Funktionalität steht im krassen Widerspruch zur Performance:

Standard-Software lebt vom User-Feedback

12.07.1985

Standard-Software ist "Programmgewordenes" Anwendungs-Knowhow. Als Standard kann nur bezeichnet werden, was funktional und technisch auch einen "Standard" erreicht hat und durch mehrere Installationen abgesichert ist. Die Wartungsgarantie des Softwareherstellers ist darüber hinaus ebenso ein unverzichtbares Kriterium wie die Anwenderdokumentation und das Angebot geeigneter Mittel zur Einführungsunterstützung.

Um allen Mitverständnissen vorzubeugen, eine klare Aussage vorweg: Standard-Software besteht unbestritten aus Computerprogrammen, aber eben nicht nur aus Programmen schlechthin.

Oftmals wird "Standard" als mittelmäßig fehlinterpretiert; als eine Lösung, an die eben keine besonderen Anforderungen gestellt werden können. Ganz im Gegenteil dazu ist Standard-Software im eigentlichen Sinne der Ausdruck einer Qualitätsnorm, verbunden mit allgemeinverbindlicher Funktionalität.

Die drei wesentlichen Voraussetzungen hierfür sind jedoch folgende:

- Kenntnisse der Probleme und Verständnis für die Probleme der Zielgruppe (des späteren) Software-Anwenders in den Fachbereichen).

- Erkennen der funktionalen Zusammenhänge (Berücksichtigung des organisatorischen Umfeldes).

- Methodische und standardisierte programmtechnische Umsetzung.

Es ist von ausschlaggebender :Bedeutung für die funktionale Qualität von Standardprogrammen, daß sich die geistigen "Software-Väter" gedanklich auf den Stuhl des Endbenutzers setzen und sich die Frage stellen: "Was würde ich als Anwender an Komfort und Inhalt von einem Arbeitsmittel zur Lösung meiner täglichen Probleme erwarten?"

Wer anders handelt, produziert am Markt vorbei.

Allerdings setzt dieses anwenderorientierte Denken voraus, daß die Software-Designer zum einen die Probleme der Anwenderzielgruppe kennen und verstehen und zum anderen die Schwierigkeiten der programmtechnischen Realisierung nicht in den Vordergrund ihrer Überlegungen stellen.

Es ergibt sich daraus von selbst, daß für eine betriebswirtschaftliche Aufgabenstellung in der Konzeptionsphase nicht der reine Informatiker sondern Betriebswirte federführend sein sollten. Wohl am geeignetsten sind Betriebswirte, die das zu organisierende Sachgebiet aus eigener Praxis kennen und zusätzlich über ein Informatik-Know-how verfügen.

Insellösungen vermeiden

Ein weiterer Aspekt ist das Denken in größeren Zusammenhängen. Wer nur das Detail sieht, verliert den Blick fürs Ganze.

Es gibt kaum noch ein Sachgebiet, das völlig isoliert betrachtet und gelöst werden könnte. Nicht nur die vordergründigen Beziehungen zwischen Fakturierung, Debitorenbuchhaltung und Lagerbuchhaltung sind hier gemeint, sondern auch die in der Vergangenheit weit weniger bis kaum berücksichtigten Verbindungen zum Beispiel von Materialwirtschaft und Rechnungswesen. Ein weiteres Integrationsfeld eröffnet sich bei der Einbeziehung von Büroautomation und Textverarbeitung.

Ist schon die Forderung nach einem konsequent anwenderorientierten Software-Design recht anspruchsvoll, so stellt das Denken in gebietsübergreifenden betrieblichen Zusammenhängen eine noch größere Anforderung dar.

Die Folgerung daraus dürfte wohl sein, daß eine Einzelperson hoffnungslos überfordert wäre. Lediglich ein Genie könnte die Aufgabe zufriedenstellend lösen. Genies haben allerdings den Nachteil, daß sie erst von der Zukunft verstanden werden. Standard-Software ist jedoch für die Gegenwart bestimmt.

Als Lösung bietet sich "Teamwork" an. Da die Qualität der Konzeption durch das Erfahrungspotential bestimmt wird, ist es folgerichtig, das Know-how mehr zusammenzufassen und in eine optimierte Lösung einfließen zu lassen. "Teamwork" hilft Fehler vermeiden.

In diesem Zusammenhang wäre noch anzumerken, daß Erfahrung für die Qualität einer Software wichtiger ist als Kreativität. Erfahrung wiederum gewinnt man durch Spezialisierung.

Leider ist Optimierung nur in einer Richtung möglich. Dadurch steht jede Forderung nach mehr Funktionen im Interessenskonflikt zur Performance-Forderung. Der Spruch, "wer wenig macht, macht wenig Fehler", gilt in abgewandelter Form auch für diesen Problemkreis der Standard-Software. Je geringer die Funktionalität, desto besser ist die Performance.

Genau wie beim ökonomischen Prinzip, daß entweder als Minimum- oder aber Maximum-Prinzip angewandt werden kann, ist auch hier eine eindeutige Entscheidung notwendig. Schließlich wird Anwendungssoftware für den Anwender und nicht für den Computer geschrieben. DV-Spezialisten halten es längerfristig nicht für vertretbar, rein aus Performancegründen auf eine sinnvolle Funktion zu verzichten.

Natürlich dürfen auf der anderen Seite bei der programmtechnischen Umsetzung keine Fehler gemacht werden. Die Hardware-Entwicklung der jüngsten Vergangenheit zeigt, daß die Computer und die System-Software bei sinkenden Preisen immer leistungsstärker werden. Damit dürften der Durchsetzung von Anforderungen der Fachbereiche zumindest technisch keine Hemmnisse entgegenstehen.

Das konzeptlose "Drauf-los-Programmieren" - was so manche Individualentwicklung auszeichnet - darf wohl bei der Standard-Software nicht unterstellt werden. Gerechterweise sind jedoch die ungleichen Voraussetzungen zu würdigen: Die Standard-Software ist eben dazu bestimmt, mehrfach eingesetzt zu werden und rechtfertigt schon aus diesem Grunde deutlich höhere Entwicklungs-Budgets.

Stand bei der Konzeption und dem Design noch der Anwender im Vordergrund, ist bei der programm- und datentechnischen Umsetzung der Anforderungen das spezifische Informatik-Know-how gefragt. Ohne die Kreativität verkümmern zu lassen und Software-Entwicklern den angeborenen Individualismus ganz abgewöhnen zu wollen, hat sich die Programmierung in den Grenzen eines gleichseitigen Dreiecks zu bewegen, das durch die Begriffe Aufgabenstellung, Hardware und Programmierstandard bezeichnet wird.

Die Umsetzung der Aufgabenstellung unter Einhaltung von Standards im Hinblick auf die beste Ausnutzung der Hardware- und Systemsoftware-Möglichkeiten führt aus technischer Sicht zu einer optimal Standard-Software.

Standard-Software muß zur Hardware passen

Die vielfach diskutierte "Portabilität" der Anwendungs-Software hätte unter Umständen bei einem Hardwarewechsel für den Anwender, bestimmt aber für das Softwarehaus Vorteile. Daß es dennoch keine wirklich portable Software gibt, hat seine Gründe.

Wie die Praxisversuche zeigen, muß die Unabhängigkeit der Anwendungssoftware von Hardware und System- Software durch Performance-Einbußen oder gar durch eine Abhängigkeit von individuellen System-Software- Komponenten erkauft werden.

Die Verantwortlichen in den Programmierschmieden halten aus diesem Grunde oft nichts von dieser "pseudounabhängigen" Software. Nach reiflicher Überlegung bekennen sie sich trotz der Nachteile für das Softwarehaus eindeutig zur hardware- und systemsoftwareorientierten Standardsoftware. Viele gehen bewußt noch einen Schritt weiter und bauen die Anwendungs-Software nur auf vom Hardware-Hersteller angebotenen und supporteten System-Software- Komponenten auf.

Anpassungsaufwand minimieren

Vermeiden läßt sich der Anpassungsaufwand nicht ganz. Schließlich wird Standard-Software in der Regel nicht auf der organisatorischen "grünen Wiese" eingesetzt. Sie muß also zumindest an das Software-Umfeld angepaßt werden, das aus selbstentwickelten Anwendungen und fremden Softwarepaketen bestehen kann.

Auch von individuellen Modifikationswünschen wird die Standardsoftware nicht immer verschont bleiben. Aus diesem Grunde müssen bei der Entwicklung der Standards die vorhersehbaren Anpassungsnotwendigkeiten bereits berücksichtigt werden. Die Anpassungen an das Organisations- und Softwareumfeld sind übrigens weitgehend vorhersehbar. Durch die Realisierung geeigneter Schnittstellen bekommt man den Anpassungsaufwand in den Griff.

Den Statistiken zufolge bindet die Wartung den größten Teil der Programmier-Ressourcen in den DV- Abteilungen. Daraus darf wohl geschlossen werden, daß der Wartungsaufwand nicht nur durch die Qualität der Software bestimmt ist. Vielmehr werden die Programmierer durch Änderung gesetzlicher Bestimmungen und Anpassung an wechselnde organisatorische Bedürfnisse in Trab gehalten.

Bei der Standard-Software übernimmt diese Aufgabe der Softwarehersteller. Im Rahmen eines Wartungsabkommens werden nicht nur gesetzlich verordnete" Anpassungen durchgeführt. Verbesserungen aufgrund des "Einführungs-Feedbacks" fließen ebenso ein. Keine Standardsoftware ist so gut, daß sie nicht verbessert werden könnte.

"Kraft-Paket" für den Anwender offenlegen

Das Verständnis der Anwendungssoftware ist nicht nur eine Frage der Intelligenz. Der Benutzer wird schließlich mit einem funktionalen "Kraft-Paket" konfrontiert, das er sich nicht selbst ausgedacht hat. Um es sinnvoll nutzen zu können, muß er wissen, was "drinsteckt".

Die Methode, sich rein über die Beschreibung in eine Standardsoftware einarbeiten zu wollen, ist nahezu masochistisch. Auch die beste Dokumentation ist unvollkommen. Der Bessere Weg ist ein Maßnahmen-Mix von Einweisung, Training und Unterstützung.

Für die generelle Einweisung sind Anwendungsseminare das geeignete Mittel. In einem "Work-Shop-Teil" kann bereits mit dem Training begonnen werden. Das abschließende Training der sogenannten "Enduser" ist unbedingt mit den Daten des Anwenders und, wenn möglich, auf dessen DV-Anlage durchzuführen. Sonderprobleme sollten im unmittelbaren Kontakt mit erfahrenen Beratern gelöst werden.

Standardsoftware ist ein "Faß mit Boden"

Daß individuelle Softwareentwicklungen länger dauern und mehr kosten kann als geplant, ist zu einer Erfahrungstatsache geworden. Auch Standardsoftware hat ihren Preis - allerdings einen festen. Daß sie darüber hinaus auch zeitlich planbar ist verstärkt den Vorteil.

Die Projektkosten für die Einführung einer Standardsoftware sind nahezu exakt kalkulierbar. Der wesentliche Teil, die Kosten für die Nutzungsrechte, liegt fest. Den Aufwand für Schulung und Einführungsunterstützung kann man auf der Basis von Erfahrungswerten mit einer akzeptablen Toleranz vorausberechnen. Lediglich Modifikationswünsche stellen einen Unsicherheitsfaktor beim Budget-Ansatz dar. Eine vorherige Kurzanalyse kann hier Abhilfe schaffen.

Natürlich ist auch Standardsoftware keine "eierlegende Wollmilchsau". Und wie bereits zugegeben, können alle Organisationssysteme noch verbessert werden. Schließlich leben Standardprogramme auch von dem mit jeder Einführung weiterentwickelten Know-how.

Trotzdem ist die Standardsoftware mehr als eine Summe von Computerprogrammen. Sie ist Funktionalität und Bedienungskomfort zu einem verhältnismäßig geringen Preis, ist in aller Regel gut dokumentiert, wird gewartet und durch ein Schulungsangebot einführungsmäßig unterstützt. Wer den Aufwand nicht scheut, kann Standardsoftware sogar "probefahren".

Hans Peter Kuny ist geschäftsführender Gesellschafter der Steeb Unternehmensberatung GmbH, Abstatt, und Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb der Tochtergesellschaft Steeb Informationstechnik GmbH.