Spezialsoftware versus Standardsoftware oder sinnvolle Ergaenzung?

07.04.1995

Dr. Hermann Staedtler, geschaeftsfuehrender Gesellschafter der Dr. Staedtler GmbH Unternehmensberatung, Nuernberg

Der in der Unternehmenspraxis uebliche Prozess der Software-Auswahl vollzieht sich im allgemeinen nicht nach den in der einschlaegigen Literatur dargestellten Methoden. Im besten Fall werden Projektteams gebildet, die aus fachlich qualifizierten Mitarbeitern bestehen. Diese erarbeiten funktionale Anforderungen, untersuchen die am Markt verfuegbaren Alternativen und unterbreiten der Geschaeftsleitung sachlich begruendete Vorschlaege.

Meist entscheidet sich die Geschaeftsleitung jedoch unabhaengig von diesen Vorarbeiten aus strategischen Gruenden fuer den Einsatz hochintegrierter Standardsoftware mit entsprechender Marktverbreitung und damit sehr haeufig fuer das SAP-System.

Durch die Wahl der SAP-Software werden jedenfalls umfangreiche Voruntersuchungen zugunsten einer schnelleren Ausrichtung aller Kapazitaeten auf ein einziges Systemumfeld vermieden, woraus sich eine raschere Einfuehrung der Software ergibt. Mit dieser Entscheidung ist vermeintlich kein Risiko verbunden, dass funktionale Anforderungen grundsaetzlich nicht erfuellt werden. Sie wird jedoch haeufig unter den falschen Praemissen getroffen,

- dass die SAP-Software in der vorliegenden standardisierten Form alle unternehmensspezifischen Funktionalitaeten abdecke,

- dass mit wenig Aufwand und dem Einsatz eigener Mitarbeiter eine weitgehend schluesselfertige Einfuehrung moeglich waere,

- dass die Rationalisierungseffekte sofort und in vollem Umfang zum Tragen kommen und

- dass die Dokumentation der Software gleichbedeutend waere mit den Benutzer-, Anwender- beziehungsweise Organisationshandbuechern fuer das eigene Unternehmen.Tatsache ist, dass die SAP-Systempalette, sei es nun R/2 oder R/3, einen Komplexitaetsgrad erreicht hat, den ein Einfuehrungs- beziehungsweise Maintenance-Team erst einmal beherrschen muss. Durch den Einsatz von externen SAP-Beratern laesst sich die Aufgabe der SAP-Einfuehrung zwar bewaeltigen, jedoch zu dem hohen Preis der zumindest zeitweiligen Abhaengigkeit von aussenstehenden Personen beziehungsweise Unternehmen, insbesondere bei der laufenden Wartung und Pflege.

Im uebrigen muessen sich externe Berater in interne Unternehmensstrukturen einarbeiten, und das kann sich aufwendiger darstellen, als urspruenglich geplant. Im allgemeinen hat sich folgende Vorgehensweise bewaehrt: Fuer den schnellen Start neuer SAP-Anwendungen wird externes, hochspezialisiertes Trainingspersonal engagiert. Fuer Realisierung und Einfuehrung sollten die Anwender neben dem Einsatz unternehmensfremder Berater eigene Mitarbeiter ausbilden.

Unabhaengig davon zeigt die Erfahrung, dass der zusaetzliche, durch den Einsatz der SAP-Software bedingte Organisations- und Beratungsaufwand das Zehn- bis Zwanzigfache der eigentlichen Kosten fuer die Standardsoftware betragen kann - eine Tatsache, die dem Image des Herstellers SAP und seiner Software auf Dauer abtraeglich sein kann. Hinzu kommt, dass mit der Installation umfangreiche Reorganisationsprozesse verbunden sein koennen, so dass die Einfuehrung entschieden laenger dauert als geplant.

Der Beratungsaufwand wird nicht selten auch dadurch aufgeblaeht, dass Spezialloesungen im Umfeld der SAP-Software auf Basis vorhandener Tools wie Abap/4 realisiert werden muessen. Das mag fuer kleine Module, Schnittstellen und Auswertungen berechtigt sein, nicht jedoch fuer komplexe Zusatzpakete.

Die Beschaffung der SAP-Standardsoftware ist haeufig so angelegt und begruendet, dass kein Budget fuer den Einsatz von Spezialsoftware eingeplant ist. Deren Funktionen werden zwar von Anwenderseite benoetigt, aber von der Standardsoftware nicht befriedigend zur Verfuegung gestellt. In solchen Faellen ist die Fachabteilung gezwungen, speziellen Anforderungen selbst oder mit zusaetzlichen Beratern gerecht zu werden. Dies bedeutet aber letztendlich individuelle Realisierungen im SAP-Umfeld, verbunden mit den Einmalkosten, der Zeitdauer und dem Wartungsaufwand unternehmensspezifischer Loesungen. Damit verkehrt sich der Sinn der Beschaffung eines Standards ins Gegenteil.

Die SAP-Standardsoftware kann nicht alle speziellen Branchenanforderungen oder saemtliche moeglichen funktionalen Bedingungen erfuellen. Sie erhebt diesen Anspruch auch nicht. Deshalb ist es fuer SAP-Anwender empfehlenswert und notwendig, neben dem SAP-Standard auch Spezialloesungen anderer Hersteller zuzulassen, falls diese SAP-kompatibel sind. Bewaehrte und preiswerte Angebote als Ergaenzung zu SAP-Standardsoftware gibt es am Markt fuer die unterschiedlichsten Gebiete.