Speichermarkt: Die Software soll es richten

28.11.2001
Von 
Riem Sarsam war Redakteurin des CIO-Magazins.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Der Speichermarkt befindet sich im Umbruch. Zwar sind die Hardwarepreise noch nicht auf ein schmerzhaftes Niveau gesunken, doch der Trend geht klar zu billigeren Speichern. Um künftig wieder zu wachsen, werden sich die Hersteller verstärkt auf das Angebot von Software umstellen müssen.

Über den weiterhin steigenden Bedarf an Speicherkapazitäten herrscht Einigkeit unter Experten. Die Nachfrage wird um jährlich 60 Prozent wachsen, schätzt Gartner-Analyst Josh Krisher in einer aktuellen Hochrechnung. Forscher der Universität von Kalifornien in Berkeley gehen davon aus, dass in den nächsten drei Jahren mehr Daten produziert werden als in den zurückliegenden 40000 Jahren. Eigentlich wären das rosige Aussichten für die Anbieter von Speichersystemen. Doch die Zeiten sind vorbei, in denen sich die Industrie auf solchen oder ähnlichen Prognosen ausruhen konnte. Auch der Speichermarkt bekam die Konjunkturflaute zu spüren. „Noch gibt es aber keinen Grund zur Panik,“ sagt Meta-Group -Berater Norbert Deuschle, „man kann mit Hardware im Speichergeschäft noch immer viel Geld verdienen.“

Steigender Speicherbedarf reicht nicht

Dennoch: Im Durchschnitt spricht man von einem Rückgang der Hardwarepreise von durchschnittlich 35 Prozent pro Jahr. Diese Entwicklung kann auch nicht von dem ständig steigendem Bedarf an Kapazität kompensiert werden. Gartner schätzt, dass beispielsweise in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (Emea) die Hersteller von Raid-Speichern dieselben Einnahmen von acht Milliarden Dollar einnehmen wie im Vorjahr, während die Stückzahl der ausgelieferten Systeme über 70 Prozent gestiegen ist. Doch nicht nur die sinkenden Hardwarepreise schmerzen die Hersteller. Auch in Art und Umfang der Aufträge hinterlässt die Wirtschaftsflaute ihre Spuren. Statt in langfristige Infrastrukturprojekte investieren viele Kunden lieber in kurzfristige Aufträge zur Abdeckung des nötigsten Bedarfs.

Vernetzte Speichersysteme: Das Segment, zu dem sowohl NAS- als auch SAN-Installationen zählen, stieg von 7,5 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr auf 8,1 Milliarden Dollar.     

Entsprechend sehen auch die neuesten Prognosen von IDC aus: Die Marktforscher erwarten für das Jahr 2001 ein weltweites Umsatzminus von rund 18 Prozent. Dabei entwickelten sich die verschiedenen Teilmärkte uneinheitlich. Während direkt verbundene Speicher (Direct Access Storage = DAS) sich zunehmend geringerer Akzeptanz erfreuen, ihr Marktsegment ging von 2000 auf 2001 um ein Drittel zurück, setzen die Anwender verstärkt auf Speicher, die über das Netz miteinander verknüpft sind (Storage Area Networks = SAN, Network Attached Storage = NAS). Die Umsatzzahlen für NAS-Systeme stiegen um knapp 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Konsolidierung zeichnet sich ab

Die Folgen des partiellen Markteinbruchs liegen auf der Hand: eine Konsolidierung scheint unausweichlich. Chancen werden vor allem finanzstarken Playern wie IBM, Compaq, EMC, Hitachi Data Systems (HDS) oder Sun eingeräumt. Daneben kämpfen sich eine Reihe größerer Nischenanbieter wie Storagetek, Data Core oder Network Appliance durch die Krise. Die trübsten Aussichten dürften wohl Spezialisten wie die US-Firmen Sangate oder Stonefly Networks haben. Sie laufen derzeit Gefahr, wegen einer interessanten Technik geschluckt zu werden oder infolge von Geldmangel aufgeben zu müssen.

Doch noch sind die Karten nicht neu gemischt. Schließlich sind es mehrere Faktoren, die über die künftige Positionierung der Anbieter entscheiden werden. Nicht nur die gekürzten Budgets ihrer Klientel treffen die Hersteller, auch der zunehmende Konkurrenzkampf und die veränderten Kundenwünsche rütteln am bisherigen Marktgefüge.

EMC schreibt rote Zahlen

Beispiel EMC: Angetreten mit seinem Highend-Speicher „Symmetrix“ konnte sich das US-Unternehmen vor fünf Jahren an die Spitze des Marktes katapultieren. Auch wenn EMC mit seinen Preisen wucherte, Symmetrix galt innerhalb seiner Kategorie als das beste Produkt in puncto Funktionalität und wurde gekauft. Doch die Konkurrenz zog nach, und seit beispielsweise IBM oder Hitachi Data Systems (HDS) mit Produkten wie „Shark“ oder „Lightning“ konterten, büßte EMC seinen Technikvorsprung ein und damit letztlich auch die Rechtfertigung für die hohen Preise. Die Kunden begannen sich umzuorientieren, mit dem Ergebnis, dass EMC in diesem Jahr Marktanteile abgeben musste, während alle übrigen Wettbewerber Boden gutmachten.

„Symmetrix bot traditionell mehr Funktionen als die Produkte der Konkurrenz“, beschreibt Gartner-Analyst John Krisher die Entwicklung. „Doch Firmen wie HDS, HP, Storagetek oder IBM haben hier aufgeholt und zwingen EMC nun, seine Preise zu reduzieren.“ Mit fatalen Folgen für den Marktführer, der damit seine Profitabilität einbüßte. Zum ersten Mal seit zwölf Jahren schreibt das Unternehmen rote Zahlen unter seine Bilanz. Im dritten Finanzquartal standen noch vor Abzug von Sonderaufwendungen minus 270 Millionen Dollar unter dem Strich – inklusive dieser Kosten belaufen sich die Verluste auf annähernd eine Milliarde Dollar.

Der weltweite Markt für externe Raid-Systeme: Nach den jüngsten Schätzungen von IDC musste EMC kräftig Federn lassen.

Mit Preisdumping auf Kundenfang

Dass es der Konkurrenz kaum besser geht und auch andere Hersteller die Kunden mit günstigen Angeboten zu locken versuchen, dürfte wohl kaum ein Trost sein. „Derzeit werden in Projekten Speichergeräte für 50 bis 60 Prozent unter Listenpreis verkauft“, erläutert Meta-Berater Deuschle, in Einzelfällen gar um bis zu 80 Prozent.

Wenn sich die Hersteller nichts Neues einfallen lassen, dürfte die Entscheidung des Kunden nur noch über den Preis gehen, meint Deuschle. Welch ruinöse Auswirkungen dies hat, zeigt der Blick auf den PC-Markt. Traditionelle Speicherhersteller halten daher bereits seit längerem Ausschau nach neuen Einnahmequellen sowie Differenzierungsmerkmalen gegenüber der Konkurrenz. Für beide Probleme scheint die Lösung in Richtung zu mehr Software sowie umfassenderen Services zu gehen. "Das Schöne am Softwaregeschäft ist der stete Geldzufluss durch die Lizenzen", erklärte Sean Derrington, Speicherexperte bei der Meta-Group kürzlich gegenüber der CW. Und nicht nur das: "Der Schlüssel zur Differenzierung wird die intelligente Speichersoftware sein", untermauert sein Kollege Deuschle den sich abzeichnenden neuen Trend. Bereits in den vergangenen Jahren haben sich große Anbieter wie EMC, HDS, Compaq oder IBM auch um die Entwicklung von Software

gekümmert. Dazu gehören beispielsweise teure Programme zur Datenspiegelung wie "SDRF" von EMC, "Nanocopy" von Hitachi oder der "Datareplication-Manager" von Compaq.

Hersteller produzieren am Anwender vorbei

Doch von einem echten Wechsel hin zu umfassenderen Lösungen kann noch nicht die Rede sein. Betrachtet man beispielsweise die Umsatzzahlen von EMC, einer der wenigen Companys, die einzelne Geschäftsbereiche gesondert ausweist, so macht hier das Softwaregeschäft noch immer einen wesentlich geringeren Teil aus. Auch wenn EMC das Segment zum Zukunftsmarkt erklärt hat, den Einnahmen mit Software von 243 Millionen Dollar stehen Hardwareumsätze von 676 Millionen Dollar gegenüber. Statt zu wachsen, ist der Softwareanteil also gegenüber dem Vorquartal sogar noch gesunken.

Die Hersteller produzierten offenkundig am Kundenbedarf vorbei. Diese verlangen vor allem nach Management-Tools, die ihnen die Verwaltung unterschiedlicher Systeme erleichtern. Die Speichersysteme der Unternehmen haben sich im Lauf der Zeit zu heterogenen Landschaften entwickelt, deren einzelne Komponenten die Anwender mit geringst möglichem Aufwand integrieren wollen und müssen.

IDC geht davon aus, dass sich der weltweite Umsatz mit Speichersoftware von 2000 bis 2005 nahezu verdoppeln wird. Zwar wächst der größte Teilmarkt, die Archivierungs- und Backup-Anwendungen, weiterhin mit einer Rate von annähernd zwölf Prozent. Das Geschäft mit Management-Software aber wird mit einer Anstiegsquote von 19,5 Prozent der am schnellsten expandierende Sektor sein. Von derzeit 1,1 Milliarden Dollar im Jahr 2000 soll der Markt laut IDC-Schätzung im Jahr 2005 auf ein Umsatzvolumen von 2,7 Milliarden Dollar heranwachsen. "Die Nachfrage nach geeigneten Management-Tools sowie die Bemühungen der Anbieter, auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben, werden die Schlüsselfaktoren für das Marktwachstum sein", prognostiziert Bill North, Research Direktor bei IDC.

Bislang nur Lippenbekenntnisse

Getrieben wird die weitere Entwicklung von der Datenflut sowie einer steigenden Aufmerksamkeit in punkto Datensicherung zunehmend auch bei PCs und mobilen Geräten. Gleichzeitig wird jedoch der Mangel an IT-Experten für Hochverfügbarkeitssysteme, Anwendungen und Speicher-Management nach Ansicht des IDC-Mannes zumindest in den nächsten Jahren dem Wachstum seine Grenzen setzen.

Eine zentrale Voraussetzung für anhaltend gute Geschäfte wäre eine grundsätzlich neue Haltung zum Markt. Unter anderem müssten die Anbieter herstellerunabhängige Management-Software herausbringen – und damit können sie sich nur zögerlich anfreunden. Zwar gaben sie sich in der Vergangenheit aufgeschlossen und versprachen ihren Kunden mehr Offenheit gegenüber ihren Wettbewerbern. Doch die klangvollen Namen der verschiedenen Initiativen, sei es "Versastore" von Compaq "Wide Sky" von EMC oder "Storage Tank" von IBM, können nicht davon ablenken, dass es bislang bei Lippenbekenntnissen blieb. Die nötige Zusammenarbeit beispielsweise in punkto Offenlegung der eigenen Schnittstellen blieb meist auf halber Strecke stecken.

Weil die Softwareprojekte unter der mangelnden Bereitschaft der Anbieter leiden, sich zu öffnen, gingen die Hersteller zunächst andere Wege der Expansion. Beliebt sind beispielsweise Partnerschaften mit Dritten, bei denen sich niemand zu weit öffnen muss. EMC schloss erst kürzlich ein Vertriebsabkommen mit Dell, was ebenfalls neue Verkaufswege beispielsweise in das Segment für NT-Plattformen öffnet. Compaq, Marktführer im Midrange-Bereich, arbeitete zunächst mit IBM zusammen, kündigte diese Kooperation jedoch vor kurzem und macht nun mit EMC bei einigen Produkten gemeinsame Sache. Compaqs Fusionspartner Hewlett-Packard hingegen hat ein Abkommen mit Hitachi Data Systems geschlossen, das seinerseits mit IBM und seit neuestem auch mit Sun verbandelt ist. Im SAN-Bereich trifft man gleich auf einen Verbund von mehreren Größen des Marktes, unter anderem IBM, EMC, Hitachi und Compaq. Hinzu kommen eine Fülle von Kooperationen mit

Speichersoftwareherstellern wie Veritas oder Brocade, großen Anbietern von Standardlösungen wie Oracle und SAP sowie Netz- und Systemausrüstern wie Intel oder Cisco. Doch ob die Firmen mit solchen Verflechtungen ihren Kunden am Ende plattformübergreifende Speicherumgebungen anbieten können, darf bezweifelt werden. "Was EMC als offen bezeichnet, würde ich eher interoperabel nennen", differenziert Meta-Group-Analyst Derrington.

Startups nutzen die Versäumnisse

Kooperationen funktionieren bisher vorrangig auf Nebenschauplätzen – und auch nur dann, wenn die Zahl der Partner begrenzt ist. Dass die Kunden dies schätzen, lässt sich etwa an der raschen Markteinführung von Ultrium-Bandkassetten erkennen, die eine Speicherkapazität von bis zu 200 GB bieten. HP hatte gemeinsam mit IBM und Seagate die technische Grundlage für den offenen Standard für Bandlaufwerke LTO (Linear Tape Open Programm) geliefert. "Der Verkauf von über einer Million Kassetten im ersten Jahr übertraf unsere Erwartungen", freute sich Neville Pawsey, General Manager bei Hewlett-Packard. In umsatzstärkeren Sektoren hingegen lassen sich die Speicherriesen nur zögerlich von der Konkurrenz in die Karten schauen.

Zu zögerlich vielleicht, denn da die Großen die Entwicklung von Software-Tools verschliefen, sprangen kleinere Firmen wie Network Appliance oder Data Core in die Bresche und sicherten sich einen Teil des lukrativen Wachstumsmarkts. Auch eine Reihe von Startups wie die Management-Softwarespezialisten Trellisoft oder Astrum Software versuchen ihr Glück mit den Lücken, die die Großen bisher offen ließen.

Welchen Erfolg die Kleinen damit haben werden, ist noch nicht abzusehen. Denn obwohl Unternehmen wie Network Appliance oder Data Core in der Vergangenheit gezeigt haben, dass der Einstieg in den Markt möglich ist, geht die Krise auch an ihnen nicht spurlos vorüber. Network Appliance etwa hatte die zunehmende Attraktivität von Speichernetzen (NASs) frühzeitig erkannt und eroberte rasch die Position des Marktführers in diesem Segment. Zumindest bis die wachgerüttelten Großen nachzogen und ihr ganzes Marktgewicht in die Waage legten.

Ende 2000 hatte EMC offen das Ziel formuliert, Network Appliance die Marktführerschaft abzunehmen. Den jüngsten Einschätzungen von IDC zufolge, ist dem Hersteller dies anscheinend gelungen. Der Marktanteil konnte auf rund 43,3 Prozent, der Abstand zu Network Appliance um zehn Prozentpunkte ausgebaut werden.

Schub für das Softwaregeschäft

Zugute kam EMC dabei, dass Network Appliance mit Großkunden aus dem TK-Bereich auf das falsche Pferd gesetzt hatte. In der zuletzt veröffentlichten Quartalsbilanz des Unternehmens rutschte der Umsatz von 260,8 Millionen im Vorjahr auf 194,7 Millionen Dollar, der Gewinn brach von knapp 37 Millionen Dollar auf unter acht Millionen Dollar ein.

Doch auch wenn die derzeitige Entwicklung nun auf Kosten der jungen Vorreiter geht, immerhin scheint es diesen Firmen gelungen zu sein, in eine Marktlücke vorzustoßen. Die Chancen stehen gut, dass die Big Player, gezwungen durch die wirtschaftliche Schwäche und angestachelt vom Erfolg kleiner Firmen, nun ihre Entwicklungen in Sachen Software vorantreiben.

Zum Teil geschieht dies aus eigener Kraft, wie etwa bei Compaq, zum Teil durch Zukäufe kleiner Technologiefirmen. Allein EMC hat in den vergangenen 18 Monaten sieben Firmen geschluckt, darunter einige, die noch nicht einmal ein fertiges Produkt am Markt haben. "Es geht uns bei den Akquisitionen nicht um Marktanteile, sondern um die Technologie", beschreibt EMC-Deutschland-Sprecher Malte Rademacher die Einkaufsstrategie des Unternehmens. Dennoch flössen von den rund 800 Millionen Dollar, die EMC jährlich für Forschung und Entwicklung ausgibt, rund 95 Prozent in Eigenentwicklungen. Nur fünf Prozent würden für Übernahmen verwendet.

Jeder will Marktführer sein

Gemessen an den Reaktionen, die die jüngste IDC-Studie in den entsprechenden Marketing- und PR-Abteilungen auslöste, geht der Kampf um Marktanteile allerdings sehr wohl weiter. Jeder will Marktführer sein, und sei es nur in bestimmten Segmenten.

Vorteile versprechen sich Big Blue, aber auch Sun von dem durch die Fusion mit HP ins Stocken geratenen Geschäft von Compaq. Welche Rolle der künftige Konzern HP/Compaq im Speichermarkt spielen wird, "wissen wahrscheinlich noch nicht einmal die Beteiligten selbst", mutmaßt Meta-Group-Mann Deuschle. Dass der vermeintlich neue und große Herausforderer von IBM im Speichergeschäft völlig von der Bildfläche verschwinden wird, dürfte unwahrscheinlich sein. (rs)