Software-Engineering in Mikro-Zeiten: Pilotinstallation macht Multiplikatoreffekt

20.08.1982

Noch vor einigen Jahren verstand man unter Software-Engineering überwiegend eine akademische Softwareentwicklungsmethodik oder als Faustregel: Jacksons Strukturierte Programmierung. Inzwischen erfordert der Mikromarkt den Aufkauf fertiger Hardware und Software und das forcierte Einführen schlüsselfertiger Gesamtsysteme inklusive Anwendertraining und Wartungsvertrag.

Die Produktionstechniken in der Softwarebranche haben sich in den letzten zehn Jahren stark verändert, wobei für die Massenproduktion andere Gesetze gelten als für Individualsoftware. Fatal für die sonst so exzellenten Einzelkämpfer könnte der Einsatz von Softwaretools werden, wenn nicht rechtzeitig mittels geeigneter Kooperationsformen über diese Produktionsmittel mitverfügt werden kann. Ob ein kleiner Programmierladen die 100 000 Märker für Camic von Softlab in Zukunft berappen kann, ist fraglich. Ohne Softwaretools geht es auch in kleinen Projekten nicht mehr. Billige Demo-Versionen für die Fachabteilung, ausgetestete Standardmoduln, Programmund Listgeneratoren, Testhilfsmittel und der intensive Einsatz des Editors von der Ist-Erhebung über das Soll-Konzept bis zum Abschlußtest sind nur einige Aspekte. Die Nachwuchsprogrammierer sollen schon gar nicht mehr anders arbeiten können, als dialogorientiert mit Rechnerunterstützung.

Mikro-Engineering

Neue Leute in diese so gepriesene Bausteintechnik einzuarbeiten, ist enorm teuer, zumal es zu wenige Standards gibt und jedes Team seine eigenen Normen entwickelt. Individualbausteine sind vielleicht die GO TOs von morgen. Fazit: Bausteine müssen in weiteren Projekten massenhaft fakturiert werden können sonst werden sie zum Grabstein.

Intern in der Softwarezunft wird zur Zeit die Methodik für Mikrosoftware heftig diskutiert, zumindest von einigen Engagierten. Das liegt einmal an den Sprachen selber, wie zum Beispiel Basic, die für gewisse menschliche Schwächen optimal ausgelegt sind, zum anderen an dem Preis-/Leistungsverhältnis in diesem Markt. Wenn eine Dialog-Fibu für 5800 Mark fünfzigmal eingesetzt worden ist, dann braucht der Anwender sich über die Internas nicht mehr den Kopf zerbrechen. Die Diskussion ist allerdings noch nicht ausgestanden.

Mit der Einführung der IBM /23 ist der Mikrocomputer salonfähig geworden und gehört als Vorrechner im Netzwerk mit zur Groß-EDV. Bei den Mikros gelten allerdings andere Gesetze. Die stagnierenden DV-Budgets und leeren Staatskassen forcieren zur Zeit mehr den Einsatz dieser neuen Technologie, als brillanteste Seminarreferenten dies je vermocht hätten. Der Zeitpunkt für DV-Investitionen war noch nie so günstig, wenn man vom Preis-/Leistungsverhältnis der Kleinen ausgeht. Und es soll auch schon Berater im Mikrobereich geben, die ihr Lehrgeld schon abgezahlt haben. Eine aktuelle Angebotssituation in einem Fertigungsbetrieb soll dies verdeutlichen:

Während im Fallbeispiel Anbieter C seine überteuerte Hardware über einen Dumpingpreis mit der Software zu verkaufen versucht, hat Anbieter D aus einem Softwarekatalog real kalkuliert und diverse Rabatte als Reserven verfügbar.

Enge DV-Budgets

Ein Großteil der DV-Budgets stagniert 1982/83 oder wird sogar reduziert. Wer trotzdem Software anbietet und schlüsselfertige Systeme anbieten will, muß sich etwas einfallen lassen. Die Einsparungen müssen im Actual Budget erfolgen, das heißt kurzfristig in den Fachabteilungen zu Kostenreduktionen führen.

Dauerten früher unsere stolzen DV-Projekte noch zwei bis drei Jahre, so kenne ich heutige Terminpläne, die sich in Monaten, Wochen oder Tagen bewegen. Praxisbeispiele:

Die Zahlenbeispiele sind aktuell; selbst wenn nicht jeder Anwender so hart verhandelt, geben sie den Trend wieder. Daß derartige Projekte erst machbar sind, wenn kurzfristig innerhalb der Branche oder Anwendung fünf- bis zehnmal installiert wird, versteht sich von selber. Software-Engineering bedeutet für uns hierbei, nach einer Pilot- oder Referenzinstallation einen Multiplikator-Effekt zu erzielen, selbst wenn man andere, lohnende Aufträge dafür absagen muß. Es wird von Anfang an in größeren Stückzahlen akquiriert, produziert und installiert, um die Kosten zu senken. Verkauft wird in Branchenseminaren, auf Fachkongressen und über die abteilungsspezifische Fachzeitung. Ohne überregionales, engmaschiges Vertriebsnetz geht da nichts mehr. Der Zusammenschluß von zirka 15 Plan-mit-Partnern zur Vermarktung von Mikrosoftware ist da ein Schritt in den richtige Richtung.

"Pilotprojekte"

Früher haben wir die Software immer selber gemacht, sozusagen aus Standesdünkel. Heute werden teilweise Lizenzen oder Demo-Versionen aufgekauft und gemeinsam optimiert und integriert. Die Anpassung erfolgt zumeist auf die kostenoptimale Hardware, nicht aber an den verwobenen Ablauf in der Kundenorganisation. Im Grunde genommen wird Standard installiert.

Nach einem Soll-Ist-Vergleich muß der Softwarelieferant die fehlenden Pflichtroutinen in seinen Standard übernehmen. Danach wird der Standard zu festen Preisen und Terminen eingeführt. Die Wartung übernimmt der Softwarelieferant, Stand-by-Unterstützung in der Anlaufphase der regionale Vertriebsmann vor Ort. Sonderwünsche und Ergänzungen sind weitgehend Probleme des Wartungsvertrages.

In derartigen Risikoprojekten der Büroautomation sollen die Fehler der 70er Jahre nicht wiederholt werden darum tragen wir einen Teil des Risikos selber (wofür es Bundeszuschüsse gibt). Denn immerhin steigen diese EDV-Erstanwender mit fünf bis sechs Prozent ihres Jahresumsatzes in die Computerei ein. Das ist mehr, als Großindustrie und Banken je gewagt haben!

Es liegen bekanntlich enorme Wachstumschancen im Softwaremarkt. Es muß nur das richtige Angebot mit der richtigen, latenten Nachfrage zusammengebracht werden. Dies ist eine Beratungsaufgabe, und für Hardwarevertriebsleute ohne Branchenkenntnisse in der Regel difizil.

Low-cost-Software

Dem Erstanwender sollen hier einige Aspekte des Software-Engineering 1982 genannt werden, die er checklistenartig mit seiner Situation abgleichen kann:

stagnierende DV-Budgets; Spezialistenengpaß; Bedarf an Rationalisierungsinvestitionen; Bedarf an Branchensoftware; Festpreis, feste Termine; Softwareauswahl durch externe/gemischte Teams; schlüsselfertige Gesamtsysteme; Berater als Branchenkenner/-spezialist; Trainingsseminare und externe Fachkräfte; hoher Qualitätsstandard, Wartungsvertrag; narrensichere deutschsprechende Systeme.

Im Regelfalle sind neue Anwendungen des Kunden in seiner Branche oder der gleichen Fachabteilung schon irgendwo realisiert worden. Gewußt wo? Und da die Codierung zirka 20 bis 30 Prozent der Projektkosten beträgt, können zirka 70 bis 80 Prozent der Kosten und der Zeit durch Aufkauf und Nutzung dieses Know-hows vermieden werden. Legal, ohne Softwarepiraterie, versteht sich!

Für die Umcodierung auf andere Anlagen gibt es einen grauen Markt. Und es gibt effiziente Programmiersprachen, die nicht jeder kann. So ist Know-how zum Beispiel bedingt zu schützen. Zusätzlich gibt es 70 bis 80 andere Tricks, um es Software-Piraten schwer zu machen.

Die so optimierte Software benötigt eine Einführungsmannschaft, die den Kunden berät und seine Sprache spricht. Diese Unterstützung kann von der simplen Bedienung des Bildschirms in der Anfangsphase über die Stammdatenerfassung bis hin zur Bearbeitung von Sonderfällen reichen.

Hemdsärmelige Kumpanei

Komplexe Anwendungen, wie zum Beispiel Fertigungsplanung und -steuerung mit Mikrocomputern für Klein- und Mittelbetriebe, müssen über kompakte Trainingsseminare vom Top- über das Middle-Management bis hin zum Vor- und Sachbearbeiter verkauft werden. Der US-Markt praktiziert diese Vorgehensweise zur Zeit mit Erfolg und mit Profit.

Ob sich allerdings diese hemdsärmlige Kumpanei vor dem Bildschirm bei uns in allen Branchen durchsetzen kann, wird die Praxis zeigen.

Informationen: Software Engineering, G. Mosig GmbH, Schulstr. 28, 6901 Dossenheim, Tel.: 0 62 21/8 66 48.

*Diplom-Kaufmann Götz Mosig, Dossenheim.