XOpen versteht sich als Vorreiter der Herstellerunabhängigkeit:

Standardisierung führt zu breitem Aktionsspektrum

11.09.1987

Im DV-Geschäft werden die Karten neu gemischt: "Portable Software und Herstellerunabhängigkeit" heißen die großen Trümpfe im Kampf um die Gunst der Kunden. Als Vorreiter dieser Idee auf der Anbieterseite versteht sich die X/Open-Gruppe, der zur Zeit AT&T, Bull, DEC, Ericsson, Hewlett-Packard, ICL, Nixdorf, Olivetti, Philips, Siemens und Unisys angehören. Georg Winter* zeichnet ein Profil der Organisation.

X/Open ist ein hersteller-unabhängiges, internationales Gremium, das sich zum Ziel gesetzt hat, eine komplette Multiuser-Betriebsumgebung für Anwendersoftware zu standardisieren. Angestrebt wird ferner, eine bessere Kommunikationsfähigkeit und Portabilität der Applikationen zu gewährleisten und so die entsprechenden Investitionen zu sichern, die sich jedes Jahr weltweit auf mehrere Milliarden Mark belaufen.

Zahl der Interessenten wächst kontinuierlich

In der Praxis sieht dieser Ansatz schon recht gut aus: Großanwender, Hardware-Hersteller und Software-Lieferanten bereiten sich ernsthaft auf die veränderte Lage und die zu erwartenden Geschäfte vor: Die Behörden der Europäischen Gemeinschaft und der USA, außerdem die staatlichen Stellen der Bundesrepublik, Großbritanniens, Schwedens und anderer Nationen, aber auch Anwenderunternehmen der privaten Wirtschaft wie Großbanken, Versicherungen und Industriebetriebe, haben sich bereits zu den SW-Standards bekannt. Beispiele hierfür sind Boeing, General Motors, die Hamburger Sparkasse, Credit Lyonnais, Volkswagen, Quelle und die Bundesanstalt für Arbeit, um nur einige zu nennen.

Etablierte Standards dienen als Basis

Ziel von X/Open ist es, nach Möglichkeit auf bereits etablierte Richtwerte zurückzugreifen und nur im Bedarfsfall absolut Neues zu präsentieren. So übernimmt die 1984 gegründete Herstellervereinigung geeignete internationale Standards, wenn diese verfügbar sind; zusätzlich greift die Organisation "De-facto"-Standards auf und formalisiert sie. Diese Basis wird durch eigene Vorschläge ergänzt, falls ein solches Vorgehen nötig erscheint.

So entsteht eine zusammenhängende Sammlung von Standards zu allen Themen, die für die Offenheit und Portabilität von Anwendungssoftware wichtig sind: Dazu gehören Sprachen, Betriebssystem, Datenbank und Kommunikation, ferner Datenaustausch zwischen Programmen, Benutzeroberfläche und Datenträger für die Programmübertragung auf andere Systeme. Als Eigenentwicklung wurde kürzlich ein Vorschlag zur Standardisierung der Transaktionsverarbeitung vorgelegt.

Die X/Open-Mitglieder haben sich vertraglich verpflichtet, ihre Softwareprodukte auf diese Standards auszurichten. Systeme nach X/Open-Vorstellungen sind seit einiger Zeit auf dem Markt erhältlich, die Nachfrage nach solchen Produkten steigt kontinuierlich. Glaubt man den gängigen Marktanalysen, wächst der Markt in diesem Bereich um 50 Prozent schneller als der Branchendurchschnitt; innerhalb der nächsten fünf Jahre dürfte er die Hälfte aller DV-Systeme umfassen.

Durch die inzwischen von X/Open erarbeiteten Standards (siehe Kasten) ist eine weitgehend vollständige Anwendungsumgebung definiert, deren Verfügbarkeit auf einer Vielzahl von Systemen vom PC bis zum Supercomputer den DV-Markt umkrempeln dürfte: Die bisher nur vom PC her bekannte Angebotsvielfalt für Hardware, Software und Dienstleistungen wird sich auf mittlere und große Systeme ausdehnen.

Als Folge davon wird der Anwender eine bislang nicht gekannte Wahlfreiheit und Herstellerunabhängigkeit erlangen, sowohl bei der Hardware- als auch bei der Software- und Dienstleistungsauswahl. Er bekommt die Möglichkeit, Produkte verschiedener Anbieter miteinander zu verbinden, ja sogar Transaktionen über Datenbanken verschiedener Hersteller flexibel miteinander zu vernetzen, sofern sie den Standards genügen.

Lizenzrechtliche Fragen lassen sich umgehen

Das heißt, der Austausch von Daten und Programmen zwischen Systemen verschiedener Hersteller kann problemlos erfolgen. Und dies wiederum bedeutet für den Anwender den Schutz seiner langfristigen Software-Investitionen.

Auch die zunehmend heikleren lizenzrechtlichen Fragen kann der User umgehen, indem er offiziell anerkannte Standards verwendet und sich nicht auf Hersteller-eigene Richtlinien verläßt; denn bei diesen Guidelines wird der Wettbewerb leicht durch Copyright-Prozesse eingeschränkt.

Ein solcher Standardisierungsprozeß bringt aber nicht nur für den Anwender Vorteile. Auch Software-Anbieter können mit Hilfe der Standardisierung Geld sparen: Zunächst liefern sie in einen noch nicht gesättigten und schnell wachsenden Markt. Es geht also um ein Massengeschäft, in dem sich größere Stückzahlen absetzen lassen. Die Produkte sind nicht auf einen HW-Hersteller beschränkt, sondern können in einem breiten Spektrum von DV-Equipment zum Einsatz kommen.

Genau wie der Anwender profitiert auch der SW-Anbieter von geringeren Softwareentwicklungs- und -pflegekosten. Er braucht beispielsweise für alle Maschinentypen nur eine Anwendungsquelle zu erstellen und zu warten. Portierungen zwischen inkompatiblen Systemen müssen nicht mehr finanziert werden. Ferner kann der Anbieter mit standardisierten Entwicklungswerkzeugen die Produktivität seiner Mitarbeiter steigern - und er braucht seine DV-Mannschaft nur noch in einer Software-Umgebung zu schulen.

Nationale Besonderheiten stärker im Brennpunkt

Der HW-Hersteller ist von den Kosten und Risiken der Definition einer eigenen Anwendungsumgebung befreit. Er hat die Möglichkeit, sich darauf zu konzentrieren, bessere Standards bereitzustellen, SW-Systeme im Rahmen der Standards zu realisieren und dem Anwender einen besseren, an nationale Bedürfnisse angepaßten Service sowie entsprechende Anwendungspakete zu liefern.

Inzwischen hat auch IBM auf die veränderten Marktverhältnisse reagiert - ebenfalls mit der Ankündigung einer einheitlichen Benutzeroberfläche und Anwendungsumgebung sowie Softwareportabilität zwischen unterschiedlichen Hardwaresystemen - allerdings nach IBM-Rezept unter dem Namen SAA.

Auch IBM wäre jederzeit als Mitglied willkommen

X/Open freut sich darüber, daß auch Big Blue den Gedanken der einheitlichen Benutzeroberfläche, der einheitlichen Anwendungsumgebung und der portablen Anwendungssoftware übernommen hat. Nach den Worten des X/Open-Vorsitzenden Geoff Morris wäre die IBM auch jederzeit als Mitglied willkommen - vorausgesetzt, daß sie sich zu einer vollen Mitgliedschaft, der Verpflichtung auf die X/Open-Standards und einem Bekenntnis zu offenen Systemen entschließen könnte.

*Georg Winter ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der X/Open-Gruppe in der Bundesrepublik.

Die verabschiedeten Standards werden im "X/Open Portability Guide" veröffentlicht. Der Standard umfaßt derzeit fünf Bände und kann beim Elsevier Verlag, Amsterdam, für zirka 500 Mark bezogen werden.

Die bisherigen X/Open-Standards auf einen Blick

- Sprachen: C (SVID), Cobol 74 (ANSI), Fortran 77 (ANSI), Pascal (ISO)

- Betriebssystem: Unix gemäß der System V Interface Definition (SVID). Diese Spezifikation wird in absehbarer Zeit in den Posix-Standard des IEEE eingehen, der dann Grundlage für X/Open, ANSI und ISO werden soll. SVID-Programme auch unter Posix lauffähig.

- Kommunikation: ISO-OSI-Sieben-Schichten-Modell (vorläufig nicht vollständig übernommen).

- File-System: C-ISAM

- Datenbank: Relationales Modell, basierend auf SQL (ANSI)

- Länderanpassungen: 8-Bit-Zeichensatz für "westliche" Alphabete, Datumsdarstellung, Währungszeichen, Dezimalkomma/-punkt, Sortierfolgen. In naher Zukunft sollen die Punkte Transaktionsverarbeitung und erweiterte Windows-Schnittstelle für Bildschirmanwendungen verabschiedet werden.

*Georg Winter ist Unternehmensberater in Bayreuth.