IT in der Energiewirtschaft

Software-Duopol kündigt sich an

15.01.1999
Versorgungsunternehmen stehen unter massivem Druck. Im größten Branchensegment, dem Energiemarkt, hat die europäische Union den freien Wettbewerb erzwungen. Nur durch perfekt organisierte Kundenbindung und -gewinnung sowie radikale Kostensenkung können Versorger im Verdrängungswettbewerb mithalten. Welche Programme eignen sich, um diese Aufgaben zu meistern? Johannes Kelch hat die Branchensoftware durchleuchtet.

Wie können die nach Fusionen übriggebliebenen Versorgungsunternehmen neue aufwendige Marketing-Maßnahmen finanzieren, einen enormen Preiskampf überstehen und auch noch zusätzliche Dienstleistungen erbringen, ohne unaufhaltsam in die Pleite zu schlittern? Mittel der Wahl sind die radikale Einsparung auf der Kostenseite sowie Kundenbindung und -gewinnung mit neuen raffinierten Methoden. Beides erfordert perfektionierte Informationstechnologie.

Wie geht man bei der Auswahl der Software am besten vor? Der auf Telekommunikation und Versorgung spezialisierte Wirtschaftsingenieur Thomas Heupel von IDS Prof. Scheer in Saarbrücken unterscheidet drei Strategien, sich mit Software auf die rauhe Zukunft in der Marktwirtschaft vorzubereiten:

-Best of Breed - die Auswahl des besten Programms für jede einzelne Anwendung

-Auswahl eines Lösungsanbieters, der ein Standardsystem so konfiguriert, daß es allen individuellen Anforderungen gerecht wird und als mittelfristige Op- tion: die Integration von Componentware auf der Basis von Java.

Nach Heupels Darstellung ist die letztgenannte Variante eine Strategie, die der Vision der Saarbrücker Softwarestrategen am nächsten kommt, jedoch "in den kommenden zwei bis vier Jahren noch nicht möglich sein wird".

So starrt die Branche gegenwärtig auf zwei ehrgeizige Entwicklungsvorhaben, die lediglich ein gemeinsames Ziel eint: ein Kundeninformations- und Abrechnungssystem, das den hohen Anforderungen der Versorgungswirtschaft in liberalisierten Märkten gerecht wird.

Da entwickelt auf der einen Seite SAP in der Abteilung Riva/IS-U, die schon die R/2-Verbrauchsabrechnung Riva geschrieben hat, für R3 das Modul IS-U/CCS (Industry Specific Component Utilities/Customer Care & Service). Und im Wettlauf mit dem Softwaregiganten baut der Branchenspezialist IFS, eine 100prozentige RWE-Tochter, das System Cheops (bereits vorgestellt in CW 29/98 und 47/98). Hans-Jürgen Schmitt, Hauptreferent beim Verband kommunaler Unternehmen (VKU) glaubt, daß die Branchensoftware künftig von dem "Duopol" der beiden Anbieter beherrscht sein wird.

Die konkurrierenden Systeme sind noch nicht ganz fertiggestellt, einzelne Module werden sukzessive an die Pilotanwender ausgeliefert. Sowohl SAP als auch IFS haben Berater und Programmierer um sich geschart, die bei der Geschäftsprozeßmodellierung, den Entwicklungsarbeiten und der Implementierung bei Pilotanwendern kräftig mitmischen.

Neben den Grundfunktionen wie der Stammdatenverwaltung (für eine große Zahl unterschiedlicher Personen und Firmen) versprechen die beiden Systeme vor allem die folgenden Leistungen:

-Unterstützung diverser Abrechnungsformen (Turnus-, Zwischen-, End-, Schlußabrechnung),

-Zusammenführung aller Leistungen auf einer Rechnung (für Strom, Gas, Fernwärme, Wasser, Kabel-TV-Anschluß, zusätzliche Dienstleistungen und Warenverkäufe),

-die gemeinsame Abrechnung von Leistungen mehrerer Unternehmen,

-Vertragskontokorrent, ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Massenverarbeitun, sowie

-Workflow für die komplizierteren Geschäftsprozesse.

Während sich die beiden Systeme in diesen Leistungsversprechen ähneln wie eineiige Zwillinge, gibt es in der Technik und in weiteren Merkmalen gravierende Unterschiede. IS-U/CCS beruht auf der Client-Server-Architektur, Cheops auf der Internet- und Web- Technologie (Java, Corba, Objektorientierung).

Während SAP in der Darstellung von IS-U nicht müde wird, die Integration in R/3 als vorteilhaft herauszustellen, betont IFS die Vorteile des Marketing-Moduls von Cheops, das mit einem "Produktgenerator" die rasche kundengerechte Definition neuer Angebote und Leistungskombinationen möglich und berechenbar machen soll.

Welches System wird sich durchsetzen? Der Geschäftsführer von CSC Index, Jens-Marten Lohse, der dem Cheops-Lager angehört, hat in dem Produkt von IFS "eine Fülle von Vorteilen" entdeckt. Cheops basiere auf einer "vorweggenommenen Standardtechnologie, die alle großen Systeme in fünf bis sieben Jahren beinhalten werden". Lohse verweist auf die "Pionierleistung" der Cheops-Entwickler, noch kein anderes so großes System sei auf Basis der Internet- Technologie entstanden. Der Unternehmensberater verschweigt nicht, daß eine völlig neuartige Lösung mit Risiken verbunden sei, die der Anwender neben den Chancen erkennen müsse. Lohse wirft selbst die Frage nach der Durchsetzbarkeit des Systems in der Versorgungswirtschaft auf und antwortet sibyllinisch: "Die Branche neigt nicht zu Risiken."

Im Lager von IS-U sind ganz andere Töne zu hören. Manfred Pannasch von der SAP- und Siemens-Tochter SRS in Dresden, die mit der IS-U- Einführung in Ostdeutschland betraut ist, feiert bereits das neue SAP-Modul: "Das Komplettpaket - die Verknüpfung von IS-U und R/3 - begeistert die Versorgungswirtschaft." Cheops stehe neben der betriebswirtschaftlichen Software, die ungeklärte Schnittstelle zähle zu den "Interna, die noch nicht nach außen gedrungen" seien. SRS statte die RWE-Töchter in Cottbus, Chemnitz und Mark Kleeburg mit R/3 aus, allerdings ohne IS-U.

Während der Wettbewerb des Duopols noch nicht entschieden ist und die erste Erfolgsgeschichte noch auf sich warten läßt, sind Experten sich einig, daß die Marktwirtschaft die alten Branchensoftware-Anbieter zum größten Teil vom Markt fegen wird. Werner Gertz von der auf SAP spezialisierten Unternehmensberatung Schmücker & Partner sagt eine "sehr starke Bereinigung" und einen "durchgängigen Umstieg auf Client-Server-Architektur" voraus. Er betont, daß viele alte Softwareprodukte damit überfordert seien. Thomas Heupel meint, daß kleinere Marktteilnehmer "mittelfristig größere Schwierigkeiten" bewältigen und eine "harte Phase" durchstehen müßten. CSC/Index-Geschäftsführer Lohse ist sich sicher, daß alte Softwaresysteme mit neuen Anfor- derungen "einfach überfordert" seien, da "fixiert auf Tarife, Re- gionen und regionale Kundenbündelungssysteme, die sich auflösen".

Wie überall leben Totgesagte auch in der Strom-, Gas- und Wasserbranche länger. So manche Versorger wollen und werden ihre gute alte Software noch nicht ausrangieren. Und einige etablierte Branchensoftwareproduzenten geben das Terrain keineswegs kampflos frei.

Beispiel Systema, Hersteller des Abrechnungssystems IRD und des Kunden-Management-Systems KMS. Systema hat zwar die Entwicklung eines neuen Verbrauchsabrechnungssystems unter dem Arbeitstitel "Karat" gestoppt. Die Firma bringt auch keine Updates von IRD mehr heraus und beteiligt sich bereits an der Entwicklung von Cheops. Doch für die nähere Zukunft - solange Cheops und IS-U noch Zukunftsmusik sind - will der Marketing-Manager Matthias Klippel noch Kunden für IRD und KMS gewinnen.

Großer Kunde von Systema ist die Berliner Kraft und Licht AG (Bewag), die seit längerer Zeit mit IRD abrechnet und KMS erst 1997 aus einem Angebot von rund 100 Systemen ausgewählt hat. Klippel räumt ein, daß KMS und IRD auch in Kombination nicht an den Funktionsumfang von Cheops oder IS-U heranreichen, ist jedoch überzeugt, daß die beiden alten Systeme in den kommenden Jahren noch gebraucht werden.

Der Anbieter Neutrasoft, dessen Software Diane bei insgesamt rund 300 Versorgungsunternehmen im Einsatz ist, blickt noch optimistischer in die Zukunft, obwohl Geschäftsführer Peter Schulte-Rentrop befürchtet, "daß der Markt härter und die Gesamtzahl der Installationen schrumpfen wird". Nach Auskunft des Geschäftsführers hat das Unternehmen seine Klientel in mittelgroßen und kleinen Firmen, die überwiegend bis zu 100000 Tarifkunden beliefern.

Selbstbewußt behauptet Schulte-Rentrop: "Momentan sind wir noch besser als IS-U." Das SAP-Modul und Cheops seien "so große Brummer", daß die Anschaffungskosten und die Vorlaufzeiten sich für die kleinen und mittleren Unternehmen zu untragbaren Kostenfaktoren summierten.

1998 profitierte Neutrasoft davon, daß Mitbewerber mit wenigen Installationen in der Branche sowie Energieversorger mit individueller Software die Jahr-2000-Umstellung nicht mehr schafften. So kamen allein in einem Jahr etwa 25 Kunden zur Gemeinde der Diane-Fans hinzu. Für das erste Halbjahr 1999 haben nach Auskunft von Schulte-Rentrop mindestens 20 Unternehmen, die kurz vor Torschluß auf den Jahr-2000- und Euro-Zug aufspringen müssen, die Software geordert.

Mit kleineren technischen Verbesserungen leistet Neutrasoft einen Beitrag zur Kostenersparnis in den Versorgungsunternehmen. Die Integration eines geografischen Informationssystems namens Grips mit Diane hat zwar einige Schwierigkeiten verursacht, ist aber mittlerweile geschafft. Der Kostenvorteil liegt in der Spiegelung von Daten, die sowohl im kaufmännischen Bereich als auch in der Technik benötigt werden. Seit Anfang 1998 praktizieren einige dieser Anwender bei ihren Sonderkunden sogar die automatische Zählerfernablesung per Modem.

Für eine Vogel-Strauß-Politik sieht Schulte-Rentrop keinen Anlaß. Im Gegenteil: Ende 1999 soll die Neuentwicklung Diane 2000 das veraltete File-System ablösen und den Einsatz leistungsstarker Datenbanken ermöglichen.

Johannes Kelch ist freier Journalist in München.

Abb: Fokus der heutigen Systeme sind die Transaktionsprozesse. Neue Kundeninformationssysteme müssen mehr Aufgaben bewältigen. Quelle: CSC Index