Spardiktat fordert IT-Manager heraus

13.11.2001
Von Martin Ottomeier
Nachdem die Firmen jahrelang vehement in den Ausbau der DV-Systeme investiert haben, stehen die IT-Ausgaben nun auf dem Prüfstand. Die IT-Abteilungen müssen den Spagat schaffen, kurzfristig die Kosten zu senken, ohne die langfristig positiven Effekte zu verschenken.

Die gesamtwirtschaftliche Lage wird immer bedrohlicher: kaum noch Wachstum in den USA, Pessimismus unter den deutschen Firmenchefs, massive Umsatz- und Gewinneinbrüche in vielen Unternehmen. Das wirkt sich auch auf die IT-Budgets aus. Nach Untersuchungen des Beratungsunternehmens Meta Group kam der Knick bereits im März dieses Jahres.

Hermann-Josef Lamberti, CIO und Mitglied im Vorstand der Deutschen Bank AG
Hermann-Josef Lamberti, CIO und Mitglied im Vorstand der Deutschen Bank AG

In diesem Monat sind zum ersten Mal seit Jahren die IT-Budgets nicht mehr gestiegen, sondern gesunken - nämlich um zehn Prozent gegenüber dem Vormonat. Nur noch 3,15 Prozent des Umsatzes werden in die DV investiert - nach einem Höchststand von über 3,8 Prozent im Jahr 2000. Für 2002 rechnen einer Umfrage der Berater zufolge nur noch 45 Prozent der Unternehmen mit steigenden IT-Budgets. Neun Prozent erwarten Einschnitte.

"Grundsätzlich gibt es bei uns keine geschützten Projekte - es wird in jedem Bereich gespart", zieht Hermann-Josef Lamberti die Notbremse. Er verantwortet als CIO und Mitglied im Vorstand der Deutschen Bank deren gesamten IT-Bereich. Konkret soll das IT-Budget binnen drei Jahren um 15 Prozent gesenkt werden. Bereits im nächsten Jahr will Lamberti fünf Prozent sparen. Im laufenden Geschäftsjahr gibt die Deutsche Bank 110 Millionen Euro weniger für E-Commerce-Projekte aus. Die Ausgaben sind von 330 Millionen im Vorjahr auf nun 220 Millionen geschrumpft.

Lamberti ist nicht allein. Auch der Energiekonzern Eon stellt seine IT-Struktur auf den Prüfstand: "Alle Projekte werden neu priorisiert, um auf weniger wichtige Vorhaben gegebenenfalls verzichten zu können", erläutert Gisela Wörner, CIO bei der Eon AG. "Dies geschieht natürlich nur in enger Absprache mit den Verantwortlichen aus den Fachbereichen, mit denen diese Projekte aufgesetzt worden sind." Und auch Susan Unger, CIO und Vice President IT-Management bei der Daimler- Chrysler AG, schaut zurzeit bei den Investitionen genauer hin: "Projekte mit einem geringeren Return on Investment, etwa die Investition in neue Softwareversionen, sind derzeit noch intensiver zu hinterfragen."

"Alle Projekte, die nicht zur Ertragssteigerung beitragen, werden kritisch durchleuchtet oder ganz gestoppt", beobachtet Dietrich Schmitt, Partner bei Deloitte Consulting, in den Unternehmen. Traditionelle Bewertungskriterien erhielten wieder eine höhere Bedeutung. "Auf den steigenden Kostendruck und sinkende Umsatzrenditen reagieren die Unternehmen weltweit gleich: mit der Suche nach Rationalisierungspotenzialen", beschreibt Andreas Pestinger, Director Research bei der Meta Group in Deutschland, die Stimmung.

Susan Unger, CIO und Vice President IT-Management, Daimler-Chrysler AG
Susan Unger, CIO und Vice President IT-Management, Daimler-Chrysler AG

Einsparungsmöglichkeiten lassen sich in den rasant gewachsenen IT-Abteilungen oft finden. "Meiner Meinung nach haben alle Unternehmen heute zu hohe IT-Ausgaben, die aus der sehr dynamischen Entwicklung der letzten Jahre stammen und nun zurechtgestutzt werden müssen", so der ehemalige IBM-Geschäftsführer Lamberti. Und auch Christine Eckardt, Leiterin der Business Unit IT Management bei Diebold, hat beobachtet, dass viele Unternehmen in den fetten Jahren oft in viele verschiedene DV-Systeme investiert und damit eine sehr heterogene IT-Umgebung aufgebaut haben. Diese systematisch zu vereinheitlichen birgt ihrer Ansicht nach ein großes Einsparungspotenzial: "Nicht jedes Unternehmen muss sich universitäre Anschauungsobjekte halten, um damit zu experimentieren." Laut Eckardt lassen sich die Hardware- und Betriebssystem-Plattformen sowie Middleware reduzieren, so dass die Administration der DV-Systeme drastisch vereinfacht

würde.

Dieser Ansatz funktioniert auch auf Anwendungsebene. "Insbesondere in global agierenden Unternehmen kann eine unternehmensweite Optimierung der IT-Systeme substanzielle Einsparungspotenziale freisetzen", behauptet Sven Peters, Vice President Technology Consulting bei Cap Gemini Ernst & Young in Deutschland, weist aber auch darauf hin, dass dabei oft kulturelle und psychologische Hemmschwellen zu überwinden sind.

Dem Softwareanbieter Oracle ist das mit entsprechender Management-Unterstützung allerdings gelungen. Weltweit hat das Unternehmen die Zahl seiner IT-Systeme drastisch reduziert. So gibt es heute nur noch vier statt 97 E-Mail-Server. Die Zahl der damit verbundenen Datenbanken ging von 120 auf vier zurück. Auf Anwendungsebene werden nur noch zwei Server mit vier damit verbundenen Datenbanksystemen eingesetzt statt zuvor 32 Server mit 60 Datenbanken. Allein im Support wurden 26 der 27 Anwendungen abgeschafft und durch eine zentrale Instanz ersetzt. Das Ergebnis: Nach eigenen Angaben zahlt das Unternehmen für die IT nur noch 440 Millionen Dollar statt zuvor 600 Millionen. Hinzu kommen indirekte Einsparungen durch nicht mehr nötige Rechenzentren.

Diesen Ansatz verfolgt auch die Deutsche Bank: "Kurzfristig senken wir die Kosten, indem wir zum Beispiel redundante Systeme zusammenführen. So konnten wir allein durch eine intelligentere E-Mail-Server-Struktur 60 Prozent der bestehenden dezentralen Server abschalten", erläutert Lamberti. Weiteres Potenzial bergen bei dem Finanzgiganten verschiedene Systeme für die Wertpapierabwicklung, das Risiko-Management und den Handel. Das eingesparte Geld will der CIO in den Umbau der IT stecken: "Um das Rationalisierungspotenzial im IT-Bereich ausschöpfen zu können, müssen wir in die Restrukturierung unserer DV-Landschaft investieren." Daher bleiben die Gesamtausgaben in diesem Jahr zunächst konstant. Was gespart wird, fließt wieder in langfristige Kostensenkungsprogramme.

Bei Banken sind das nach Ansicht von Lamberti unter anderem die Ablösung von Individualsoftware durch Standardanwendungen sowie die Reduzierung der Komplexität. "In der Vergangenheit haben Banken hohe Beträge für die Anwendungsentwicklung ausgegeben - oft aufgrund falsch verstandener Individualität." Die Deutsche Bank setzt daher in vielen Bereichen Standardsoftware ein. "Das voranzutreiben ist für uns absolut strategisch", betont Lamberti. Zum Beispiel arbeitet das Geldinstitut mit SAP R/3 bei Accounting und Kostenrechnung, nutzt Peoplesoft im Personalbereich und setzt auf Lotus Notes für E-Mail.

Die verschiedenen Systeme sollen dabei künftig über eine einheitliche Infrastruktur verbunden werden. "Ein enormes Potenzial zur Reduzierung der Komplexität unserer IT-Welt besteht in der Abschaffung von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen den einzelnen Systemen", analysiert der IT-Boss der Deutschen Bank. Das soll eine einheitliche Middleware ermöglichen, die das Geldinstitut zurzeit auf der Basis von Middleware-Standardprodukten entwickelt, der "D-Bus".

Auch Eon-CIO Wörner will den IT-Bereich restrukturieren: "Um langfristig die Kosten reduzieren zu können, setzen wir auf eine stärkere Standardisierung der Plattformen im IT-Bereich und der Anwendungslandschaft, zum Beispiel durch Konsolidierung von Systemen, Einführung von Standardsoftware statt der Individualsoftware und Ähnliches." Bei dem Energiekonzern werden aber auch kurzfristige Maßnahmen getroffen, zum Beispiel die Modernisierung von Technologien verschoben, wo das möglich ist.

Strategische Pläne verfolgt Wörner aber konsequent weiter: "E-Business-Projekte und unser Intranet werden in der Regel vorangetrieben. Solche Dinge sind für unsere langfristige Strategie von großer Bedeutung." Auch die Modernisierung und der Ausbau von Kommunikations- und Integrations-Schnittstellen sowie der Ausbau der Netzwerke haben Priorität.

Daimler-Chrysler investiert ebenfalls in die strategischen Projekte. "Wir verfolgen mit Hochdruck unsere globale IT-Strategie weiter, genauso wie unsere globale Business-Strategie im Rahmen der DCX Net Initiative, um die gesamte Wertschöpfungskette im Unternehmen zu vernetzen", stellt CIO Unger klar. Für die Optimierung der Geschäftsprozesse und die damit verbundenen Einsparungspotenziale spielt auch die Kommunikation mit Kunden, Händlern und Zulieferern eine große Rolle. Dazu setzt der Automobilhersteller vor allem auf die Entwicklungsplattform "Fastcar" und den Automobilmarktplatz "Covisint".

"Die Möglichkeiten, die hohen Ergebniserwartungen zu erfüllen, sind in verschiedenen Branchen sehr unterschiedlich", erklärt Deloitte-Partner Schmitt die teilweise unterschiedlichen Konzepte, "Handel und Finanzdienstleister sollten eher in die Kundenbindung investieren und den Umsatz mit ihren Kunden erhöhen, während das produzierende Gewerbe Kosten durch IT reduzieren kann, indem es das Rationalisierungspotenzial ausschöpft." Tatsächlich gehört Customer-Relationship-Management (CRM) in vielen Unternehmen zu den strategischen Themen. So arbeitet die Deutsche Bank hierbei intensiv mit Siebel zusammen. Und auch der Pharmagroßhändler Gehe AG forciert sein Siebel-Projekt: "In meinem Bereich werden die Investitionen nicht zurückgefahren", sagt Frank Weyermann, Projektleiter CRM bei Gehe. "Die Entscheider bei uns im Haus wissen, dass unsere CRM-Projekte wichtig sind und daher vorangetrieben werden müssen."

Und nicht nur die großen Unternehmen geben weiterhin Geld für die DV aus. "Im IT-Bereich wird bei uns eher investiert als gespart", berichtet Thomas Dinkel, DV-Leiter beim mittelständischen Fachverlag Konradin Verlag, "wir versprechen uns davon langfristig ein Einsparungspotenzial in anderen Verlagsbereichen." Ziel sei eine einheitliche Infrastruktur über den gesamten Verlag hinweg.

Allerdings muss der konkrete Nutzen heute stärker als bisher nachgewiesen werden, beobachtet Cap-Gemini-Experte Peters. "Projekte, die keinen klaren Benefit-Case aufweisen, stehen zurzeit auf dem Prüfstand. Auch deshalb haben es weiche Themen wie Knowledge-Management schwer." Kostensenkungspläne seien demgegenüber relativ leicht zu rechnen. Zwar müsse investiert werden, aber die Rationalisierungspotenziale ließen sich kurzfristig realisieren.

Gisela Wörner, CIO, Eon AG
Gisela Wörner, CIO, Eon AG

Beim Stoppen oder Verschieben von Projekten sollte aber nach Ansicht der Berater darauf geachtet werden, nicht pauschal die teuer eingekauften Fachkräfte wieder freizusetzen.. "Es tut sich niemand einen Gefallen, wenn er qualifizierte Mitarbeiter entlässt", betont Diebold-Beraterin Eckardt. Der IT-Personalmarkt sei trotz der Entspannung noch sehr eng. "Die Mitarbeiter und deren Know-how werden sich nur mühsam ersetzen lassen, wenn die Zeiten wieder rosiger aussehen." Und Cap-Gemini-Berater Peters möchte das naturgemäß auch auf seine Branche angewandt sehen: "Firmen, die pauschal bei den freien Mitarbeitern oder Consultants sparen, handeln unsinnig." Die Bewertung eines Projekts und dessen Zielsetzung müssten im Vordergrund stehen und nicht die Frage, ob sich Verträge schnell oder leicht kündigen lassen. Doch das ist oft leichter gesagt als getan, wenn das Geld knapp wird. "Als kurzfristige Maßnahme zur Kosteneinsparung reduzieren wir zum

Beispiel die Zahl der externen Mitarbeiter", gibt Eon-CIO Wörner zu. "Hier lässt sich am schnellsten sparen." Auch Lamberti nutzt die infolge von Konsolidierungsmaßnahmen frei gewordenen angestellten Beschäftigten, um den zurzeit 40-prozentigen Anteil der externen Mitarbeiter zu reduzieren.