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Software-Unternehmer lecken ihre Wunden

18.02.2002
Die deutsche Softwarebranche ist nach dem Höhenflug der Jahre 1999 und 2000 unsanft gelandet. Das 15. Software-Unternehmergespräch in Berlin war von Ernüchterung, aber keineswegs von Depression geprägt.

BERLIN (COMPUTERWOCHE) - Die deutsche Softwarebranche ist nach dem Höhenflug der Jahre 1999 und 2000 unsanft gelandet. Das 15. Software-Unternehmergespräch in Berlin war von Ernüchterung, aber keineswegs von Depression geprägt.

"Eine normale Entwicklung hat eine Branche getroffen, der bislang eine außerordentliche Entwicklung vergönnt war" - so kommentierte Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder anlässlich einer Podiumsdiskussion den Einbruch nach der Dotcom-Euphorie. Neu sei nicht nur, dass die Informations- und Kommunikationsbranche (IuK-Branche) ihre Einnahmen nur um vier Prozent habe steigern können, sondern auch, dass sich dieser Markt nun offenbar zyklisch entwickle.

Eine Erklärung für die "Party" der vorhergehenden Jahre hatte Intershop-Mitbegründer Karsten Schneider parat. Für ihn war die Sonderkonjunktur auf die Liberalisierung der weltweiten TK-Märkte und das Jahr-2000-Problem zurückzuführen. Letzteres habe zu einer "Öffnung der IT-Budgets geführt", die aber letztendlich nicht "durchhaltbar" gewesen sei.

Zu dieser Erkenntnis kam auch Rudolf Gallist, früher Mitglied der Microsoft-Geschäftsführung, heute Sprecher des Softwareverbandes VSI: "Die Party endete mit einem Highlight, dem Jahr-2000-Wechsel. Es war abzusehen, dass Investitionen vorgezogen würden." Dass es danach so steil bergab gehen würde, damit habe er nicht gerechnet. Vor allem Mittelständler und Startups hatten laut Gallist zu leiden, weil sie "vor lauter Begeisterung vergessen haben, Geld zu verdienen". Nach Meinung des VSI-Mannes sind die Ereignisse der Jahre 1999 und 2000 bereits Geschichte. So etwas werde die Branche nie wieder erleben. "Das Geschäft wird solider."

In solchen und ähnlichen Statements bemühten sich die Diskutanten, den historischen Absturz einer Branche zu ergründen, die bisher an ein starkes und lineares Wachstum gewöhnt war. Entsprechend fiel das Stimmungsbild aus, das eine Blitzumfrage des Veranstalters Diebold Deutschland GmbH unter den zirka 80 Teilnehmern zutage förderte. Hatten im Jahr 2000 noch 58 Prozentder Software-Unternehmer ein Wachstum von über zehn Prozent verbucht, so waren es im abgelaufenen Jahr nur noch 39 Prozent.

16 Prozent der Befragten beklagten im vergangenen Jahr sogar einen Umsatzrückgang, weitere 24 Prozent legten um weniger als fünf Prozent zu. Im Erfolgsjahr 2000 hatten elf Prozent der Teilnehmer ein Negativwachstum und noch einmal elf Prozent einen Anstieg der Einnahmen von weniger als fünf Prozent verzeichnet.

Dass die Software-Unternehmer derzeit kleinere Brötchen backen, zeigt auch ein Blick auf die Ertragslage: Zwar schrieben mit 18 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr genauso viele Unternehmen rote Zahlen wie im Boomjahr 2000, doch weitere 45 Prozent mussten mit einer Umsatzrendite zwischen null und fünf Prozent auskommen. Vor zwei Jahren hatten sich mit solchen Zahlen nur 24 Prozent der Teilnehmer bescheiden müssen. Eine Umsatzrendite von mehr als zehn Prozent erreichten nur noch zehn Prozent - im Gegensatz zu 38 Prozent im Jahr zuvor.

Entsprechend vorsichtig blickt die Softwarebranche in die Zukunft. Von einem Negativwachstum geht zwar kaum jemand aus, eine Expansion um weniger als fünf Prozent erwarten jedoch gleich 40 Prozent der Unternehmer. Um Quoten zwischen fünf und zehn Prozent hoffen 29 Prozent der Teilnehmer zu wachsen, und um mehr als zehn Prozent wollen immerhin noch 26 Prozent der Anwesenden zulegen.

Trotz allem seien die IT-Anbieter noch vergleichsweise gut dran, betonte VSI-Sprecher Gallist. "Die IuK-Branche wächst um vier Prozent, die Gesamtwirtschaft um 0,6 Prozent." Auch Sun-Geschäftsführer Helmut Wilke vertrat die Auffassung, der Branche gehe es anders als manchen traditionellen Industrien "fundamental gut". Dass es so wie in den Jahren 1999 und 2000 nicht weitergehen könne, habe man immer gewusst. Die Party sei vorbei, "jetzt ist Montagmorgen, wir müssen wieder arbeiten".

Doch so einfach wollte es Robert Stauß, Geschäftsführer der Berliner Gedas GmbH, den Optimisten nicht machen. "Wir wissen, dass es in der IT-Industrie inzwischen eine Reihe von Unternehmen mit großen Problemen gibt. Einige von ihnen haben mit Null- oder Minuswachstum zu kämpfen. Da hängt eine Menge Personal dran." Bitkom-Sprecher Rohleder assistierte Stauß: Im vergangenen Jahr hätten immerhin sieben Prozent der Bitkom-Mitglieder Insolvenzantrag stellen müssen.

Verantwortlich sind laut Rohleder vor allem Analysten und Marktforscher, die in der Boomphase eine Reihe gesunder mittelständischer GmbHs dazu verleitet hätten, sich mit Blick auf einen Börsengang zu einer Aktiengesellschaft zu wandeln, viel Personal einzustellen und überregional oder international zu expandieren. "Plötzlich waren Haus und Hof weg", ereiferte sich der Verbandssprecher.

Rohleder kritisierte die Rahmenbedingungen in Deutschland, die es den betroffenen Unternehmen erschwert hätten, genauso rasch Personal abzubauen, wie es vorher eingestellt wurde. "Mit der hohen Personallast war es unmöglich, in angemessener Geschwindigkeit auf die veränder-ten Marktbedingungen zu reagieren", so der Verbandschef. "Bei einer dynamischen Marktentwicklung im nächsten Jahr werden sich die Unternehmen anders verhalten", betonte Rohleder, der nun deutliche Zurückhaltung bei der Schaffung neuer Stellen erwartet.

Befragt nach den Wachstumssegmenten im Softwaremarkt zeigten sich die Diskutanten generell optimistisch. Genannt wurden Customer-Relationship-Management, Supply-Chain-Management, Mobile-Business oder auch Nischenthemen wie digitale Bildbearbeitung. Einig war sich das Podium jedoch vor allem über die Bedeutung von Web-Services. "Das ist ganz sicher ein Wachstumsfeld", prophezeite Intershop-Manager Schneider, der vor Jahren Ähnliches zum Thema E-Commerce-Software gesagt haben dürfte. Auch Sun-Geschäftsführer Wilke sieht Web-Services als wesentlichen Trend, der sich mit der Verbreitung des Mobile-Computing deutlich verstärken werde.

Beide hätten sich vielleicht vorsichtiger ausgedrückt, wenn sie auf derselben Veranstaltung einer turbulenten Diskussion zu diesem Thema beigewohnt hätten. Sie zeigte zwar, dass Web-Services sich als Integrationsmodell in heterogenen Anwendungslandschaften behaupten und die Middleware-Problematik der Client-Server-Ära beseitigen dürften. Sichtbar wurde aber auch, dass sich niemand so recht vorstellen kann, wie Web-Services als Distributionsmodell funktionieren, und was sich Sun und Microsoft vom kostspieligen Aufbau der Infrastruktur wirklich versprechen. Den Vertretern der Softwarebranche war letztendlich nicht klar, welche konkreten Produkte und Dienste auf Basis von Web-Services entstehen und wo diese zu finden sein werden.

Vergeblich fragten die Zuhörer aus der Software-Industrie das Podium, welche Folgen das Thema Web-Services für ihr Produktportfolio und ihr künftiges Geschäft haben werde. Als keine befriedigenden Antworten kamen, fühlte sich eine Dame aus dem Publikum stark an den Hype um das Thema UMTS erinnert. Dort würden ebenfalls Unsummen für den Aufbau einer Infrastruktur ausgegeben, ohne dass sich abzeichne, welche konkreten Dienste am Ende daraus entstehen werden. (hv)