Französisches Know-how nach Deutschland:

Softwarebrücken über den Rhein

04.07.1980

PARIS - Deutsche Elektronik- und EDV-Firmen, die sich Marktchancen in

Frankreich, den Benelux-Ländern und England, aber auch in Spanien, Afrika und Lateinamerika ausrechnen, tun sich in der Praxis oft schwer mit der Suche nach geeigneten Erstkontakten. Dabei liegt die Antwort für sie meist vor der Tür: Ein Anruf bei einer Tochterfirma oder Partnergesellschaft der französischen Software-Multis (siehe Adressliste).

Diese Konzerne mit Umsätzen von umgerechnet zwischen 300 und 30 Millionen Mark bilden heute im internationalen Geschäft die einzigen ernstzunehmenden Rivalen der amerikanischen Branchen-Kolosse Jean-Marie Piquet, Direktor bei Tecsi Software, einer Filiale des größten französischen Multis GSI, hält für den Vorsprung seiner Landsleute auch eine einleuchtende Erklärung bereit: Die tatkräftige Unterstützung durch den amtlichen Pariser "Plan Informatique". Während es im Hardware-Bereich nach dem Scheitern von Unidata zur Fusion von CII und Bull kam, setzte die EDV-Politik im Software-Sektor gleichzeitig massive Ausbildungsprioritäten: Von 1975 bis 1979 wuchs die Zahl der Informatik-Fachleute in Frankreich von 16 000 auf 25 000 Beschäftigte allein bei den EDV-Dienstleistungsunternehmen!

Nach Untersuchungen der Abteilung Elektronik und Informatik (DIEL1) beim Pariser Industrieministerium vereinigen 13 dieser Firmen mit jeweils mindestens 100 Millionen Franc Umsatz rund 65 Prozent Marktanteil auf sich. Der Leiter der Abteilung, Michel Dessaigne, schätzt ferner, daß die gesamte EDV-Dienstleistungsbranche im Vorjahr um etwa 25 Prozent auf derzeit knapp 6,8 Milliarden Francs (3 Milliarden Mark) Gesamtumsatz wuchs. Für ihn sind ein Gutteil dieses Erfolges sowie entsprechend verbesserte Erträge "spektakulären Anstrengungen" der Unternehmen auf den Auslandsmärkten zu verdanken, wo sie im Schnitt fast 20 Prozent ihrer Umsätze tätigen. Dabei nahm von 1975 bis 1978 jährlich abwechselnd der Verkauf von Software durch außerhalb Frankreichs gegründete, beziehungsweise erworbene Filialen, Repräsentanzen und Beteiligungen einerseits sowie durch Direktexporte von Programmen und Systemen andererseits stärker zu.

Für deutsche Klienten sind freilich die qualitativen Besonderheiten der größten Unternehmen der Branche noch interessanter als Umsatz und Marktanteile. Zu diesen Merkmalen gehört vor allem ihre Anlehnung an kapitalstarke Industrie-Konzerne, Banken oder staatliche Organisationen. So ist etwa die schon erwähnte GSI (680 Millionen Francs Umsatz, 3200 Beschäftigte) eine gemeinsame Tochter des Elektrokonzerns CGE (52 Prozent Anteile) und der Großbanken "Crédit Commercial" und "Société Générale" (je 24 Prozent). Auch SG2 und Sligos-CPP sowie Sema Informatique von der Metra-Gruppe sind ursprünglich Bankensprößlinge (Société Générale, Crédit Lyonnais, Paribas-Gruppe), während Hausherr bei der CISI das französische Atomenergiekommissariat (CEA) ist. Die CISI selbst wiederum fungiert als Großaktionär bei der Gruppe CAP Gemini Sogeti.

Trumpfkarte: Enge Beziehungen zur öffentlichen Hand

Verständlicherweise rühmt denn etwa auch Jean-André Girolami Cortoni, Marketing-Direktor bei Sema Informatique, die "engen Beziehungen zur öffentlichen Hand" als spezielle Trumpfkarte seiner Firma, während sein Kollege Ernest Copperman, Leiter der Anwendungsabteilung bei CISI, stolz darauf verweist, das Unternehmen ,verfüge im Bereich EDV-Software über "die Hälfte des französischen Marktes für wissenschaftliche Forschungsprojekte " .

Solche Hinweise lassen aufhorchen, wenngleich Christer Ugander, Präsident der Europa-Division bei CAP Gemini Sogeti, übersteigerte Erwartungen vorsorglich abwehrt: "Patentlösungen darf der Kunde natürlich auch von uns nicht erwarten, aber generell kann sich unser Leistungsangebot bei deutschen und europäischen Klienten zweifellos sehen lassen." Schwierigkeiten zwischen den Franzosen und ihren Klienten gibt es natürlich vor allem immer noch durch das Handikap der fremden Sprache. "Allerdings ist dieses Problem auf der Ebene der Produkt-Dokumentation heute weitgehend gelöst", meint Jean-Claude Gaucher, Stellvertretender Geschäftsführer bei Sligos-CPP, "noch nicht aber im heiklen Bereich der Verkäuferschulung" .

Umgekehrt löse die prinzipiell wünschenswerte Anheuerung von Personal im Gastland das Verkäuferproblem für die Soft-Multis auch keineswegs immer automatisch, behauptet Piquet von Tecsi. "Denn gerade dem deutschen EDV-Nachwuchs fehlt heute oft die nötige Breite des fachlichen und geistigen Horizonts. Außerdem herrscht bei ihm eine typische ,Sicherheitsmentalität', die nicht zum Wachstum und zur Mobilität unserer Branche paßt."

Jenseits der Grenzen des eigenen Landes spricht für Dynamik und Erfahrung der französischen Soft-Multis, daß die EG-Kommission sie häufig nur der Federführung bei einschlägigen Projekten betraute. Mag dahinter gelegentlich sanfter Druck aus Pariser Kabinetten gewirkt haben, so bleibt es für deutsche Partner und Klienten doch nützlich zu wissen, in wessen Windschatten man am leichtesten an der öffentlichen Auftragsvergabe partizipiert. So leitete CAP Gemini Sogeti 1977 bis 1979 die Umstellung des Statistischen Amtes der EG in Luxemburg von IBM- auf ICL-Gerät, wobei neue Software-Anwendungen in vier Bereichen durchgeführt wurden: Aufbau einer Datenbank in Real-Time; Verarbeitung von wirtschaftsstatistischen Zeitreihen; Vernetzung sämtlicher Außenhandelstransaktionen der EG; automatische Gehaltsabrechnung für die Europa-Beamten unter Berücksichtigung der Kursentwicklung ihrer "Stammwährungen"

Die Steria-Gruppe beginnt in diesem Jahr gemeinsam mit EDV-Lieferanten aus fünf weiteren EG-Ländern das Projekt "Caddia", ein System zur automatischen Verwaltung und Kontrolle der Finanzen des Gemeinsamen Marktes im Agrar- und allgemeinen Außenhandel (Zölle, Abschöpfungen, Exportzuschüsse, Grenzausgleich).

Know-how-Transfer vollzieht sich auf drei Ebenen

Aufschlußreich ist, wie die französischen Soft-Multis den langfristigen Strukturwandel am Markt infolge des immer breiteren Know-how-Transfers beurteilen. Dieser Transfer vollzieht sich heute auf drei Ebenen: Erstens wandert kommerzielles Wissen zwischen den Unternehmen einer in mehreren Ländern vertretenen Gruppe hin und her. Außerdem vermarkten die großen Software-Häuser zunehmend Produkte von Drittfirmen (siehe COMPUTERWOCHE Nr. 25/ 80: "Eurosoftware auf dem Vormarsch"). Zweitens wird Management-Wissen zwischen den beratenden Software-Firmen und ihren Kunden in Industrie, Finanz und Handel ausgetauscht. Drittens überträgt sich heute technisches Wissen nicht mehr nur wie früher zwischen Hardware-Herstellern und Software-Lieferanten (ursprünglich ja oft ausgegliederte EDV-Abteilungen von Firmen). Vielmehr breitet sich Informatik-Wissen allmählich auch bei Nichtfachleuten der Wirtschaft aus, die damit stärker dialog- und verhandlungsfähig werden.

Bestätigt Jean Carteron, Präsident der Steria-Gruppe: "Wir können deshalb heute zum Beispiel Systemanwendungen in einer Autofabrik direkt mit den Prüffeld-lngenieuren und nicht mehr nur mit den Mitgliedern der EDV-Abteilung diskutieren."

Allerdings reicht der Transfer nach Auskunft französischer Softwarehäuser heute oft immer noch nicht, eine Standardisierung von Programmen und Systemen durchzusetzen. Neben praktischen Handikaps (Einfluß der Sprache und der Rechtsvorschriften einzelner Länder auf Programmredaktion und Systemarchitektur) wirken zwei grundsätzliche Überlegungen einer "Standardisierung um jeden Preis" entgegen - so sehr diese prinzipiell auch erwünscht sein mag, da die Software-Kosten nicht nur den Anwendern, sondern allmählich auch den Anbietern über den Kopf zu wachsen drohen.

Als einen Grund nennt Ugander von CAP Gemini Sogeti die vorherrschende Unternehmensphilosophie: "Abgesehen von der technischen Kompatibilität, verträgt sich eine möglichst hohe Standardisierung nicht immer mit der heute in der Wirtschaft üblichen Dezentralisierung von Entscheiden und der Organisation der Firmen nach ,profit centers'. "Den anderen Grund formuliert Jean-Erick Forge, ehemaliger Leiter des Pariser Studienzentrums der Software-Anwender (CXP): "EDV-Dienstleistungen sind teils praktisch, teils juristisch nicht im gleichen Maße ,patentierbar' wie anderes geistiges Eigentum. Deshalb lohnt es sich für die Anbieter heute oft noch nicht, zum Beispiel ,europäisch' standardisierte Spitzenprodukte zu entwickeln und zu vermarkten, obwohl es eine Handvoll solcher Produkte schon gibt."

Je größer und komplexer die Märkte freilich werden, desto mehr wächst der Bedarf an patentierten Standardprodukten, und zwar nicht nur aus Kostengründen. Warnt Gaucher von Sligos-CPP: "Die Gefahr von Plagiaten und Raubentwicklungen droht uns sonst morgen unausweichlich". Von ihrem heutigen Hochsitz aus müßten die Franzosen dieses Risiko in der Tat gut einschätzen können.

*Dr. Lorenz Winter ist ein in Paris ansässiger deutscher freier Wirtschaftsjurnalist.