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Standpunkt/Irgendwann muss es doch gesagt werden: Das Internet ist schwach

02.02.1996

Von Mark Gibbs*

Letztes Wochenende kamen Freunde zu uns zum Essen. Sie kennen sich mit Computern nicht besonders aus. Also schwaermte ich ihnen in den hoechsten Toenen vom Internet vor. "Das ist eine irre Sache, Ihr werdet begeistert sein!" sagte ich und zeigte ihnen ein paar heisse Adressen und Java-Applets.

"Na und? Da ist das Nintendo-Videospiel von unserem Junior viel interessanter", lautete in etwa ihre Reaktion.

Und wissen Sie was? Sie hatten recht. Das Internet ist schwach. Richtig, es wird hier zum erstenmal ausgesprochen: schwach.

Ich habe viel darueber nachgedacht, und heraus kamen dabei die zehn fuer mich wichtigsten Gruende, warum das Netz schwach ist:

10. Anmacherei. Ich bin es leid, mit anzusehen, wie die Leute sich gegenseitig anpoebeln. In den letzten Monaten habe ich in jeder Newsgroup-Liste solche Anmachereien gesehen. Leute, gebraucht euren Verstand! Hoert auf mit dieser Rechthaberei und den Zurechtweisungen! Sie sind kindisch. Und schwach.

9. Leistung. Das Netz als Ganzes scheint immer langsamer zu werden, obwohl jeder Carrier seine Bandbreite erhoeht. Diese Verzoegerungen sind verantwortlich dafuer, dass Anfragen beim Domain- Name-Service jetzt immer haeufiger scheitern. Und es gibt mehr Verbindungsabbrueche denn je. Einfach schwach.

8. Sites "noch im Aufbau" oder "letztmals aktualisiert am 1. Juni 1993". Dies beweist Nachlaessigkeit und einen Mangel an Konzentration beziehungsweise Organisation - und ist aeusserst schwach.

7. Fehlende Links. Viel zu viele Web-Sites fuehren zu "404"- Fehlermeldungen, weil ihre Manager die Seite reorganisiert oder verlegt haben oder auch einfach nicht ueberpruefen, ob ihre Links funktionieren. Das frustriert und ist ein Aergernis und sollte mit Strafe belegt werden.

6. Der Domain-Name-Service. Er muss moeglichst bald ersetzt werden. All das .com-Zeug ist unnatuerlich. Ich moechte mein Unternehmen unter seinem Namen - Gibbs und Co.- finden und nicht unter dem obskuren Technokuerzel gibbs.com. Da lobe ich mir X.500.

5. Werbung statt Inhalt. Was veranlasst die Besitzer von Web-Sites eigentlich zu dem Irrglauben, der Bloedsinn, den sie in ihren normalen Anzeigen verzapfen, habe im Netz irgendwelche Erfolgschancen? Ueberstrapazierte Metaphern, belanglose Bilder, Selbstdarstellung statt Produktinformation - die Litanei solcher Suenden liesse sich beliebig fortsetzen.

4. E-Mail-Schrott und -Gesuelze. Ueber diese nervtoetenden Praktiken ist nicht viel mehr zu sagen, als dass ihre Urheber verpruegelt und sterilisiert gehoeren. Und auf ihre Stirn sollte "schwach" taetowiert werden.

3. Newsgroups. Etwa 99 Prozent von ihnen duerfte es ueberhaupt nicht geben. Pubertaer, streitsuechtig und haeufig so infantil, dass man sich fragt, ob die Mitglieder denn debil seien. Viele Newsgroups sind dermassen schwach, dass es nur noch peinlich ist.

2. Internet-Service-Provider. Die meisten von ihnen kapieren einfach nicht, dass das Internet immer mehr zu einem Endkundenmedium wird und man mit Spitzenpreisen bei miserablem Service noch nie weit gekommen ist. Aber die rauhe wirtschaftliche Realitaet wird den ISP-Markt in den kommenden zwoelf Monaten ziemlich bereinigen. Und das ist nicht eine Minute zu frueh.

Und hier das Anti-Internet-Argument Nummer 1:

Anwendungssoftware fuer das Internet. Gewiss, es gibt einige tolle Ideen und Anwendungen. Aber die meisten Browser sind schwach bis grauenhaft. Die Software ist zum grossen Teil instabil. Und die Anwahlroutinen sind unter aller Kanone. Und die Oberflaechen sind so tueckisch wie eine in die Enge getriebene Ratte. Und, und, und ... Trauriger Fakt ist: Die Software fuer Internet-Anwender ist unglaublich schwach.

All das wird irgendwann in Ordnung gebracht, da bin ich sicher. Bis dahin aber sehen wir den Tatsachen besser ins Auge: Das Internet ist schwach.

*Mark Gibbs ist Autor der CW-Schwesterpublikation "Network World".