Elektrotechnik: Ein Ingenieurberuf im Umbruch

Softwarewissen ist Trumpf

25.10.2000
Von 
Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.
Ingenieure der Elektrotechnik haben wenig Schwierigkeiten beim Berufseinstieg. Aber das Berufsbild hat sich in den letzten Jahren entscheidend verändert. Exzellente Fachkenntnisse allein reichen nicht mehr aus, gute DV-Qualifikationen sind ein unbedingtes Muss.

Der Ingenieur, seit Beginn der Industrialisierung eine treibende Kraft des technischen Fortschritts, hat den Übergang vom Industrie- ins Informationszeitalter erfolgreich überstanden. Zwar hat die Digitalisierung unserer Welt auch die Arbeitswelt des Elektroingenieurs radikal verändert, aber seine Rolle als Motor der Innovation ist nach wie vor unbestritten: Bei der Entwicklung von Chips und Halbleitern ist er dabei, den Fortschritt digitaler Bauelemente voranzutreiben. Seine Berufskollegen im Anlagenbau, oder Nachrichtentechnik, Automatisierungs-, Kommunikations- und Informationstechnik bauen die sich rasant entwickelnde digitale Technik in immer neue Geräte mit immer größerer Leistungsvielfalt ein.

Gerade in den Zukunftstechnologien eröffnen sich neue Tätigkeitsfelder. Digitale Datentechnik und Mobilfunk, Satellitentechnik und -telefonie, Umwelttechnik und intelligente Steuerungssysteme - kaum ein zukunftsträchtiger Bereich, in dem Elektroingenieure nicht an vorderster Front die Entwicklung gestalten. Dabei sind Ingenieure an allen Phasen, von der Forschung und Entwicklung, über Planung und Konstruktion, Fertigung und Produktion bis zum Topmanagement beteiligt. Nach einer Umfrage des Zentralverbnds der Elektroindustrie (ZVEI) unter 210 deutschen Unternehmen nimmt die Anzahl der Ingenieure - trotz insgesamt sinkender Mitarbeiterzahlen - seit 1993 kontinuierlich zu. Ein Trend, der anhalten wird, plant doch die Mehrzahl der Unternehmen, in naher Zukunft mehr Elektroingenieure und Informatiker einzustellen. Dabei sind die meisten Elektroingenieure (41 Prozent) in Konstruktion, Forschung und Entwicklung tätig, dicht gefolgt von den Vertriebsingenieuren (40 Prozent), nur etwa neun Prozent arbeiten in der Produktion. Mehr als die Hälfte aller Abteilungs-, Gruppen- oder Bereichsleiter haben ein ingenieurtechnisches Studium absolviert, der Sprung ins Management gelingt in kleineren Betrieben leichter: In Unternehmen mit weniger als 5000 Beschäftigten ist fast jedes zweite Mitglied von Vorständen oder Geschäftsführungen Ingenieur oder Informatiker, in Großunternehmen nur 16 Prozent.

Die Art der Tätigkeit ist so breit gespannt wie in kaum einem anderen Beruf. Ingenieure, die hochintegrierte Schaltungen für neue Chips entwickeln, scheinen mit Kollegen, die Generatoren für Kraftwerke konstruieren, Fertigungsstraßen der Automobilindustrie einrichten und überwachen oder den Standort von Sende-Antennen für Mobilfunknetze und Netz-Sicherheitslösungen planen, kaum mehr gemeinsam zu haben als die Berufsbezeichnung. Zum Bindeglied wird mehr und mehr das Computer-Know-how, ohne das heute keine Ingenieursaufgaben mehr zu lösen sind. Mit dem gemeinsamen elektrotechnischen Grundstudium, DV- und Programmierkenntnissen, dem geübten Umgang mit CAE, CAD, Simulations- und Planungssoftware und der Fähigkeit zur systematischen Einarbeitung in technische Problemstellungen verfügen Ingenieure über eine einzigartige Zusammenstellung von Fertigkeiten.

Aber selbst das reicht heute nicht mehr. Der Tüftler und Bastler, ein Image, das seit Beginn des Industriezeitalters dem Ingenieurberuf anhaftet, hat ausgedient. Gefragt ist heute der engagierte Teamarbeiter, der in der Lage ist, seine Fachkompetenz in Projekte einzubringen und in Kommunikation mit Kollegen und Kunden kosten- und serviceorientierte Lösungen zu erarbeiten. Elektroingenieure sind bis zu einem gewissen Grade Generalisten - weshalb sie mit der heute üblichen innerbetrieblichen Ausbildung oder Einarbeitung für nahezu jeden Bereich qualifizierbar sind. Denn ohne detaillierte Einweisung kommt heute keiner mehr aus, weil die Aufgabenstellung in den Unternehmen viel spezieller ist als der universell und exemplarisch angelegte Lehrstoff an den Hochschulen.

Diese Erfahrung hat auch Ulrich Krebbel gemacht, als er vor etwa zehn Jahren bei einem Hamburger Maschinenbauer in der Entwicklungsabteilung einstieg. Der Elektroingenieur der Fachrichtung Energietechnik und Anlagenbau stellte sehr schnell fest, dass seine fachliche Ausbildung mit seinen neuen Aufgaben nur wenig zu tun hatte: "Das konnte ich auch nicht erwarten - dafür war die Aufgabenstellung, die Steuerung industrieller Getränkemaschinen, zu speziell." Trotzdem fühlte er sich durch sein Fachhochschulstudium nicht schlecht vorbereitet, "weil es mir die analytischen und konzeptionellen Fähigkeiten vermittelt hat, um mich in Aufgabenstellungen einzuarbeiten".

Bei seinem Arbeitgeber, der Maschinen für Abfüllanlagen, Flaschenreinigungsmaschinen und Mixer für die Getränke-Industrie herstellte, kamen ihm neben diesen Fähigkeiten vor allen Dingen seine Computerkenntnisse zugute. "Dass ich mit dem PC umgehen und auch programmieren kann, war für meinen Arbeitgeber selbstverständlich". Während der Einarbeitungszeit war er fast vollkommen auf sich allein gestellt. "Im ersten halben Jahr konnte ich mehr oder weniger machen, was ich wollte und musste mir teilweise meine Aufgaben selbst suchen. Es gab keinen Leistungsdruck, aber auch fast keine Hilfestellung", erinnert sich Krebbel. Er hat sich dann eigenständig in den Bereich der Prozeß-Visualisierung eingearbeitet, worauf ihm dann das komplette Projekt der Einführung verantwortlich übertragen wurde.

Bei der Prozess-Visualisierung geht es darum, den aktuellen Betriebszustand von Maschinen mit Hilfe einer Vielzahl von Sensoren, Messfühlern und Leistungsanzeigern in einer speziellen Software zusammenzuführen und auf dem Bildschirm sichtbar zu machen. Damit wird eine Analyse jeder Betriebsphase und die Optimierung der Steuerungsprogramme erheblich vereinfacht. Krebbel mußte die Visualisierungs-Software verschiedener Hersteller auswählen und testen, über Preise verhandeln, Konditionen absprechen, die Programme auf den Maschinen einrichten und zuletzt die Kollegen schulen. Krebbel ist seit dem Konkurs seines Unternehmens vor drei Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer Fachhochschule angestellt - mit einer Teilzeitstelle. "Das lässt mir noch genug Zeit für meine selbstständige Tätigkeit als Berater im Bereich Prozess-Visualisierung." Für ihn ist das eine optimale Kombination, da mit der Sicherheit der Festanstellung die Risiken seines Ein-Mann-Unternehmens überschaubar sind.

Das Angebot an Arbeitsplätzen für Ingenieure in der Industrie ist breit gestreut, die Erwartungen sind indes hoch: "Obwohl der Markt für gute Leute eng ist, haben wir die Anforderungen an die Bewerber nicht gesenkt", erklärt Karena Buder, Personalreferentin bei dem Gabelstapler-Hersteller Jungheinrich in Hamburg. In vielen Fällen kommt das Aus schon bei der ersten Hürde: "Eine makellose schriftliche Bewerbung ist unbedingte Voraussetzung." Unzureichende schriftliche Bewerbungen kämen gerade bei Ingenieuren viel häufiger vor, als es die akademische Ausbildung vermuten ließe.

Ansonsten muss es kein Prädikatsexamen sein, aber "aus Studiendauer und Examensnote sollte sich ein positiver Eindruck ergeben". Die Personalexpertin erwartet soziale und kommunikative Fähigkeiten, Teamfähigkeit, ein Interesse an betriebswirtschaftlichen Zusammenhängen und zumindest ausbaufähige Englischkenntnisse. Gute Programmierkenntnisse sind für sie bei Elektroingenieuren selbstverständlich.

Wer in der Entwicklungsabteilung seine berufliche Laufbahn beginnt, ist bei Jungheinrich zum Beispiel für komplexe Antriebssteuerungen für Gabelstapler zuständig. Nach der Einarbeitung in die Entwicklungs- und Programmierumgebung - es kommen verschiedene Planungs-, Simulations- und CAD-Systeme zum Einsatz, Programmiersprachen sind C und Assembler - wird der Jungingenieur in ein Projektteam eingebunden. Diese maximal fünfköpfigen Teams wickeln einen kompletten Projektzyklus ab - von der Planung über Programmierung und Simulation bis zur Erprobung und Implementierung. Wesentliche Aufgabe: Weiterentwicklung bestehender Programme. Erst nach dem Testen der Programme wird die neue Steuerungssoftware mit der Hardware konfiguriert und auf dem Motorteststand erprobt und bis zur Serienreife gebracht.

Noch höhere Ansprüche im Hinblick auf Lernbereitschaft, Flexibilität und Service-Orientierung stellt Ralf Albers, Leiter der Personalentwicklung bei der Info AG. Der IT-Dienstleister bietet zweimal jährlich ein Trainee-Programm für Hochschulabsolventen an. Hier können Elektroingenieure, Betriebswirtschaftler, (Wirtschafts-)Informatiker, Wirtschaftsingenieure, Mathematiker und Physiker in einer 15monatigen Ausbildung die Grundlagen ihrer künftigen IT-Karriere legen. Auf dem Programm stehen neben BWL, Kalkulation, technischen und methodischen Fähigkeiten auch konkrete Projekte. Danach können die Young Professionals als Produkt- oder Projektmanager, als Anwendungsentwickler, als Berater in den Bereichen Netzwerk, Sicherheit, Systemlösungen oder im SAP-Umfeld arbeiten.

Elektroingenieure entscheiden sich laut Albers meist für Positionen, die stärker technisch als betriebswirtschaftlich orientiert sind. Für die Aufgaben in der Netzplanung und IT-Sicherheitstechnik, in der Systemberatung und im Support sind sie mit ihrer Ausbildung bestens gerüstet. Auch würden sie besonders die Vorteile eines innovativen Unternehmens schätzen: Durch den Einsatz der neuesten technischen Lösungen blieben die Ingenieure immer auf der Höhe der Zeit - und die Aktualität des Wissens hat entscheidenden Einfluss auf Marktwert und Karrierechancen.

Generell sieht Margarete Horstmann, Beraterin im Hochschulteam beim Arbeitsamt Hamburg, im Moment gute Einstiegschancen für Ingenieure, betont aber auch die gestiegenen Erwartungen der Arbeitgeber: "Ein junger Ingenieur muss heute mehr als sein Fachwissen mitbringen." Es bestehe kaum mehr die Gefahr, dass sich der Hochschulabsolvent direkt unter die etwa 60 000 arbeitslosen Ingenieure einreiht, wie zuletzt in den Jahren 1992/93, als Unternehmen Ingenieure entließen. Die Jungingenieure brächten meist eine sehr gute Ausbildung und gefragte Qualifikationen, speziell im DV-Bereich mit, vor allem aber breitere Interessen und eine mehr dienstleistungsorientierte Haltung als die älteren Kollegen. "Wer als Ingenieur ohne Job ist, ist meist langzeitarbeitslos. Es ist häufig nicht die fachliche Qualifikation, die fehlt, sondern eher die mangelnde Fähigkeit, sich auf neue Herausforderungen einzustellen: Wer sein halbes Arbeitsleben in der Entwicklungsabteilung verbracht hat, früher abgeschirmt von Kostendruck und kommunikativen Anforderungen, dem fällt eine komplette Neuorientierung schwer", fasst die Arbeitsmarktexpertin ihre Erfahrungen zusammen.

Der Berufseinstieg ist trotzdem nicht immer unproblematisch. Nach Horstmanns Beobachtung ist auch bei großen und renommierten Unternehmen eine Tendenz erkennbar, vor der Festeinstellung Jungingenieure zuerst nur mit Praktikums- und Zeitverträgen zu beschäftigen. Diese münden dann aber oft in ein festes Anstellungsverhältnis. Wer sehr gute DV- Kenntnisse mitbringt und bereit ist, sich auf eine Tätigkeit ausschließlich in diesem Bereich einzulassen, dem bieten sich zusätzliche Möglichkeiten: "Häufig stehen die Anzeigen zwar in der Rubrik ´technische Berufe´, gefragt sind dort aber immer mehr reine IT-Experten und Software-Entwickler, bei denen das elektrotechnische Fachwissen kaum mehr eine Rolle spielt. Ein Berufsbild, das mehr dem Anwendungs-Programmierer als dem klassischen technischen Ingenieur entspricht", so Horstmann.

Aber nicht jeder Absolvent verfügt über exzellentes DV-Know-how und Prädikatsexamen, Auslandspraktika und Fremdsprachen oder betriebswirtschaftliche Vorbildung. Wer noch nicht völlig sicher ist, für welchen Bereich er sich entscheiden soll, für den kann Zeitarbeit eine reizvolle Alternative sein. "Unserem Gewerbe haftet das Image an, dass nur gewerbliche Helfer und kaufmännische Kräfte bei unseren Kunden zum Einsatz kommen - das ist völlig falsch. Gerade hochqualifizierte Ingenieure haben bei uns beste Chancen", sagt Ilka Lüllmann, Personaldisponentin im Ingenieurbereich Hamburg bei Randstad-Zeitarbeit. Zwar räumt sie ein, dass der Verdienst sich eher am unteren Rand der Einstiegsgehälter bewegt, betont aber die Vorteile: "Meist suchen wir für unsere Kunden nach Mitarbeitern mit speziellen Qualifikationen, aber mit unseren guten Kontakten bringen wir fast jeden Ingenieur unter, auch solche, die bei einer direkten Bewerbung wohl kaum erfolgreich wären."

Sie sieht Zeitarbeit als Chance, die Berufspraxis zu erlangen, die so häufig Einstellungsvoraussetzung für gut dotierte Jobs ist. Außerdem verließen sich auch große und renommierte Unternehmen häufig auf Zeitarbeitsfirmen - und zwar nicht nur für Projekte oder Großaufträge mit zeitlich befristeten Personalspitzen, sondern auch, um sich ohne Aufwand für Bewerbungsverfahren und arbeitsrechtliche Verpflichtung unkompliziert mit Nachwuchs zu versorgen. "Etwa 80 Prozent unserer Mitarbeiter werden von den Auftraggebern übernommen", stellt Lüllmann fest und tritt damit auch der Einschätzung entgegen, dass sich das Personal bei Zeitarbeitsfirmen aus der zweiten Reihe rekrutiert. Auch die Tätigkeiten, für die ihre Kunden Zeitarbeitskräfte suchen, seien keineswegs anspruchslos, sondern spiegelten das Spektrum der Ingenieurwissenschaft wider - mit einem Schwerpunkt im Bereich DV.