Softwarehaeuser halten an bewaehrter Flexibilitaet fest

22.12.1995

Heinz-Paul Bonn, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Informations- und Kommunikationssysteme e.V. und Vorstandsvorsitzender der G.U.S. AG & Co.

Seit rund zwei Jahrzehnten weigert sich die deutsche Software- Industrie beharrlich zu sterben. Ihre zahlreichen Angehoerigen ueberhoeren die sich mit haesslicher Regelmaessigkeit wiederholenden Abgesaenge der Marktbeobachter ebenso wie die Endzeitprognosen der Wirtschaftsmagazine. Das Sittenbild der deutschen Softwareszene zeigt zaehen Ueberlebenswillen.

Als der PC die Herzen der DV-Chefs eroberte, prognostizierten die Analysten ein jaehes Ende der Manpower-Shops und Mainframe- Softwerker. Der PC-Markt sei zu wenig komplex, als dass die auf Schwerverdauliches spezialisierten Software-Experten daraus Gewinne schoepfen koennten.

Als Mitte der achtziger Jahre die Superprojekte der computerintegrierten Fertigung die DV-Budgets leerten, da sagten Marktauguren den Abgang der kleinen und mittleren Software- Anbieter voraus. Integrationsprojekte seien zu komplex, als dass sie mit den begrenzten Ressourcen eines Softwarehauses gemeistert werden koennten.

Als Anfang der neunziger Jahre das Produktgeschaeft boomte, da warnten Unternehmensberater die auf Implementierungsprojekte ausgerichtete Softwareszene vor einem schnellen Verlust ihrer angestammten Maerkte. Der Kaeufermarkt sei zu preisbewusst, als dass er sich die teure Dienstleistung der Individualprogrammierung leisten koennte.

Wenn jetzt Mitte der neunziger Jahre das Servicegeschaeft wieder als Trend gilt, dann sehen sich viele Softwarehaeuser in ihrem Beharrungsvermoegen bestaetigt. Denn das Dienstleistungsgeschaeft ist zu detailverliebt und zu branchenorientiert, als dass Grossanbieter in diesem Segment eine marktbeherrschende Rolle einnehmen koennten.

In einem staendig sich wandelnden Markt die eigenen Staerken zu pflegen, das ist die Kunst der Selbstbeschraenkung, mit der viele Softwarehaeuser in Deutschland ihre Marktposition erhalten haben. Mit dem Begriff Kernkompetenz wurde dieser unternehmerischen Leistung lediglich ein neues Schlagwort uebergestuelpt. Die Faehigkeit, Neues zu adaptieren und der Branche anzubieten beziehungsweise zu vermitteln, ist die Strategie dieser besonders zielgruppenorientierten Softwarehaeuser.

Einer Umfrage des Bundesverbandes Informations- und Kommunikationstechnik (BVB) zufolge sehen die Hardware- und Software-Anbieter ihre Zukunft jetzt im Einsatz multimedialer Technologien. Ehe dieses Potential genutzt werden kann, ist jedoch erheblicher Beratungsaufwand notwendig. Parallel dazu entwickeln sich die klassischen Anwendungen durch die Integration von Multimedia-Funktionen weiter. Zukunftstraechtig sind Internet- Zugaenge fuer Warenwirtschaftssysteme, Imageverarbeitung fuer das Rechnungswesen und Aussendienstanbindung fuer die Auftragsverarbeitung. Aufgrund dieser Marktentwicklungen erwarten die BVB-Mitglieder im ersten Halbjahr des kommenden Jahres zweistellige Zuwachsraten. Folgende Tendenzen zeichnen sich ab:

- Im Bereich Hardware wird der Preisverfall der vergangenen Jahre gebremst. Dies erfolgt vor allem durch die Erweiterung des Angebots - zum Beispiel durch Multimedia-Komponenten bei PCs.

- Im Bereich Software erwarten vier Fuenftel der Befragten 1996 bessere Umsaetze als im laufenden Jahr.

Hier setzen die Software-Unternehmen 1996 auf den steigenden Bedarf an Multimedia-Funktionen. Die Umsetzung von Client-Server- Konzepten, mit denen die klassischen, zentral organisierten Anwendungen zu dezentralen Strukturen umgebaut werden, ist fuer zwei Drittel der Befragten das Hauptbetaetigungsfeld fuer das kommende Jahr.

Getragen wird der Markt fuer Software aber vor allem durch den gestiegenen Bedarf an Services im Umfeld der Informationstechnik. Hier konnte nach eigenen Angaben rund die Haelfte der Anbieter im zurueckliegenden Jahr die Ertrae-ge steigern. Nicht zuletzt wird der Bereich Telekommunikation (1995 rund 13 Prozent Wachstum) der entscheidende Wachstumsmotor, der auch mittelfristig an Kraft alles in allem noch zulegen wird.

Doch Vorsicht: Die Vielzahl der technischen Optionen, die Softwarehaeusern heute offenstehen, zwingt erneut zur Selbstbeschraenkung, zur Konzentration auf Kernkompetenzen. Die Notwendigkeit, bei der Entwicklung von Anwendungen Partnerschaften einzugehen, ist groesser denn je.

Hier greift das Konzept des Service-Warehouse, mit dem Softwarehaeuser ihre Kooperationsfaehigkeit erheblich ausbauen koennen. Wer heute eine prononcierte Ausrichtung der mittelstaendisch orientierten Softwareszene in Deutschland auf Zukunftsstrategien vermisst, der uebersieht die lange Tradition der Software-Unternehmer, sich kontinuierlich den Marktgegebenheiten anzupassen