SOA Days 2013

SOA neu interpretiert: Sehen, Ordnen, Aufräumen

28.05.2013
Von 
Christoph Witte arbeitet als Publizist, Sprecher und Berater. 2009 gründete er mit Wittcomm eine Agentur für IT /Publishing/Kommunikation. Dort bündelt er seine Aktivitäten als Autor, Blogger, Sprecher, PR- und Kommunikationsberater. Witte hat zwei Bücher zu strategischen IT-Themen veröffentlicht und schreibt regelmäßig Beiträge für die IT- und Wirtschaftspresse. Davor arbeitete er als Chefredakteur und Herausgeber für die Computerwoche. Außerdem ist Witte Mitbegründer des CIO Magazins, als dessen Herausgeber er bis 2006 ebenfalls fungierte.
Die SOA Days 2013 standen ganz im Zeichen von Effizienz, Standardisierung und Digitalisierung der Geschäftsstrategien. Service-Orientierung ist hier hilfreich.

Johannes Helbig, Chief Innovation Officer der Deutschen Post AG und Vorstandsvorsitzender des SOA Innovation Lab, spannte den Rahmen für die Konferenz: "Business-Transformation durch und mit IT wird eines der großen Management-Themen dieser Dekade." Die Ursache sei der massive Druck, unter dem die traditionellen Geschäftsmodelle der Unternehmen ständen: "Oft muss das Geschäftsmodell oder zumindest das Operating-Modell vollständig neu entwickelt werden, sollen die Möglichkeiten der digitalen Welt zur Chance und nicht zur Bedrohung werden."

Johannes Helbig, Chief Innovation Officer der Deutschen Post AG: „Business-Transformation durch und mit IT wird sicher eines der Themen dieser Dekade.“
Johannes Helbig, Chief Innovation Officer der Deutschen Post AG: „Business-Transformation durch und mit IT wird sicher eines der Themen dieser Dekade.“
Foto: Deutsche Post

Dazu sei eine Transformation der gesamten Wertschöpfungskette nötig, betonte Helbig, angefangen bei neuen Formen des Sourcings, zum Beispiel Cloud Computing, über automatisierte Prozesse bis zu vollständig digitalisierten Produkten und Dienstleistungen. Zum kritischen Faktor für die Umwandlung der darunter liegenden IT-Strukturen werde das Enterprise-Architecture-Management (EAM): "Weil die Abhängigkeiten der einzelnen Komponenten und Domänen voneinander in einer Service-orientierten Architektur viel geringer sind als in einer eng gekoppelten, können Unternehmen mit SOA die Transformationen so gestalten, dass sie ihre bestehenden IT-Assets in die Zukunft einbringen."

Telekom forciert den Umbau

In diesem Jahr war erstmals die Deutsche Telekom Gastgeberin der SOA Days. Deren CIO, Markus Müller, erläuterte den Architekturumbau im Konzern: "Der zunehmende Bandbreitenhunger, die schnellen Änderungen des Konsumverhaltens und der Bedarf an mehr Self-Service-Optionen, zum Beispiel dem Zu- und Abbestellen neuer Dienste in Echtzeit, fordern eine Neuorientierung der IT; die wirkt sich auf die Anforderungen an ERP-, Billing- und CRM-Systeme sowie ihre Schnittstellen aus."

Die Komplexität einer siloartigen IT-Struktur, wie sie in vielen Unternehmen vorhanden sei, sei diesen Anforderungen nicht mehr gewachsen, so Müller. Deshalb forciere die Telekom seit einem Jahr einen radikalen Architekturumbau.

Die Kernherausforderung

Aus dem Spannungsfeld zwischen Business-Transformation und Kostendruck ergibt sich laut Müller eine Kernherausforderung: den Architekturumbau so zu gestalten, dass Innovationen für das Business kosteneffizient und zeitnah angesetzt sowie gleichzeitig Konsolidierungs- und Abbaupotenziale voll ausgeschöpft werden. Nur so lasse sich die Kostenfalle umgehen, die von steigenden Betriebskosten bei gleichzeitig sinkenden IT-Budgets gekennzeichnet sei.

"Jede Neuimplementierung hebt im Schnitt die Wartungskosten um rund 20 Prozent der Implementierungskosten an", führte der CIO seine Argumentation aus: "Hat man neben den Innovationen nicht auch gleichzeitig die Konsolidierung und den Abbau im Blick, bleibt für Neuentwicklungen kein Raum mehr."

Markus Müller, CIO der Telekom AG: „Bei uns gilt heute das Leitmotiv: Wer neu bauen will, der muss auch aufräumen.“
Markus Müller, CIO der Telekom AG: „Bei uns gilt heute das Leitmotiv: Wer neu bauen will, der muss auch aufräumen.“
Foto: Telekom AG

Hier fordert Müller auch die Hilfe der Anwender an: "Unsere internen Kunden, die neue Anwendungen brauchen und von uns verlangen, müssen uns auch beim Retirement unterstützen." Selten werde eine Applikation durch Neubau völlig redundant. Deshalb müssten die Kunden es zulassen, dass ihre Applikationen "umgezogen" würden. Sonst sei nur der Rückbau möglich, und der setze nicht genug Budget frei.

Als Beispiel führte Müller das internationale ERP-Standardisierungsprogramm des Konzerns ins Feld. Davon sind nicht nur diverse ERP-Systeme betroffen, sondern auch 200 "Umfeldsysteme", die von CRM über BI und Portale bis hin zum Enterprise Support reichen.

Nur drei Prozent Einsparung

Durch eine ERP-Erneuerung lassen sich nur die direkt abgelösten ERP-Applikationen abschalten. Viele andere Systeme können nur teilweise zurückgebaut werden, andere wiederum gar nicht. Der CIO unterfüttert das mit folgenden Zahlen: "Man kann bei einem Investitionsvolumen von rund 600 Millionen Euro durch das Abschalten der ERP-Altapplikationen nur 20 Millionen Euro Einsparungen erzielen."

Um diesen Wert auf 60 Millionen Euro oder zehn Prozent der Investitionssumme zu steigern, müsse man "tiefer greifend abbauen", so Müller. Doch in vielen Unternehmen bleibe die IT bei Abbauprogrammen von Altanwendungen "unter sich".

Im Telekom-Konzern sind Retire-Programme heute fest verankert in jedem Neubauprojekt. Ein neues Projekt wird nur dann genehmigt, wenn es einen Abbauplan mit klaren Verantwortlichkeiten enthält und die Fachseiten nachweislich eingebunden sind. "Daher gilt für uns heute das Leitmotiv: Wer neu baut, der räumt auch auf." Das aktive Retirement funktioniere inzwischen so gut, dass allein dadurch 100 Millionen Euro Einsparungen erreichbar seien (von der einen Milliarde, die das IT-Budget bis 2015 hergeben müsse).

Ratgeber für die Private Cloud

Transformation und Effizienzsteigerung erhoffen sich auch die Unternehmen, die auf Cloud Computing setzen. Allerdings ist das oft leichter gesagt als getan, vor allem wenn es um mehr geht als um Infrastructure as a Service. Deshalb hat eine Arbeitsgruppe im SOA Innovation Lab unter Leitung von Björn Oestrich, Enterprise Technical Architect bei der Telekom, den Cloud Computing Guide entwickelt. Ein Kernstück dieses Ratgebers ist ein Schritt-für-Schritt-Ansatz zum Aufbau einer Private Cloud. Er ist unterteilt in fünf Bereiche.

  • Im Bereich Strategy werden Fragen nach den strategischen Zielen und den mit Cloud erreichbaren Business-Zielen beantwortet sowie Use Cases identifiziert, die in einem Private-Cloud-Szenario besser bewältigt werden können. Hier gilt es außerdem, zu prüfen, welche Teile der IT-Landschaft für eine Cloud-Transition benutzt werden. Last, but not least sollte in dieser Dimension eine Roadmap entwickelt werden.

  • Im Feld Business wird der ökonomische Wert analysiert und eine Sourcing-Strategie festgelegt.

  • Die Dimension Process umfasst die Entwicklung eines Modells für die Verrechnung von Services, zum Beispiel auf Basis von Zeit, Nutzerzahl oder Transaktionsmenge. Außerdem müssen hier Servicekatalog und Service-Levels so bearbeitet werden, das sie je nach Bedarf konfiguriert und dynamisch abgerechnet werden können. Ebenfalls angepasst werden müssen Operating Model und IT-Prozesse.

  • Der vierte Bereich, Technology, befasst sich mit dem Aufbau der Infrastruktur. Hier müssen Verfahren entwickelt werden, um festzustellen, welche Anwendungen Cloud-fähig sind und wie sie in die Wolke überführt werden können.

  • In der Dimension Security/Compliance schließlich sollten Fragen nach dem zusätzlichen Risiko beantwortet werden, das eine Private-Cloud-Umgebung gegenüber einer herkömmlichen IT-Landschaft birgt. Außerdem rät der Cloud Guide zu einer Analyse der legalen Aspekte für eine Übertragung des Private-Cloud-Betriebs an einen externen Provider.

Den Abschluss des Ratgebers bildet die Vorstellung musterhafter Private-Cloud-Landschaften, die an verschiedenen strategischen Zielen ausgerichtet sind. "Anwender, die unseren Cloud Guide beherzigen, verringern ihre Transitions- und Integrationsrisiken beim Aufbau einer Private Cloud", betonte Oestrich.

VW buchstabiert SOA neu

Die IT von Volkswagen hat sich ebenfalls einen Ordnungsrahmen geschaffen. Er muss den Bedürfnissen eines Großkonzerns mit weltweit 550 000 Beschäftigten gerecht werden. "Im Grunde", so Volker Kratzenstein, Group Software Technology Officer, "hatten wir mit SOA schon 2007 und 2008 diesen Ordnungsrahmen gefunden." Wesentlich für den späteren Durchbruch war jedoch die Adaption von Prinzipien, wie sie in der Kfz-Fertigung und -Entwicklung bereits etabliert waren: Standardisierung, Modularisierung und Wiederverwendung.

"Wir haben den Begriff Domänenmodell ad acta gelegt, weil außerhalb der IT niemand etwas damit anfangen konnte", bekannte Kratzenstein. Die Fachbereiche sprechen nun von Fachfunktionslandkarte. "Wir sind auf dem besten Weg, für ein modulares Business auch eine modulare IT anbieten zu können", freute sich Kratzenstein. Da sich SOA nur gemeinsam mit den Fachbereichen realisieren lasse, sei das Thema komplett neu interpretiert worden: "SOA buchstabieren wir heute als Sehen - Ordnen - Aufräumen." Sehen stehe für Erkennen und Verstehen der bestehenden IT-Architektur und -Landschaft. Beim Ordnen gehe es um die Definition der Zielarchitektur. Aufräumen bedeute: Projekte umsetzen, die zur Zielarchitektur führen.

Wiederverwendung ist etabliert

Mit dieser Uminterpretation schaffte es die Volkswagen-IT, die Fachbereiche für die Themen Unternehmensarchitektur und Wiederverwendung zu erwärmen. Inzwischen setzt der Konzern 294 wiederverwendbare Module ein, 550 Prozent mehr als 2009. Die Zahl der Zugriffe auf diese Module hat sich sogar verzehnfacht.

Foto: Sergey Nivens, Shutterstock.com

Wie viel die SOA-Prinzipien und ein aktives EAM bringen, zeigte sich etwa im Rahmen der Einführungen von iPads und Apps. "Überall dort, wo SOA implementiert war, gelangen Enterprise-App-Entwicklungen für iPads sehr einfach", beteuert Kratzenstein. Auch bei der App-Entwicklung setze VW auf das Prinzip der Wiederverwendung. So würden Basiselemente von Apps wie ein Barcode-Reader, Skinning oder Verschlüsselung nur einmal entwickelt und in allen VW-Apps wieder eingesetzt: "Durch wiederverwendbare Komponenten spart man bei der Entwicklung einer neuen App bis zu 70 Prozent der Herstellungskosten."

Vor die Firewall, rein ins Internet

Am Ende ging Kratzenstein noch einmal auf das Thema ein, das Helbig schon berührt hatte: IT als digitaler Service oder Produkt. "Das IT-Geschäftsmodell, das sich lange Jahre hinter der Firewall abgespielt hat, geht zunehmend raus ins Internet", erläuterte der VW-Manager. Für die Realisierung der digitalen Business-Strategie sei SOA "zwingend erforderlich". (qua)