"SOA ist für ERP keine Silver Bullet"

13.04.2007
Von 
Bernd Seidel ist freier Journalist und Coach in München.
"ERP-Software erfindet sich immer wieder neu", meint Helmuth Gümbel, Managing Partner bei Strategy Partners. Wie sich die Anbieterlandschaft verändert, ob SOA ein Fluch oder Segen ist und ob sich Software as a Service durchsetzt, diskutiert er mit dem Journalisten Bernd Seidel.

?Welche Wachstumstreiber wirken zurzeit im ERP-Markt?

Gümbel: Es sind auf jeden Fall nicht die, die man normalerweise erwartet. Im Markt von SAP ist es beispielsweise die Einstellung der Wartung für ältere R/3-Systeme, die für einen Schub sorgen wird. Hierbei handelt es sich vor allem um technische Upgrades.

?Was verstehen Sie unter technischen Upgrades?

Gümbel: In der Regel sind das Eins-zu-eins-Aktualisierungen, bei denen lediglich das neue System installiert wird, ohne jedoch die Möglichkeiten auszunutzen, die ein neues System etwa hinsichtlich der Prozessoptimierung und -architektur bietet.

Dem gesamten ERP-Markt wird das Thema Compliance-Management einen Schub verleihen und größere Unternehmen zu Investitionen nötigen. Denn kein Unternehmen würde heute einer Prüfung standhalten, wenn man es auf die Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften hin auf den Kopf stellen würde. Lösungen, mit denen die Compliance transparent zu überwachen ist, lassen sich gut als Ergänzung zu den bestehenden ERP-Produkten verkaufen. Auch im Mittelstand ist dies zunehmend ein Thema, speziell dann, wenn das Unternehmen mit großen Firmen als Zulieferer kooperiert und die strengen Vorschriften der Großen vorgegeben bekommt.

?Was muss solch eine Compliance-Software können?

Gümbel: Die Software muss jeden Vorgang, jeden Teilschritt, der unternehmensrelevant ist und etwa zu einer Entscheidung geführt hat oder eine Buchung im System ausgelöst hat, transparent und nachvollziehbar machen. Dass dies noch nicht funktioniert, wird beispielsweise bei Korruptionsskandalen sichtbar. Die Informationen, die man benötigt, um solche kriminellen Handlungen hieb- und stichfest beweisen zu können, sind heute in einer Vielzahl von Systemen, Anwendungen, Mails und wohlmöglich noch handschriftlichen Notizen verteilt, sodass es fast unmöglich ist, eine Transparenz herzustellen.

?Das bedeutet ja auch, Prozesse besser zu überwachen ...

Gümbel: Ja, Prozess-Management - also das Design, die Entwicklung und letztlich die Überwachung von Geschäftsprozessen - ist ebenfalls ein Bereich, von dem wir erwarten, dass er den ERP-Markt beleben wird. Allerdings sind, egal von welchem Treiber, keine kurzfristigen positiven Ausschläge zu erwarten. Compliance, Prozess-Management und auch der Trend zu Lösungen, die on Demand zu beziehen sind, werden vielmehr auf lange Sicht den Markt vergrößern.

?Der ERP-Markt ist ein reifer Markt. Haben hier Newcomer überhaupt noch ein Chance?

Gümbel: Der Markt wächst um rund fünf Prozent im Jahr, und leichter ist es für Neueinsteiger nicht geworden. Eine Chance haben nur die, die sauber fokussiert sind - etwa auf eine Teilbranche oder einen funktionalen Aspekt - und ihre Finanzierung nicht aufs Spiel setzen. ERP-Software gehört zur komplexesten Software, die heute auf dem Markt verfügbar ist, daher bedarf es einiger Vorinvestitionen, bis die Ernte eingefahren werden kann. Angebote, die wir bei Strategy Partners kommen sehen, sind auch im Open-Source-Umfeld zu finden.

?Sehen Sie Open Source eher im Bereich der ERP-Infrastruktur oder auch bei den Anwendungen?

Gümbel: In beiden Bereichen, wobei sich die Hersteller zunächst der Open-Source-Komponenten, etwa Datenbanken und Middleware, bedienen werden und diese in ihre Pakete integrieren. Ein Beispiel dafür ist Sage Bäurer, das seine Entwicklung auf Basis von Apache und Eclipse vorantreibt. Selbst SAP verwendet in seiner Entwicklungsumgebung ein Derivat des Eclipse-Frameworks. Im Infrastrukturbereich ist Open Source bereits heute Standard. Bei den Anwendungen ist dies noch nicht der Fall, es wächst aber langsam.

?Wie stehen die Chancen von Software as a Service (SaaS) bei ERP?

Gümbel: Hier müssten die Anbieter zunächst einmal die Idee aufgeben, dass sie ihre normalen ERP-Produkte im On-Demand-Modus anbieten möchten. Das funktioniert nicht. Eine solche Lösung muss von vornherein für diesen Zweck konzipiert werden.

?Was meinen Sie damit?

Gümbel: On Demand oder auch SaaS bedeutet nichts anderes, als dass sich der Kunde seine Lösung in den Portionen zusammenbaut, wie er sie braucht. Dazu müssen die Software und das Geschäftsmodell dieser Offerte gerecht werden. In der Regel werden jedoch komplette ERP-Pakete angeboten, zu Preisen, die sich aus dem Gesamtumfang der Lösung berechnen.

Ein Vertriebsbeauftragter verkauft auch heute noch lieber Lizenzen, als dass er einem Kunden eine Outsourcing-Variante vorschlägt, bei der seine Provision nur tröpfchenweise in sein Portemonnaie fließt.

?Ist der Umbau der monolithischen ERP-Systeme hin zu Service-orientierten Architekturen (SOA) ein Motor für den Markt?

Gümbel: Die erhofften Blitzerfolge bleiben bisher jedenfalls aus.

Warum?

Gümbel: Das Ziel von SOA lässt sich aus IT-Sicht einfach auf den Punkt bringen: Eine Anwendung besteht aus vielen kleinen Bestandteilen, die sich beliebig kombinieren lassen, und es ist mehr oder weniger egal, wo sich diese Programme oder Services befinden.

Doch den Anwender interessiert SOA nicht, sondern nur die möglichen Konsequenzen daraus: mehr Flexibilität für Geschäftsprozesse, eine schnellere Anpassung des Unternehmens an den Markt sowie eine bessere Integration von Anwendungen. Wie die IT das hinbekommt, ist der Geschäftsleitung und den Anwendern egal. Wenn es mit SOA geht - fein.

?Aber ohne SOA scheinen sich die von Ihnen genannten Unternehmensziele nicht mehr wirtschaftlich mit IT umsetzen zu lassen ...

Gümbel: Das Vehikel SOA kann die Erreichung dieser Ziele erleichtern, es ist aber bestimmt keine Silver Bullet. Eines ist aus unserer Sicht jedoch sicher: Je mehr es eingesetzt wird, desto stärker wird die Ernüchterung sein. Auch die Hersteller werden entlarvt, die versuchen, mit SOA und unter dem Deckmäntelchen der Offenheit weiterhin ihre proprietären Strukturen durchzusetzen. Viele Anbieter versprechen eine bessere und freie Kombinierbarkeit von Services und mehr Flexibilität. Doch das funktioniert lediglich innerhalb der eigenen Softwareumgebung - wenn überhaupt.

?Wie weit sind die Anbieter mit der Umsetzung von SOA in ihren Paketen?

Gümbel: Wie so oft in der IT, hinkt die Realität den Marketing-Folien speziell der großen Hersteller um einige Jahre hinterher. Es gibt heute noch keine einzige Industrielösung, die durchgängig nach dem SOA-Konzept entwickelt und verfügbar ist. Im Randbereich sind Ansätze vorhanden, aber es wird auch nie ein ERP-System geben, das komplett nach diesem Paradigma gestaltet sein wird.