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Software AG: Schmutziger Kleinkrieg gegen Analystin

08.03.2002

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Wenn die Aktienkurse von Firmen plötzlich ins Bodenlose fallen, dann schieben Firmen oft Sell-side-Analysten die Schuld in die Schuhe - sie werteten Unternehmen viel zu selten ab, um ihre Kunden nicht zu verlieren, seien zu sehr mit der Selbsvermarktung beschäftigt und wüssten den Wert einer Firma oft gar nicht einzuordnen. Dass davon so manches wahr ist, räumt auch das "Wall Street Journal" ein. Oft aber treffe auch die Firmen ein Gutteil Schuld, weil sie pessimistischeren Analysten das Leben schwer machten.

Beispielhaft führt das Wirtschaftsblatt die Lehman-Brothers-Fachfrau Coleen Kaiser ins Feld. Diese werde seit über einem Jahr von der Darmstädter Software AG schikaniert, nachdem sie das Unternehmen zweimal downgegradet hatte. Kaiser, die das Bostoner MIT absolvierte und seit 1994 in der Branche tätig ist (2001 wurde sie im Rahmen des Institutional Investors Poll zur besten Software-Analystin in Europa gewählt), hatte nach eigenen Angaben bis zum Januar vergangenen Jahres ein gutes Verhältnis zur Software AG.

Dies änderte sich schlagartig, als sie das Unternehmen im Januar 2001 (damals noch bei Merrill) erstmals abwertete. Die Darmstädter drohten daraufhin mit einer Beschwerde an Merrill-Chef David Komansky. Am 1. Februar dieses Jahres setzte Kaiser ihre Bewertung von "buy" auf "market underperform" herab und begründete dies unter andere mit Zweifeln an der Jahresprognose sowie mangelnder Transparenz von Zahlen und Bilanzen.

Die Software AG wandte sich daraufhin schriftlich an höhere Manager in der Frankfurter Lehman-Niederlassung. In den Schreiben hieß es, die Abwertung habe den Aktienkurs so in Mitleidenschaft gezogen, dass man keine Geschäfte mehr mit Lehman (immerhin einer der Konsortialführer beim Börsengang der SAG) machen könne. "Sie benehmen sich zurzeit ein wenig unorthodox", kommentierte ein Lehman-Verantwortlicher.

Otmar Winzig, Vice President Corporate Communications, erklärte zudem gegenüber Lehmans Research-Chef, Kaiser sei auf dem Analysten-Briefing am Donnerstag dieser Woche Persona non grata. Ein anderer Analyst dürfe aber gern teilnehmen, so Winzig. Lehman steht aber hinter seiner Analystin. In Gesprächen mit den Darmstädtern habe man mehrfach auf die Bedeutung der Unabhängigkeit von Analysten verwiesen und dafür um Verständnis gebeten.

Das "Journal" kommt ohnehin zu dem Schluss, die Software AG hätte besser auf Kaiser hören sollen statt sie zu diffamieren. Der Aktienkurs sei seit der ersten Abwertung um fast 80 Prozent gefallen. Allein in dieser Woche fiel das Papier um fast 40 Prozent, nachdem der Finanzchef zurückgetreten war und die Prognose für das erste Quartal gekürzt wurde. Das Unternehmen lege aber nicht etwa mehr Zahlen offen, sondern erschwere durch seine "Sucht nach Abschreibungen und Rückstellungen" eine Analyse seines Geschäfts und mache eine Analyse des internen Wachstums nahezu unmöglich. Obwohl die Bilanz für 2001 Ende Januar erschienen sei, habe die Software AG ihr Cashflow-Statement bis zum gestrigen Analysten-Briefing zurückgehalten und auch bis gestern Abend nicht auf ihrer Website veröffentlicht. Im Vorjahr sei der operative Cashflow negativ gewesen; 1999 (Mittel aus Finanzaktivitäten mitgerechnet) ebenfalls. (tc)