Standortorientierte Arbeitsweise tritt in den Hintergrund In Wabenorganisationen schlank und elektronisch kommunizieren

08.07.1994

Einzelne Komponenten von "Electronic Commerce" wie "Messaging" praegen bereits heute in den Alltag vieler weltweit operierender Unternehmen. Im Beitrag von Horst Heckroth* geht es um das Einbeziehen von Kosten-Nutzen-Berechnungen fuer die elektronische Kommunikation ins Business-Re-Engineering sowie um Kostenvergleiche gegenueber herkoemmlichen Kommunikationsformen.

Die Globalisierung der Maerkte und zunehmender Wettbewerbsdruck fuehren zu einer radikalen Umorientierung in der Wirtschaft. Wurde zunaechst damit begonnen, Prozesse innerhalb der Produktionsbereiche zu optimieren, sind mittlerweile viele Unternehmen dazu uebergegangen, auch ihre gesamten Organisationsstrukturen auf Effizienz zu ueberpruefen. Die Umsetzung von Lean Management beziehungsweise die Durchfuehrung von Busines Re-Engineering hat einschneidende Veraenderungen zur Folge.

Immer mehr Firmen verabschieden sich von hierarchisch strukturierten Organisationsformen zugunsten sogenannter Wabenorganisationen. Die standort- und abteilungsorientierte Arbeitsweise tritt zunehmend in den Hintergrund.

Statt dessen werden verstaerkt projektbezogene Arbeitsgruppen gebildet, deren Mitglieder aus unterschiedlichen Abteilungen und Laendern oder sogar aus anderen Unternehmen kommen koennen. Die Virtual Company wird somit fuer viele Bereiche Realitaet. Voraussetzung ist allerdings, dass eine entsprechende Kommunikations-Infrastruktur geschaffen wird.

Wabenorganisationen sind horizontal beziehungsweise prozessbezogen ausgerichtet. Oft sind sie darueber hinaus global angelegt, womit der "Gang ueber den Flur, um kurz den Kollegen zu fragen" oftmals nicht mehr moeglich ist, da der Ansprechpartner nicht selten auf einem anderen Kontinent in einer anderen Zeitzone sitzt. Die technischen Grundlagen fuer die Kommunikation sind heute primaer zentrale Datenbanken, Computer- und Terminalnetze sowie funktionsbezogene Anwendungen (zum Beispiel fuer Finanzwesen, Vertrieb, Entwicklung etc.).

Die Ausrichtung auf eine projektbezogene Arbeitsweise verlangt jedoch eine flexible Anpassung der Kommunikationsmittel. Haeufig wechselnde Ansprechpartner muessen direkt und schnell zu erreichen sein - unabhaengig von ihrem lokalen Standort. Andererseits duerfen dem einzelnen nur so lange projektbezogene Informationen zur Verfuegung stehen, als er Mitglied in der entsprechenden Gruppe ist.

Erforderlich sind also technische Hilfsmittel, die weniger funktional beziehungsweise vertikal ausgerichtet sind, als vielmehr prozessbezogen oder horizontal. Schluesseltechnologien fuer die horizontale Kommunikation sind Electronic Mail, Electronic Messaging, Electronic Data Interchange sowie Electronic Commerce.

- Electronic Mail ermoeglicht den Austausch von Nachrichten auf elektronischem Wege sowohl innerhalb lokaler Arbeitsgruppen als auch global.

- Electronic Messaging bezeichnet die Gesamtheit aller Datenaustauschaktivitaeten auf Basis einer international eingefuehrten offenen Infrastruktur. Electronic Messaging schliesst E-Mail ein, enthaelt allerdings weitere Services beispielsweise fuer den File-Transfer, die Verarbeitung von Multimedia-Daten und das Einbinden von proprietaeren Mail-Systemen.

- Electronic Data Interchange (EDI) hat den Austausch von Geschaeftsdokumenten wie Lieferscheinen, Rechnungen, Vertraege etc. zum Inhalt. Bislang setzte diese Art der Kommunikation bilaterale Vereinbarungen zwischen Sendern und Empfaengern voraus. Aufkommende Standardisierungen machen nun auch den internationalen Datenaustausch moeglich.

- Electronic Commerce bezeichnet die Uebermenge aller Aktivitaeten und beinhaltet ueber die technische Realisierung hinaus auch organisatorische Aspekte wie die bewusste Gestaltung von Informationsfluessen zwischen Geschaeftspartnern.

Bei der Realisierung dieser Kommunikations-Infrastrukturen besteht die Aufgabe der DV-Verantwortlichen darin, die in den Unternehmen vorhandenen technischen Mittel miteinander zu verknuepfen, gegebenenfalls externe Partner mit einzubinden, manuelle Arbeitsvorgaenge zu automatisieren und die Voraussetzung fuer die Administration des gesamten Systems zu schaffen. Das Optimieren von Arbeits- und Kommunikationsprozessen bedingt ferner, dass aktuelle Themen wie Workflow-Management, Groupware, Imaging und Multimedia schon in der Planung beruecksichtigt werden und beim Aufbau der Electronic-Messaging-Infrastruktur ein Schwerpunkt auf Flexibilitaet zu legen ist.

Das Ziel, Kommunikation zu vereinfachen und zu beschleunigen, laesst sich nur realisieren, wenn sich die technischen Kommunikationsstrukturen den wechselnden Unternehmensstrukuren anpassen. Es nuetzt beispielsweise wenig, eine Abteilung in eine neue Division zu gliedern oder Mitarbeitern neue Funktionen zuzuweisen, wenn der Kommunikationsweg dorthin erst vier Wochen spaeter zur Verfuegung steht. Im Rahmen des Electronic Messaging sind zu diesem Zweck automatisierte Tools zu entwickeln, die sowohl hierarchisch orientierte Umstrukturierungen als auch gewandelte Aufgaben der Mitarbeiter zeitgleich mit dem Wirksamwerden von Organisationsaenderungen umsetzen koennen. Jedes System muss, unabhaengig von der technischen Umsetzung, verwaltet werden.

Die einzelnen Abteilungen in hierarchischen Organisationen wie Buchhaltung, Personalwesen, Produktentwicklung etc. nutzen voellig unterschiedliche Loesungen und Anwendungen, wobei die Administration in der Regel lokal gehandhabt wird.

In Wabenorganisationen dagegen muessen sich die unterschiedlichen DV-Systeme an beliebigen Standorten zu einem Kommunikationsverbund integrieren lassen. Dies erfordert jedoch eine zentral verfuegbare, auf die Einzelkomponenten abgestimmte, uebergreifende Verwaltung. Electronic Messaging baut auf einer Infrastruktur, bestehend aus Endgeraeten, Servern, Netzwerken und deren Schnittstellen zu oeffentlichen Diensten auf. Wenn diese Kommunikationswege nicht bereitstehen, bricht die Kommunikation zusammen. Folglich ist ihre zentrale Ueberwachung mit Netzwerk-Management-Tools wie Sun Netmanager, HP Openview oder Netview von grosser Bedeutung.

Bedeutet das die Etablierung eines in der DV ueberwunden geglaubten Verwaltungsapparats? Sicher nicht. Die zur Verwaltung eines solchen Systems benoetigten Komponenten lassen sich auf der Basis von SNMP (Simple Network Management Protocol) und MIB (Management Information Base) standardisieren und damit auch automatisieren. Professionelle Loesungen kommen deshalb in der Praxis mit einem Operator je 50000 Teilnehmer aus.

Unabhaengig vom jeweiligen Mailsystem

Bei der lokalen Administration zeigt sich einer der wichtigsten Qualitaetsfaktoren von Electronic-Messaging-Systemen. Eine professionelle Loesung integriert die bereits vorhandenen Kommunikationsstrukturen, vor allem die oft lokal schon genutzten Mail-Systeme. Eine wesentliche Rolle hierbei werden in Zukunft vermehrt die Standards X.400 und X.500 spielen. Waehrend X.400 dafuer sorgt, dass Nachrichten ausgetauscht werden koennen, ermoeglichen X.500-Verzeichnisse die einfache Verwaltung. Das Wissen ueber den Empfaenger, seinen Standort und den Weg, ueber den er erreicht werden kann, ist ueber X.500 unternehmensweit vorhanden. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass der Anwender in der Lage ist, sein Mail-System oder seine Applikation wie gewohnt zum Austausch von Informationen einzusetzen. Der einzige und fuer ihn wesentliche Unterschied besteht darin, dass er flexibel und problemlos mit anderen kommunizieren kann - unabhaengig von den jeweils genutzten Mail-Systemen, Applikationen, Betriebssystemen und der entsprechenden Netzwerktechnologie.

Electronic-Messaging-Loesungen bilden zunehmend die Basis fuer den elektronischen Datenaustausch (EDI) zwischen Unternehmen. Aufbauend auf dem Standard X.435, ersetzt die Electronic- Messaging-Infrastruktur die vielen bilateralen Vereinbarungen, die bisher zwischen Unternehmen getroffen werden mussten, um Geschaeftsdaten auszutauschen.

Der Erfolg von X.435 beruht auf der Schaffung technisch verbindlicher Austauschformate fuer einen allgemeinen Kreis von Unternehmen, der Aufwandsminimierung in der Softwarepflege und der Einhaltung rechtlicher Vorschriften. Rechtlich relevante Vorschriften, wie die Grundsaetze ordnungsgemaesser Buchfuehrung, lassen sich ueber Electronic Messaging bequem einhalten. Anders sieht es bei der "elektronischen" Unterschriftenregelung aus: Hier sind unguenstigerweise juristisch relevante Manipulationen moeglich.

Dass diese Gefahr fuer die Praxis nicht von allzugrosser Bedeutung ist, zeigt ein Beispiel aus dem Alltag: Jeder Girokontoauszug ist juristisch unverbindlich. Er traegt nicht die Unterschrift eines Zeichnungsberechtigten einer Bank oder Sparkasse. Der ausgewiesene Betrag kann stimmen oder auch nicht! Der Giroverkehr funktioniert trotzdem, da die Geldinstitute spezielle Kontroll- und Buchungsverfahren anwenden. Bei Reklamationen lassen sich alle Vorgaenge nachvollziehen. Wenn ein Kunde eine ausserplanmaessige Transaktion plant, wird er sich allerdings persoenlich mit der Bank in Verbindung setzen - oder umgekehrt.

Aus dem gleichen Grund funktioniert Electronic Messaging: Regelmaessige Vorgaenge werden durch Pruefverfahren kontrolliert. Bei ausserordentlichen Vorgaengen setzt der persoenliche Kontakt ein.

Die Wirtschaftlichkeit von Electronic Messaging haengt von mehreren Faktoren ab. Grundsaetzlich gilt: Je besser die technische Infrastrukur ausgebaut ist, auf denen Electronic Messaging aufsetzen kann, und je wichtiger die Kommunikation fuer ein Unternehmen ist, desto wirtschaftlicher ist Electronic Messaging.

Es bringt vor allem dann wirtschaftliche Vorteile, wenn die notwendige Investition im Rahmen liegt. Aus unserer Praxiserfahrung bei der Realisierung von Electronic-Messaging- Projekten hat sich folgendes Bild ergeben: Die Elektronisierung der Kommunikation laesst sich in ueberschaubare Teilprojekte gliedern, bei denen ein Return on Investment von maximal zwoelf Monaten erreichbar ist.

Die folgenden Beispiele vergleichen die extern entstehenden Kosten bei der Umstellung von innereuropaeischen Postbriefsendungen (Postausgang zu Fremdfirmen und interne Hauspost zwischen Niederlassungen) auf Electronic Mail beziehungsweise Electronic Messaging. Kostenreduzierungen durch Zeitersparnis blieben unberuecksichtigt, da sie zwischen den Unternehmen zu stark variieren.

Die Unterschiede sind schon bei kleinen Mengen von 800 Seiten/Periode erheblich: Bei einem Aufkommen von drei Sei-ten pro Sendung stehen Postgebuehren in Hoehe von 801 Mark einem Gebuehrenaufkommen von 175,40 Mark beim Einsatz von Electronic Mail gegenueber. Diese Differenz wird bei hoeherem Versandvolumen extrem. Bei einem Aufkommen von 120000 Seiten/Periode werden 120000 Mark Postgebuehren gegenueber 8805 Mark Datenuebertragungsgebuehren faellig (vgl. Abbildung auf Seite 34). Eine erkleckliche Differenz, die sich noch um 8100 Mark steigern laesst, sobald externe Electronic- Mail-Services in eigener Regie uebernommen und im Rahmen des Electronic Messaging nur noch Netzdienste gebraucht werden.

Dieses Beispiel macht deutlich, dass erhebliche Preisunterschiede entstehen koennen. Das fuehrt zwangslaeufig zu der Frage, welche Investitionen zur Nutzung von Electronic Messaging getaetigt werden muessen.

In Analogie des Beispiels werden nur solche Kosten beruecksichtigt, die fuer das einmalige Einrichten eines verknuepfenden Systems ausgegeben werden muessen. Das bedeutet, dass die Kommunikationsteilnehmer mit PC oder Bildschirm ausgeruestet werden und eines oder mehrere unterschiedliche Mail-Systeme vorhanden sind. Eine solche Loesung laesst sich im Durchschnitt mit zirka 150000 Mark realisieren. Als variable Kosten entstehen die Gebuehren fuer die Datenuebertragung. Abbildung 1 zeigt, dass der Break-Even-point bei einem Volumen von 140000 Seiten liegt. Fazit: Je mehr Electronic Messaging eingesetzt wird, desto schneller amortisiert sich die Investition.

In den USA werden entsprechende Kommunikations-Infrastrukturen im Rahmen des "New Business Architecture"-Konzepts seit laengerem intensiv genutzt. Extrapoliert man dagegen die Zahlen aus der Zeitschrift "Electronic Messaging News" (Vol. 5, No. 21 vom 21. 10. 1993) ueber den E-Mail-Sektor in Europa, zeigen sich hier grosse Potentiale fuer einen rasch wachsenden Markt bei den Kommunikations-Technologien. So betrugen die Pro-Kopf-Ausgaben fuer E-Mail - gemessen an der Arbeitsbevoelkerung - in der Bundesrepublik Deutschland nur ein Siebtel dessen, was die hier fuehrenden Laender Grossbritannien und Schweden aufweisen. "Electronic Messaging News" geht davon aus, dass die europaeischen Zahlen in diesem Bereich innerhalb weniger Jahre stark ansteigen werden. Waehrend der Umsatz in 1993 mit etwa 220 Millionen Ecu bereits knapp 20 Prozent hoeher als im Vorjahr lag, wird fuer 1997 ein Wachstum auf geschaetzte 1600 Millionen Ecu erwartet.

Diese Prognosen erscheinen um so plausibler, je weniger technische Probleme bei der Umsetzung auftreten. Das vorhandene Know-how, die verfuegbaren Komponenten und die Praxis durch installierte Systeme haben bewiesen, dass Electronic Messaging unter Nutzung vorhandener Infrastrukturen funktioniert und wirtschaftlich ist.

*Horst Heckroth ist Business Consultant bei der Control Data GmbH in Frankfurt am Main.