Unternehmen richten Stellen für Knowledge-Management ein

Spurensuche in den Köpfen der Mitarbeiter

08.08.1997

"Die Bedeutung von Knowledge-Management wird wachsen", ist sich Sonja Kramhöller sicher. Die Betriebswirtin von der Universität Sankt Gallen beschäftigt sich im Rahmen ihrer Promotion mit den vielfältigen Erscheinungsformen des neuen Tätigkeitsfeldes, das immer öfter diskutiert wird. Knowledge-Management dient laut Kramhöller dem Ziel, Informationen besser zu koordinieren und vorhandenes Wissen effizienter zu nutzen. "Vor allem die Integration der Wirtschaftsinformatik und der Aufbau von Intranets werden die Organisationsstruktur von Unternehmen beeinflussen."

Spezialisten auf dem zukunftsweisenden Feld des Knowledge-Managements sind noch rar. Um sich für das Tätigkeitsfeld zu rüsten, beschreiten Experten sehr unterschiedliche Wege. Keiner der hier Vorgestellten hatte bereits im Studium dieses Ziel vor Augen. Nur Frank Dickwach, der einzige Selbständige unter den Befragten, hat die Fährte bereits an der Hochschule aufgenommen. Er studierte Kommunikationswissenschaften und Organisationssoziologie an der Universität Essen und nutzte ein praktisches Intermezzo in der Medienbranche, um sich mit Knowledge-Management vertraut zu machen.

Im Unterschied zu Dickwach hat sich dieses Thema bei anderen Experten aus der beruflichen Praxis heraus entwickelt. Walter Spieth von der Mannheimer ABB Informatik GmbH zum Beispiel beschäftigt sich damit erst seit wenigen Monaten. Den Anstoß gab vor allem die Personalabteilung. Nach dem Studium der Nachrichtentechnik, ersten Erfahrungen in der Systementwicklung und Unternehmensberatung begann Spieth sich um berufliche Fortbildung zu kümmern. Heute ist er mit dem Aufbau eines Expertennetzwerks beschäftigt und versucht seine Mitarbeiter zu effektivem Umgang mit Wissen zu bewegen.

Ein anderer, Peter Brössler, ist seit wenigen Wochen mit dem Aufbau eines Knowledge-Management-Bereichs befaßt. Der promovierte Informatiker ist Bereichsleiter des Software- und Beratungshauses sd&m GmbH & Co. KG in München und leitet ein Projekt zur Wiederverwendung von Softwaredesign.

Elektrotechniker Markus Kappenberger schließlich ist unmittelbar nach seiner Promotion an der Universität Karlsruhe 1990 bei der Unternehmensberatung Andersen Consulting in Sulzbach eingestiegen, wo er in verantwortlicher Position zahlreiche Business-Re-Engineering- und Change-Management-Projekte betreute. Seit zwei Jahren arbeitet er an der Umsetzung einer effektiven Knowledge-Management-Umgebung, die für interne Belange und Kundenprojekte verwendet werden soll. Für Kappenberger ist Knowledge-Management sowohl entscheidender Erfolgsfaktor als auch zwingende Voraussetzung für Firmen, die wie Andersen Consulting "extrem" wissenbasierte Dienstleistungen erbringen.

In der täglichen Praxis ist Kappenberger mit einer Vielzahl von Aufgaben konfrontiert. Der Knowledge-Manager hat dabei eine wichtige Funktion im Management des bereits gewonnenen Wissens, kümmert sich aber auch um die Recherche. Hier werden Informationsdienste angeboten und Bibliotheken zu speziellen Themen aufgebaut und gepflegt.

Kappenbergers Arbeit ist an drei Faktoren ausgerichtet: der menschlichen, technischen und prozeßorientierten Komponente. Intensive Schulungsprogramme und Trainingseinheiten sollen die Teilnehmer mobilisieren, das Wissens-Management-System zu nutzen. Dabei will man den erfolgreichen Wissenstransfer mit Incentives belohnen.

Spezielle Werkzeuge helfen dem Anwender, die Informationsflut zu bewältigen. Um die Prozeßorientierung in der Beratungspraxis zu unterstützen, erklärt Kappenberger, sei es Aufgabe des Knowledge-Managers, die Projektarbeit sowie virtuelle Arbeitsgruppen zu unterstützen.

Ganz ähnliche Aufgaben muß sd&m-Projektleiter Brössler bewältigen. Neben dem Aufbau einer "Knowledge-Sharing-Kultur" ist er verantwortlich für den Bereich Technologie-Management, in dem bald zehn Spezialisten beschäftigt sein sollen. Die Suche nach spezialisierten Wissens-Brokern spielt dabei eine wichtige Rolle.

Offiziell trägt niemand im Team von ABB-Manager Spieth den Titel Knowledge-Manager. Doch an der Verfeinerung des Kommunikationsnetzes und der Verbesserung des Wissenstransfers arbeitet eine ganze Reihe von Mitarbeitern. Erkennungszeichen sind weniger technische Kompetenz, sondern eher das richtige Händchen im Umgang mit Menschen: zuhören und fragen können, Informationen gewichten und strukturieren, bei der Anwendung von Werkzeugen helfen, zur Informationsweitergabe motivieren. Spieth rechnet auch nicht damit, daß sich ein abgegrenztes Berufsbild Knowledge-Management etablieren wird: "Dieses Verhalten sollte Aufgabe jedes einzelnen Mitarbeiters sein."

Consultant Dickwach vergleicht seine Aufgaben mit dem bei DV-Installationen bewährten Prinzip: "Manage, improve, manage, improve..." Die Aufgabe des Beraters sei es vor allem, die Konsequenzen von Handeln und Nichthandeln aufzuzeigen. Dabei gehe es um Fragen wie: Was passiert, wenn man Kostenvorteile nicht nutzt oder notwendige Innovationen verpaßt? Laut Dickwach hat sich ein Knowledge-Manager immer über neueste Trends aus IT und Organisa- tion auf dem laufenden zu halten: "Ohne das Sammeln und Ordnen neuer Informationen läßt sich nicht fundiert beraten."

Welchen Rat können die Experten dem Nachwuchs geben, der mit dem Knowledge-Management als potentieller beruflicher Orientierung liebäugelt? Nur die wenigsten Studiengänge sind laut Dickwach in der Lage, einen künftigen Knowledge-Manager mit dem erforderlichen Profil auszustatten: Neugier, interdisziplinärer Background, IT- und betriebswirtschaftliches Know-how sowie ein gutes Verständnis von kommunikativen und organisatorischen Abläufen. Dickwach und Kramhöller zufolge sind gute Einstiegschancen derzeit mit den Studienfächern Wirtschaftsinformatik, BWL und Kommunikationswissenschaft verbunden. Dringend empfohlen sei dem Nachwuchs, möglichst frühzeitig praktische Erfahrungen zu sammeln.

Laut Kappenberger sollte man sich besonders für inhaltliche Konzepte und die technische Infrastruktur von Wissens-Management-Systemen interessieren. Von einem Knowledge-Manager werde in Zukunft verlangt, über die Trends in einem spezialisierten Industriegebiet gut unterrichtet zu sein und darüber hinaus vertiefte Kompetenzen in Strategie, Prozeß, Change-Management und Technologie zu entwickeln. Als "Generalist" müsse man in der Lage sein, Wissen zu Teilzielen wie etwa Information-Overflow oder Return-on-Investment mit der übergeordneten Zielsetzung zu verknüpfen.

Für Brössler ist ein Knowledge-Manager "frisch von der Uni" kaum vorstellbar. Dieses Profil werde sich in den Unternehmen eher aus einem Spezialgebiet heraus entwickeln. Was die Wahl des Studienfachs anbelangt, kann der sd&m-Mann nur empfehlen, "zu studieren, worauf man Lust hat und was den persönlichen Interessen entspricht". Der effiziente Umgang mit Wissen sei in Zukunft ein wichtiger Bestandteil für alle Studiengänge.

ABB-Mitarbeiter Spieth rät deshalb, nach allen Seiten offen zu bleiben und das Lernen zu lernen. Nicht das Ankreuzen bereits formulierter Antworten in Multiple-Choice-Tests sei der richtige Weg, sondern Informationen zu verknüpfen und vernetzt zu denken. Solange aber nur die Leistung des einzelnen gemessen werde und nicht die des Teams, müsse sich jeder frühzeitig um berufsvorbereitende Erfahrungen außerhalb der Ausbildungsstätten bemühen.

Dickwach schließlich rechnet schon bald mit den ersten Stellenanzeigen für Intellectual Asset Manager in den einschlägigen Zeitungen. "Die Hochschulen wären gut beraten, schnellstens über die Einführung eines entsprechenden Studiengangs nachzudenken.

*Winfried Gertz ist freier Fachjournalist in München.