Trotz neuer Verpackung dominierten die alten Probleme:

Software-Business 1985 - ein 365-Tage-Poker

20.12.1985

Wunder im Bereich des Softwaregeschehens hat auch das Jahr 1985 nicht gebracht. Dennoch - einiges, was den Software-Schmieden auf der Leber lag, ist in Bewegung geraten. Schlagworte wie Künstliche Intelligenz, vierte Generation oder auch Dezentralisierung kennzeichnen das abgelaufene Jahr und sorgten für einige Spannung. Einige Aspekte seien in diesem Rückblick noch einmal beleuchtet.

Das neue Jahr 1985 ließ sich allerdings für die bundesdeutschen DVer gut an: Im Softwarebereich bewiesen Zahlen der IDC Deutschland GmbH, einem Marktforschungsunternehmen aus Wiesbaden, daß sich die Deutschen im internationalen Vergleich nicht zu schämen brauchen und ihre Stellung voll behaupteten. So nahmen Siemens im Software- und Ausbildungsbereich, Nixdorf im Ausbildungsbereich die Datev im Heer der Drittanbieter einschließlich des Processing-Services-Marktes und die ADV/Orga sowie die SAP unter den unabhängigen Softwareanbietern jeweils eine führende Position im eigenen Markt zur europäisch/amerikanischen Konkurrenz ein.

Mit LuG-Problemen ins neue Jahr

Dennoch - wie jedes Jahr ließ Vater Staat die Anwender zum Jahreswechsel nicht unbehelligt ihren Job tun. "Paragraphenflut läßt DVer nicht ruhen", so eine Überschrift mit der die COMPUTERWOCHE ins neue Jahr startete und auf Alltagsprobleme aufmerksam machte.

Der grundsätzlich positive Touch zu jedem Jahreswechsel setzte sich aber trotz der LuG-Abrechnungsprobleme weiter fort. Zitat eines Vorspanns vom l l. Januar: "Glaubt man der zunehmenden Zahl von Software-Hochglanzprospekten, so ist das Wunderzeitalter der vierten Generation bereits angebrochen. Anwendungsgeneratoren, Fourth-Generation-Sprachen, relationale Datenbanken und höhere aktive Datenverzeichnisse versprechen enorme Vorteile: etwa eine zehnfache Produktivität und Anwendbarkeit selbst durch ungeschultes Personal." Auf den Boden der Tatsachen holt dann allerdings die Überschrift zu diesem Beitrag zurück: "Prototyping kann Projekt auch komplizieren".

Unix indes sorgte seit Jahresbeginn für Schlagzeilen - eine Retrospektive auf das vergangene Jahr '84 bewies, daß die Marktszene Zweifler am Unix-Betriebssystem verstummen ließ, gleichzeitig aber auch gute Chancen für einen Durchbruch die ses Systems in Aussicht stünden.

Thema des Jahres war, wie schon in den Vorjahren, der Clinch zwischen DV- und Anwendungsressorts. So wurde in der CW von grotesken Dimensionen im Bereich der SW-Anpassung gesprochen (CW 3/85), von Praktikern, die mehr als schöne Argumente fordern (CW 4/85), oder von einem genauen Partner-Check als Garant gegen Flops, denen insbesondere das mittelständische Management oft hilflos gegenübersteht (CW 5/85). Daß die Anwender nicht so ganz unschuldig an ihrem Dilemma sind, formulierte ein Beitrag in der Ausgabe 6/85 vom 8. Februar, der sich die Wartung im Softwareentwicklungsprozeß zum Thema genommen hat. Youngster in diesem Bereich erben demzufolge häufig schlecht dokumentierte Altprogramme, mit denen sie ihre Last haben.

Unsicherheit kennzeichnet aber auch die Situation im Bereich der dezentralen Datenverarbeitung. Die Diskussion dieses seit Jahren aktuellen Themas entzündete sich an der Frage, wie erfolgreich zu dezentralisieren sei - denn inzwischen ist die Technologie soweit gereift, daß sie als stabil und risikofrei angesehen werden kann; die nicht-mechanische Seite der Verteilungsgleichung allerdings scheint noch ungelöst.

Eng zusammen mit dieser Problematik hängt aber auch ein anderes Thema, das 1985 die Gemüter bewegte und zu lebhaften Auseinandersetzungen im jetzt abgelaufenen Jahr führte: der Schutz vor dem "Softwareklau". Doch hier scheint sich eine Bereinigung anzubahnen. So betrachtet es der europäische Dachverband "European Computing Services Association (ECSA)" als dringlichste Aufgabe, international einen Schutz der erstellten und vermarkteten Software durchzusetzen. Ein Urteil des OLG Frankfurt gibt zusätzliche Rechtssicherheit, schränkt aber gleichzeitig auch ein: Danach heißt es, daß Software nur dann durch das Urheberrecht geschützt sei, wenn sie ein "bedeutendes schöpferisches Überragen der Gestaltungstätigkeit gegenüber dem Durchschnittskönnen" aufweise.

Mensch oder Maschine - das ist hier die Frage

Szenenwechsel zum Tool-Konflikt: Aus der Erkenntnis heraus, daß die angebotenen Lösungen den Anwendern bei seiner Software-Misere nicht weiterhelfen, startete die COMPUTERWOCHE eine Umfrage zur Situation auf dem Markt für SW-Produktionsumgebungen. Neben der allgemeinen Tendenz, dafür Sorge zu tragen, daß die Entwicklungswerkzeuge aufeinander abgestimmt seien, hier noch ein interessanter Tenor zum Thema MVS und VM aus dieser Jahreszeit: Alle Befragten waren sich zwar darüber im klaren, daß Big Blue durchaus auf einer Vormachtsposition beharrt, die nicht geleugnet werden kann, aber - "der Seemann weiß: Kielwasser kann unangenehme Turbulenzen haben".

Lebhaft ging es kurze Zeit später auch auf einer Tagung des German Chapter of the ACM zu. Das Thema "Software-Entwicklung: Kreativer Prozeß oder formales Problem" forderte nicht nur Traditionalisten zu engagierter Stellungnahme, sondern auch die Verfechter einer neuen, mehr human-orientierten DV.

Einige Highlights dieser Sitzung: "Kreativität und Verantwortung bedingen sich gegenseitig", Innovation besteht aus 5 Prozent Idee und 95 Prozent Disziplin" und "Nicht die Tools sind kreativ, sondern der Mensch."

Der Evolution haben sich im abgelaufenen Jahr aber auch die Experten angenommen, die sich mit der künstlichen Intelligenz auseinandersetzen. Hier unterstützend zu wirken, ist eine der Aufgaben, denen sich auch die COMPUTERWOCHE immer stärker verschrieben fühlt.

Und noch einmal der Bezug zum Anwender, der sich durch alle Berichte des Jahres zieht: Für einigen Aufruhr sorgte ein Vordruck mit Verbesserungsvorschlägen der Common User Group Europe an die Adresse der deutschen und internationalen Number one: Die Vorschläge vom Juni 1985 betrafen die Produktreihen /38, /36, die Serie /1, DOS und Mapics.

Von den fast 100 Resolutionen, die von der Benutzergruppe Mitte des Jahres an den Hardwarehersteller übergeben wurden, wurden knapp 40 mit hoher Priorität bewertet. Die Lösung dieser Probleme wird die CW-Redaktion auch 1986 noch beschäftigen - ebenso wie Probleme, die mit dem Projektmanagement zu tun haben.

Denn auch hier ergaben sich in den vergangenen zwölf Monaten Problemfelder, die es abzuarbeiten gilt. . . So erwiesen sich in einer Untersuchung die meisten verfügbaren Systeme dieses Genres als weitgehend untauglich. Nur durch umfangreiche Anpassungen technischer und organisatorischer Art kämen, so wurde beklagt, praxisgerechte Produkte zustande.

Dennoch - angesichts der Erkenntnisse, daß das beste Produkt kein Überleben sichert, wenn es am Markt vorbeiproduziert wird, bemühten sich auch in dem abgelaufenen Jahr die Hersteller,

User-bezogen zu arbeiten. So schrieb das "Europa-Sextett" (Bull, ICL, Nixdorf, Olivetti, Philips, Siemens) in der zweiten Jahreshälfte in einem Portability Guide die Ergebnisse gemeinsamer Unix-Kooperationsbemühungen fest.

Aber auch Schelte aus den eigenen Reihen fehlte in diesem Jahr nicht: Mit der quicken Lösung, Fremdkapazität einzukaufen, um eigene Engpässe auszugleichen, ging ein Autor gen Jahresende hart ins Gericht. In seinem Beitrag wurde die Unsitte angegriffen, Fremdprogrammierer für alles und jedes einzusetzen; hart für die, die von diesem Brot leben. Die Resonanz war dementsprechend.

Für 1986 weitsichtigere Denkweise gefordert

Positive Aussichten für das nächste Jahr stehen dennoch ins Haus. Strategien, die auf einem kurzfristig angelegten unkoordinierten Aktionismus beruhen und dadurch versuchen, Anwendungsstaus aufzulösen, sollten einer weitsichtigeren Denkweise weichen, um die Vorteile der entwickelten Technologie voll ausnutzen zu können. Ein Info-Center zur User-Unterstützung wäre der erste Schritt. Vor übereiligen Hoffnungen sei trotzdem gewarnt: Die Konzeptvermarktung ist häufig ein Dekadenspiel - fast ein solches Spiel, wie es die nächsten 365 Tage bringen werden. . .