Standardisierung von CSTA-Lösungen macht FortschritteAnwendungsverbund von DV und Telefon besinnt sich auf OSI

02.08.1991

* Ulf Beyschlag Ist Hauptreferent des Unternehmensbereiches Private Kommunikationssysteme der Siemens AG, München.

Wenn man von OSI im Zusammenhang mit Telefon-Nebenstellenanlagen beziehungsweise PBX-Systemen spricht, denkt man zumeist an ISDN und damit an die Datenkommunikation über Telefonleitungen. Derzeit noch weniger bekannt ist die Bedeutung von OSI bei der Anwendungsintegration, dem computergestützten Telefonieren. Ulf Beyschlag* versucht in seinem Beitrag, der in ähnlicher Form schon in der CW Nr. 17 vom 26. April 1991, Seite 21, erschien, diesen OSI-Einsatzbereich aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.

Die wohl bedeutsamste Verbindung zwischen PBX-Systemen und Computern liegt im Bereich der sogenannten Anwendungsintegration. Dieses "computergestützte Telefonieren" wird international mit dem Begriff Computer Supported Telecommunications Applications (CSTA) umschrieben. Aus Sicht des Kommunikationssystems ermöglicht es die Nutzung von externer Intelligenz und Datenbeständen zur computergestützten Weiterleitung eingehender Anrufe an bestimmte interne Teilnehmer.

Unterstützung von Zuweisung und Weitergabe

Aus Sicht des Rechners gewährleistet es den anwendungsorientierten Auf- und Abbau von Telefonverbindungen sowie die Steuerung von Anwendungsprogrammen in Abhängigkeit von Ereignissen innerhalb des PBX-Systems.

Hierzu wird eine Datenkommunikations-Verbindung zwischen der Telefonanlagen-Steuerungssoftware und der Anwendungssoftware auf dem Computer geschaffen. Über sie erfolgt der Austausch von Operationsanforderungen, Ereignismeldungen und anderen Daten - in Zukunft OSI-konform. CSTA unterstützt dabei sowohl die Zuweisung und Weitergabe eingehender Anrufe (inbound) als auch den Aufbau abgehender Telefonverbindungen (outbound). An vielen Arbeitsplätzen werden beide Anwendungsarten eingesetzt. So können beispielsweise an einem Telefon-Arbeitsplatz einer Bank, wo in erster Linie Kundenanfragen behandelt werden, in ruhigeren Phasen auch säumige Zahler angerufen und gemahnt werden.

Predictive Dialing (vorausschauendes Wählen) und das ISDN-Feature Calling Line Identification Presentation (Clip) sind zwei Techniken, bei denen die erforderlichen Investitionen oft schon nach wenigen Monaten ausgeglichen sind. Predictive Dialing (Bild 1) wird bei Outbound-Anwendungen eingesetzt. Das Anwendungsprogramm auf dem Computer weiß hier aufgrund von Voreinstellungen oder statistischen Verfahren, wie lange im Durchschnitt ein Telefongespräch dauert und wann der nächste der verwalteten Arbeitsplätze frei werden müßte - auch wenn alle Arbeitsplätze noch belegt sind. Zudem kann es beurteilen, ob ein nach außen gehender Ruf erfolgreich ist.

Aufbauend auf einer Anrufliste läßt das Programm die Telefonanlage bereits den nächsten Anruf tätigen, wenn noch alle internen Arbeitsplätze belegt sind. Ist der Anruf nicht erfolgreich (besetzt, Abwesenheit, Anrufbeantworter), so wird zu einem späteren Zeitpunkt ein weiterer Versuch unternommen. Ein erfolgreicher Anruf jedoch wird sofort zu einem freigewordenen Arbeitsplatz durchgeschaltet. Dadurch ergeben sich sowohl beträchtliche Einsparungen in der Arbeitszeit als auch eine Entlastung des Bearbeiters durch das automatische Wählen.

Clip realisiert das Erkennen der Nummer des Anrufenden auf der Seite des Angerufenen noch vor Entgegennahme des Gesprächs (Bild 2). Inzwischen transportieren nicht nur ISDN-Netze diese Information mittels Verbindungsaufbau an die Vermittlungsanlagen weiter Auch einige analoge Telefonnetze, besonders in den USA, verfügen bereits über dieses zusätzliche Feature. Clip wird bei jedem Anruf zur Verfügung gestellt und eröffnet dem Teilnehmer vielfältige Möglichkeiten - beispielsweise wird die Nummer von Anrufenden, die wegen einer zu langen Wartezeit aufgelegt haben, gespeichert und später für einen Rückruf genutzt. Die so entstehenden zusätzlichen Rückrufkosten sind üblicherweise niedriger als die Einstellung von zusätzlichem Personal für Spitzenzeiten.

Der Bedarf nach CSTA-Lösungen ist in Europa und den USA aufgrund der unterschiedlichen historisch gewachsenen Strukturen unterschiedlich. Auf dem Kontinent haben sich projektspezifische Verbindungen von Nebenstellenanlagen und Computer seit vielen Jahren bewährt. Frühe Beispiele hierfür sind Lösungen mit dem Telefonsystem "EMS" und dem Computersystem "BS2000" von Siemens für den pharmazeutischen Großhandel.

Dieser relativ aufwendige Projektansatz wurde in den letzten Jahren von einem systematischeren Plattformansatz abgelöst. So ging Siemens im Rahmen des Programmes "PBX & Computer Teaming" (Pact) Kooperationen mit wichtigen Computerherstellern ein. DEC hat als erster Computerhersteller ein entsprechendes Programm unter der Bezeichnung "Computer Integrierte Telefonie" (CIT) entwickelt. Heute bieten Siemens und DEC eine gemeinsame PBX-Computer-Plattform an. Sie ermöglicht VAX-VMS-Anwendungsprogrammen über eine Schnittstelle (API) den Zugriff auf "Hicom 300" zur Steuerung des Telefonverkehrs.

Nachfolgend haben auch andere Computerpartner von Siemens, wie IBM mit "Callpath" und Siemens Nixdorf mit "Telas", entsprechende Lösungen entwickelt. Vergleichbare Plattformen gibt es auch für andere Paare von Nebenstellenanlage und Computer. Um die Anzahl der Protokoll-Implementierungen zu reduzieren, haben wichtige PBX- und Computerhersteller die Standardisierung des Verbundes bei ECMA (European Computer Manufacturers Association) unter der Bezeichnung CSTA eingeleitet.

In den USA liegt der Ursprung für CSTA-Lösungen in der Serviceorientierung der Geschäftswelt. Ein Anruf wirkt persönlicher als ein Brief. Eine telefonische Anfrage bei einem Unternehmen ist in der Regel schneller und effektiver als das Schreiben eines Briefes. So sind heute schon über 200 000 Anrufzentren, sogenannte Call Centers, überwiegend außerhalb der großen Städte entstanden. Oft weit über hundert Angestellte arbeiten in einem Call Center. Das Anwendungsspektrum reicht vom Telemarketing (telefonische Verkaufsabwicklung) für Versandhäuser oder Versicherungen über Spendenaktionen bis hin zu Auskunftsdiensten von Verkehrsunternehmen oder Banken.

Als in den ersten Call Centers PBX- und Computer-Verbundlösungen eingesetzt wurden, zeigte sich dort ebenfalls die Notwendigkeit, nicht herstellerspezifische Lösungen zu entwickeln. Vielmehr ging es darum, Plattformen zu schaffen, die mittelfristig dazu in der Lage sind, standardisierte Kommunikationsverfahren zwischen Nebenstellenanlage und Computer zu nutzen. Amerikanische Hersteller beteiligten sich deshalb zunehmend an den CSTA-Aktivitäten der ECMA.

Die hier aufgeführten Beispiele haben gezeigt, daß die Applikation im Rechner im Grunde nichts anderes bewirkt als der Mensch am Endgerät einer modernen Nebenstellenanlage durch Drücken von Tasten und der Verfolgung des Gesprächszustandes. Der Hauptunterschied ist die Sichtweise, bezogen auf das PBX-System. Der Mensch geht von seinem individuellen Endgerät aus, die CSTA-Applikation hingegen überblickt wie die PBX-Steuerung, alle Teilnehmeranschlüsse und kann daher beliebige Schaltungen durchführen.

ECMA/CSTA definiert das hierfür erforderliche Kommunikationsprotokoll zwischen PBX-System und Computer und ist auf der Schicht 7 des OSI Referenzmodells angesiedelt. Es basiert auf einigen wichtigen Grundlagen: Zum einen sind PBX und Computer gleichberechtigt. CSTA darf weder die Funktion einer Seite stören noch das übliche Leistungsverhalten einschränken. CSTA ist ferner unabhängig vom genutzten Telefonnetz und folgt den Normen von OSI und ECMA. Darüber hinaus basiert es auf den OSI-Mechanismen ACSE, Rose und ASN.1. Für die Schichten 1 bis 6 sollten OSI-Profile (ISPs) verwendet werden. Herstellerspezifische Lösungen sind ausschließlich während einer Übergangszeit möglich.

Das abstrakte CSTA-Modell unterscheidet zwischen einer Computing-Funktion, hinter der sich ein einzelner Rechner oder eine komplexe DV-Umgebung verbirgt sowie eine TK-Funktion, die für ein einziges oder ein Netz von PBX-Systemen steht. Der erste CSTA Standard wird sich auf die Telekommunikations-Funktion konzentrieren - auf ihre Objekte und deren Manipulation. Als Objekte wurden beispielsweise ein Endgerät und eine Verbindung mit ihren Attributen einschließlich dem Zustand definiert. Die definierten Zustände einer Verbindung lauten Null, Initiate, Alerting, Connect, Held und Failed. Die wichtigsten Operationen sind Make-Call, Clear-Call, Hold-Call, Retrieve-Call, Transfer-Call und Conference-Call

Erster CSTA-Standard noch in diesem Jahr

Über Monitor- und Schnappschußfunktionen verfügt die Computerapplikation über Informationen bezüglich der Zustände und Zustandsänderungen der Objekte einer PBX-Anlage. Auf diese Weise können auch alle manuellen Operationen registriert und bei Bedarf unterstützt werden. Ferner wird die Datenausgabe einer Anwendung auf das Display eines Komforttelefons und die Eingabe von Daten via Telefontastatur in der ersten oder der nächsten Version des Standards geregelt sein. Ein zusätzlicher Einsatzbereich ist die Steuerung von automatischen Anrufbeantwortern.

Die Arbeiten an der ersten Version des Standards werden von ECMA TC32/TG 11 voraussichtlich noch im September dieses Jahres abgeschlossen und im Dezember verabschiedet. Bereits im Juni 1990 erschien ein Technical Report (TR52). Den Vorsitz der Gruppe hat IBM Anfang dieses Jahres von Digital übernommen. Die wichtigsten Teilnehmer neben Siemens, Siemens Nixdorf und GPT sind AT&T, Alcatel, Ericsson, Northern Telecom, Mitel, British Telecom, IBM, Digital, HP und Bull sowie die niederländische und die schwedische PTT.

In den USA hat neben der ECMA das ANSI (American National Standards Institute) unter der Bezeichnung SCAI (Switch Computer-Application-Interface) mit der gleichen Zielrichtung seine Tätigkeit aufgenommen.

Esie stützt sich stark auf die Arbeiten von ECMA, geht aber mehr auf die Anforderungen der Dienstanbieter ein. Die Projekte sind dort allerdings weniger weit fortgeschritten als bei ECMA. Viele ECMA-Teilnehmer sind jedoch auch bei ANSI aktiv, um zu erreichen, daß die Ergebnisse beider Gruppen kompatibel sind.

Die intensive Arbeit an den Standards durch die international wichtigsten Anbieter zeigt deutlich, für wie wichtig diese Technologie eingeschätzt wird. Man verspricht sich durch die Verwendung von Standardprotokollen einen reduzierten Entwicklungs- und Pflegeaufwand und damit eine Kostensenkung. Für den Anwender sollte dies aber kein Grund sein, erst mit der Verfügbarkeit von Standardprodukten CSTA-Lösungen einzusetzen.

Die Computerhersteller haben durch ihre APIs die Möglichkeit geschaffen, Anwendungen heute schon um Telefonfunktionen zu erweitern. In einigen Jahren werden die jetzt verwendeten Protokolle dann durch die Standards ersetzt, ohne daß die Anwendungsprogramme davon betroffen sein werden.