aus Kleinunternehmen, die bis zu 20 Mitarbeiter haben und Spezialdienstleistungen anbieten. Die Ctc finanziert die Starteinlage, liefert Hard- und Software, rekrutiert das Personal und liefert durch Coaching das meist fehlende bewirtschaftliche Wissen, hilft bei der Preisgestaltung, beim Vertrieb und beim Markteintritt.

Diese erste Hilfestellung scheint die ersten Kernprobleme der Marktneulinge abzufedern. "Die Schwierigkeit von vielen Existenzgründern sind die fehlenden Referenzen", meint Arbeitsmarktexperte Vanselow. Um Aufträge erfolgreich zu akquirieren, müssten die Anbieter ihren Kunden nachweisen können, dass sie bereits ein Projekt erfolgreich beendet haben. Zudem müssten die Jungunternehmer die ökonomischen Zahlen im Griff haben und den Markt richtig einschätzen können. Genau in diesem Punkt hat so mancher Existenzgründer noch Nachholbedarf, so Sponsor Czakay. Viele hätten zwar gute Ideen, könnten aber nicht einschätzen, ob sich die daraus entwickelten Produkte auch verkaufen lassen.

Die meisten Kleinunternehmer greifen auf lokale Netze zurück und arbeiten mit Leuten zusammen, die sich untereinander kennen. Auf diese Weise werden auch die ersten Kundenkontakte geknüpft. In diesen Strukturen sind weniger die großen Marketing-Kampagnen als gut funktionierende Beziehungsgeflechte wichtig, so die Studie. Eine weitere Möglichkeit, Aufträge an Land zu ziehen, bieten die Projekt- und Internet-Börsen sowie die Zusammenarbeit mit Agenturen. Denn viele Kunden arbeiten nicht gern mit einzelnen Freiberuflern zusammen, sondern wollen zur Absicherung größere Ansprechpartner im Hintergrund haben.

Feste Mitarbeiter sind ein zu großes RisikoSo arbeitet auch der 28-jährige Ulrich Louis, der sich mit einer Internet-Agentur in Detmold selbständig gemacht hat, seit vier Jahren erfolgreich mit einem DV-Unternehmen zusammen. Louis konzipiert und programmiert Homepages, seine Kunden erhält er über seinen Kooperationspartner. Auch er hat keine festen Angestellten, sondern greift seinerseits auf Freelancer aus der Region zurück, um die Kosten bei Auftragsleerlauf im Griff zu haben - ein typisches Verhalten, wie die Umfrageergebnisse zeigen: Viele Freiberufler bevorzugen die Zusammenarbeit mit anderen Freien. Feste Mitarbeiter einzustellen wird oft als zu großes Risiko eingeschätzt, berichtet Vanselow. Das hänge aber auch davon ab, wie lange sich ein Unternehmen bereits am Markt halte und auf welche finanziellen Polster es zurückgreifen könne.

Dies ist offensichtlich der Unternehmerin Pia Bohlen gelungen. Vor zweieinhalb Jahren hat sie mit einem Partner in Düsseldorf die Xbyte Online Communication, Bohlen & Mayen GbR gegründet. Die Internet-Agentur entwickelt Online-Kommunikationsstrategien. Der Start war nicht leicht: "Die ersten zweieinhalb Jahre haben wir jeden Abend bis 23 Uhr und auch am Wochenende gearbeitet. Das hält man auf Dauer nicht aus: Es gibt gesundheitliche Probleme, oder man stellt sich die Sinnfrage", meint die Architektin. Auch das knappe Budget des Kunden verhinderte das Wachstum von Xbyte. "An kleine Firmen werden zunächst einmal keine großen Aufträge vergeben," schildet Bohlen ihre Erfahrungen. "Auch sind die kleinen und mittelständischen Betriebe sehr skeptisch, wenn es um Online-Etats geht". So glaubten die Kunden immer noch nicht, dass sie mit einem guten Internet-Auftritt Geld erwirtschaften können, und seien deshalb sehr sparsam.

Darum entschlossen sich die Jungunternehmer, einen Schritt nach vorn zu wagen, und besorgten sich bei ihrer Hausbank und innerhalb der Familie eine Finanzspritze. Obendrein stellten sie weitere sechs Fachkräfte ein. Die Strategie ging auf. Heute überlegen sich die Düsseldorfer, welche Kunden für sie die richtigen Partner sind und zu ihren Geschäftszielen beitragen können. Ein wichtiger Schritt, den auch der erfahrene Unternehmer Czakay gegangen ist. "Unser Hauptproblem ist, unternehmerisch geschickt zu entscheiden, welche Aufträge wir ablehnen", erzählt Czakay. Dies entscheide er nach strategischen Interessen und nicht allein nach der Frage der Rentabilität. Das sei ein bisschen wie Schachspielen. Dabei versuche er auch zu erkennen, wie finanzkräftig ein Kunde in fünf Jahren noch sein kann. Er habe sogar einen Auftrag über mehr als eine Million Mark zurückgegeben, weil der Auftraggeber seine Mitarbeiter terrorisiert habe.

Als Czakay vor 20 Jahren mit seinem ersten Unternehmen an den Start ging, musste auch er Lehrgeld zahlen. Er hatte zwei Computer verkauft. Einen an eine Kommune, einen anderen an ein Unternehmen. Er rechnete mit 60000 Mark Umsatz. Die Kommune zahlte erst nach vier Monaten, obwohl eine Frist von acht Tagen vereinbart worden war - und Czakay war bei Lieferung des Computers pleite.

Ähnliche Erfahrungen hat auch Bohlen sammeln müssen: "An den falschen Kunden kann ein junges Unternehmen auch in den ersten Jahren scheitern, das fängt schon damit an, dass sie Projekte unnötig in die Länge ziehen." Jetzt überlegen sich die Düsseldorfer, ob sie sich auf Serviceleistungen spezialisieren sollten, um wirtschaftlicher arbeiten zu können.

*Veronika Renkes ist freie Journalistin in Bonn.