IDC-Studie: Eine Standortbestimmung des SW-Markets 1988

Standard-Software gewinnt immer mehr an Bedeutung

22.12.1989

Der bundesdeutsche Softwaremarkt ist in Bewegung. War früher mit Mainframe-Software der große Reibach zu machen, so liegen heute kleinere und mittlere Mehrplatzsysteme im Trend. Eine Studie der IDC Deutschland GmbH* belegt, daß 1988 dort 62 Prozent des Umsatzes mit Standardsoftware erzielt wurden.

1988 wies der bundesdeutsche Softwaremarkt ein Umsatzvolumen von beinahe 10,5 Milliarden Mark auf. Das entspricht einem Anteil von stolzen 71 Prozent für Software und Services oder über einem Viertel des gesamten DV-Marktes inklusive Hardware. Dabei entfielen 68 Prozent des Softwarekuchens auf Standardpakete und 32 Prozent auf Individualsoftware, (Auftragsprogrammierung) einschließlich Beratung.

Es ist noch nicht lange her, laß man die (damals richtige) Feststellung treffen konnte, daß der Markt für Mainframesoftware nicht viel mit dem für PC-Software zu tun hat. Die klassische Unterteilung in Rechnergrößenklassen sieht wie folgt aus:

- Personal Computer (Einplatzsysteme),

- Kleine Mehrplatzcomputer (typischerweise 2 bis 15 Arbeitsplätze),

- Mittlere Mehrplatzcomputer (typischerweise 16 bis 128 Arbeitsplätze),

- Große Mehrplatzcomputer (typischerweise über 128 Arbeitsplätze).

Seit einigen Jahren verschwimmen die Grenzen zwischen den einzelnen Hardware-kategorien, soweit es den Softwaremarkt betrifft, jedoch beträchtlich. Auf der Anbieterseite manifestiert sich dies in einer Vielzahl von Ereignissen:

- Unix, klassischerweise als Betriebssystem bei Workstations, Mini- und Superminicopmutern eingesetzt, gewinnt als PC-Betriebssystem immens an

Bedeutung;

- OS/2 als PC-Betriebssystem enthält in seiner Funktionalität wesentliche Komponenten typischer Großrechnersysteme;

- Ashton-Tate versucht, ihre dominierende Marktstellung bei PC-Datenbanksystemen in die Segmente der Mini- und Superminicomputer umzusetzen;

- auch Lotus als klassischer Hersteller von PC-Software will sich künftig im Markt der Minis und Superminis etablieren (Unix-Rechner, DEC VMS);

- schon vor einiger Zeit kündigte Lotus gemeinsam mit IBM den Einstieg in die Großrechnersoftware an, der nun tatsächlich Realität werden dürfte;

- die Anbieter von Minicomputersoftware stoßen verstärkt in die PC-Welt vor, allen voran die Datenbankhersteller wie Oracle (MS-DOS, OS/2) und Ingres (Unix, Open Desktop).

Diese Entwicklung auf der Softwareseite findet ihr Hardware-Pendant im übrigen beispielsweise in den jüngst vorgestellten EISA-PCs. Der 32-Bit-Bus der Extended Industry Standard Architecture weist Leistungsmerkmale auf, die man bislang nur in Bussystemen für Mini- und Superminicomputer fand.

Der Hardwaretrend zur Verteilung von Rechenleistung auf Systeme unterschiedlicher Größenklassen spiegelt sich somit softwareseitig wider. Offensichtlich setzt sich die Erkenntnis durch, daß "die ideale Software" für eine heterogene Umgebung aus Arbeitsplatzrechnern, kleinen und mittleren Systemen sowie Großcomputern geschaffen sein muß.

Es gibt wohl nach wie vor kaum ein Softwareprodukt, das dieser Tendenz so deutlich folgt und sie zugleich charakterisiert wie verteilte Datenbanksysteme. Diese von DBMS-Experten wie Chris Date oder Michael Stonebraker propagierten Daten bankarchitekturen erlauben den Aufbau von Softwaresytemen, die sich über eine heterogene Rechnerumgebung homogen erstrecken.

Dennoch hat eine Unterteilung in die bislang üblichen Rechnerkategorien zumindest im Bereich der Standardsoftware heute noch ihre Berechtigung.

80486-Prozessoren nur für Multiuser-Umgebungen

Zwar nimmt der PC-Markt mit 18 Prozent Umsatzanteil inzwischen einen beachtlichen Rang ein, die Hauptsäulen des deutschen Marktes für Standardsoftware sind aber nach wie vor kleine und mittlere Mehrplatzsysteme. Die Bewegung einer Reihe von PC-Softwarehäusern, wie oben beispielhaft erwähnt (Ashton-Tate, Lotus), in Richtung kleiner Mehrplatzrechner ist also sicherlich vom Markt her betrachtet richtig.

Geräte auf 386- und bald 486-Basis kommen diesem Trend entgegen, indem sie Mehrplatzbetrieb unter Unix erlauben, wobei durchweg DOS-Emulationen einbezogen werden können. Der vor kurzem vorgestellte Prozessor Intel 80486 ist derart leistungsfähig, daß er im Grunde nur in Multiuser-Umgebungen ausgenutzt werden kann (abgesehen von Highend-Singleuser-Applikationen wie etwa CAD).

Der seit Jahren mit unter einem Viertel relativ geringe Anteil der Großrechnerpakete läßt sich darauf zurückführen, daß viele Großcomputeranwender in der eigenen DV-Abteilung hausintern programmieren lassen. Diese Investitionen der Anwender gehen in die Übersicht für Standardsoftware nicht ein.

IDC unterteilt den Softwaremarkt in Standard- und Individualsoftware, und den Markt für Standardsoftware nochmals in

- systemnahe Software (wie Betriebssysteme, Programmiersprachen und Utilities),

- Applikationstools (wie Datenbank- und Tabellenkalkulationssysteme sowie Softwaregeneratoren),

- Anwendungspakete (wie funktionsspezifische Horizontalpakete und Branchenlösungen).

Das stärkste Segment des deutschen Marktes 1988 waren die Anwendungspakete mit einem Anteil am Umsatz mit Standardsoftware von 37 Prozent, gefolgt von Applikationstools mit 33 Prozent. Die verbleibenden 30 Prozent fielen auf systemnahe Software.

Angesichts der vielfältigen Diskussionen über alle Arten von Applikationstools mag der Marktanteil von knapp einem Drittel niedrig erscheinen. Dies resultiert jedoch hauptsächlich aus der längeren Tradition der beiden anderen Bereiche. Während System- und Anwendungssoftware zum Betrieb einer DV-Anlage von Anfang an unerläßlich waren, konnten sich die Tools eigentlich erst im Zuge neuer Forschungen im Bereich Software-Engineering verstärkt durchsetzen und einen immer größeren Marktanteil erobern.

Neben den Applikationsgeneratoren der Groß- und Mittel-EDV wie etwa DMS, UFO, Mantis, MIS/DL, ADS-Online, Natural und anderen, spielen dabei schon seit einiger Zeit PC-Tools wie Datenbank- und Tabellenkalkulationssysteme wie etwa Lotus 1-2-3, Dbase oder Framework, die überwiegend Softwaregeneratoren beinhalten, eine entscheidende Rolle. Aber auch der Einsatz von rechnerübergreifenden Anwendungs-Entwicklungsumgebungen, zumeist auf Datenbankbasis, wird zunehmend zur Selbstverständlichkeit.

Über Systemsoftware läßt sich generell sagen, daß ihr Anteil am Softwareumsatz umso höher liegt, je größer die Hardwareumgebung ist. Das liegt zum einen daran, daß man zur Beherrschung eines Großrechners wesentlich komplexere Betriebssysteme und zum Teil auch Programmiersprachen benötigt als für einen PC.

Zum anderen sind Mainframe-Anwender gewöhnt, für systemnahe Software zu zahlen, während PC-Anwender erwarten, mit der Hardware zumindest die Basissoftware kostenlos zu erhalten. Vor dem Hintergrund eines generellen Preiskampfes am PC-Markt sind daher die Hardwarehersteller praktisch gezwungen, Betriebssysteme mehr oder minder zu Selbstkosten an den Kunden weiterzureichen. Da systemnahe Software zudem eine Domäne der Hardwarehersteller ist, wirkt sich dies quasi doppelt aus.

Betrachtet man nur die Mehrplatzsysteme, so läßt sich sagen: Der Anteil der Anwendungspakete verhält sich annähernd um gekehrt proportional zu dem der systemnahen Software nach Hardwaregrößenklassen. Dies ist ein direktes Resultat des bereits erläuterten Trends zu mehr systemnaher Software mit steigender Hardwaregröße einfach aus technischen Gründen. Bei Personal Computern verschiebt sich dieser im Grunde ebenfalls vorhandene Anwendungsüberhang lediglich in Richtung Applikationstools, da viele der hier angebotenen Tools auch direkt als Anwendungssoftware einsetzbar sind.

Dominanz der Hardwarehersteller

Der deutsche Markt für Software mit einem Volumen von beinahe 10,5 Milliarden Mark lag 1988 zu 41 Prozent in den Händen der Hardwarehersteller und zu 42 Prozent in denen der Softwarehäuser. Den Systemhäusern verblieben 17 Prozent.

Die vielzitierte Dominanz der Hardwarehersteller ist also kaum wegzudiskutieren, obwohl sie inzwischen von den Software-Unternehmen knapp überholt wurden.

Sieht man sich die Umsätze der Anbietergruppen, unterteilt in die Marktsegmente Standard- und Individualsoftware, an, so zeigt sich: Die Hardwarehersteller halten mit 53 Prozent die Mehrheit im Markt für Standardsoftware, während die Softwarehäuser mit 61 Prozent bei Individualsoftware dominieren. Dabei ist stets zu beachten, daß

Standardsoftware rund 68 Prozent, Individualsoftware hingegen etwa 32 Prozent des Softwaremarktes ausmachen.

Wie nicht anders zu erwarten, erzielten die Hardwarehersteller 1988 den bei weitem größten Teil (nämlich 88 Prozent) ihrer Softwareumsätze mit Standardsoftware, wovon über die Hälfte allein auf systemnahe Software entfällt. Dies entspricht dem klassischen Bild des Herstellers der Computer und Betriebssysteme liefert. Diese Fakten sind seit Jahren bekannt, werden jedoch nach wie vor häufig übersehen.

Kein frei zugänglicher Hauptbereich

Nimmt man einmal die systemnahe Software der Hardwarehersteller heraus, so verbleibt dieser Anbietergruppe mit Applikationstools und Anwendungspaketen nur noch ein Anteil von unter 30 Prozent am Markt für Standardsoftware.

Die Quintessenz ist also: Die Dominanz der Hardwarehersteller resultiert hauptsächlich aus der Tatsache, daß sie Systemsoftware zusammen mit der Hardware ausliefern. Diesen Marktbereich kann man aber sowieso nicht als "frei zugänglich" bezeichnen, da die Hersteller-Anwender-Beziehung seit jeher eine entscheidende Rolle spielt. Im nicht direkt hardwareabhängigen Bereich teilen indes die System- und Softwarehäuser den Markt unter sich auf.