Motivation statt Spielerei

So macht man Ernst mit Gamification

09.12.2014
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
"Tools zum positiven Veränderungs-Management" - so umschrieben lockt Gamification auch traditionell geprägte Entscheider. Das berichtet Accenture-Spezialist Daniel Meusberger. Gartner-Analyst Brian Burke erwartet, dass 2015 rund 70 Prozent der 2000 weltgrößten Unternehmen Gamification einsetzen werden.

Rosa, gelb, grün, blau - das Cover von Brian Burkes Buch "Gamify" ist bunt. Knallbunt. Doch wer Spielchen oder lustige Cartoons darin vermutet, irrt. Burke ist Research Vice President beim US-Marktforscher Gartner und schreibt dem Gamification-Markt mit Anbietern wie Badgeville, RedCritter und Bunchball Reife zu. Allerdings seien erst fünf bis 20 Prozent der Nachfrageseite erschlossen.

Wie der Gartner-Analyst beobachtet, hatten viele Entscheider zunächst überzogene Erwartungen an Gamification - den Trend, spielerische Elemente in Anwendungen zu integrieren - geknüpft. Daher macht sich nun eine gewisse Desillusionierung breit. Burke beurteilt das Potenzial der Methode aber hoch, sofern die Anwender Gamification für sich klar definieren und auch die Grenzen dessen erkennen.

Bei der Münchner IT-Beratung MaibornWolff priorisieren die Mitarbeiter ihre Projektanforderungen in einer Planungsrunde mittels Poker-Chips.
Bei der Münchner IT-Beratung MaibornWolff priorisieren die Mitarbeiter ihre Projektanforderungen in einer Planungsrunde mittels Poker-Chips.
Foto: MaibornWolff

Stichwort Definition: Der Gartner-Analyst grenzt Gamification ab vom reinen Spielen oder schlichten Belohnungsprogrammen. Während Spiele unterhalten wollen und Belohnungsprogramme kompensieren, soll Gamification vor allem motivieren.

In dieses Horn stößt auch Daniel Meusburger, Gamification-Experte bei Accenture. Für ihn ist Gamification kein einmaliges Projekt, sondern eine kontinuierliche Entwicklung hin zu mehr Motivation, Collaboration und damit letztlich zu mehr Produktivität.

Vor der Einführung Kennzahlen definieren

"Vor der Einführung müssen Unternehmen definieren, welche Kennzahlen verbessert werden sollen", sagt Meusburger. "Dann muss mit einem Fokus auf den Faktor Menschen analysiert werden, welche Spielelemente die Mitarbeiter motivieren und Verhaltensweisen fördern, von denen der Mitarbeiter sowie die Unternehmenskennzahlen positiv beeinflussen werden." Solche Kennzahlen können getätigte Vertragsabschlüsse sein oder auch Prozessdurchlaufzeiten.

Es geht für Meusburger nicht darum, dass Mitarbeiter während der Arbeitszeit spielen. Sondern, dass das Unternehmen spielerische Elemente nutzt. Das hat viel mit Visualisierung zu tun. Fortschrittsbalken oder Levels geben dem Beschäftigten kontinuierlich Feedback statt des seltenen Jahresgespräches.

Das Prinzip der Visualisierung steht auch für die IT-Berater MaibornWolff im Mittelpunkt. Die Consultants entwickeln Prozessspiele, die den Prozess als Ganzes fassbar machen sollen. So priorisieren Mitarbeiter ihre Projektanforderungen in einer Planungsrunde mittels Poker-Chips. Das soll den abstrakten Vorgang der Priorisierung über die Verteilung der Spielchips greifbar machen.

Dazu Franziska Metzger, IT-Consultant bei MaibornWolff: "Im Spiel nehmen die Teilnehmer Hierarchien weniger stark wahr als in einer klassischen Planungssession. Das Vorgehen eignet sich deswegen besonders gut, um Fachwissen unabhängig von der Position im Unternehmen einzubinden."

Wie Gartner-Analyst Burke erwartet auch Accenture-Manager Meusburger eine steigende Nachfrage nach Gamification. Ein Hauptargument ist für ihn die zunehmend mitarbeiterzentrierte Führungskultur, welche zudem die Attraktivität der Unternehmen für die jungen Generationen stark steigert. Dass in der Bundesrepublik noch einiges an Bewusstseinsarbeit zu leisten ist, ficht den Accenture-Manager nicht an. Das Land präge eben die Vorstellung, Arbeit sei "der Ernst des Lebens" und vertrage sich nur bedingt mit Spiel. Meusburgers Tipp: von "Tools zum positiven Veränderungs-Management" sprechen statt vom Kunstwort oder Trendbegriff Gamification.

Grundsätzlich gilt: "Die Art, wie Gamification eingeführt und umgesetzt wird, muss zur Unternehmenskultur passen", so Meusburger. In traditionell geprägten Unternehmen könne es Probleme geben, wenn der Praktikant mehr virtuelle Statussymbole bekommt als der Geschäftsführer. Ein anderes Thema ist der Betriebsrat. Meusburger rät unbedingt zur Abstimmung - und zur Akzeptanz, wenn einzelne Mitarbeiter klassische Applikationen ohne Spielelemente bevorzugen.

Denn das ständige Beobachten und Dokumentieren, Vergleichen und Belohnen kann Stress verursachen. Es muss jedem Mitarbeiter möglich sein, solche Anwendungen abzuschalten. Glaubt man Meusburger, kommt es aber nicht selten vor, dass begeisterte Kollegen Skeptiker mit der Zeit doch aufs Spielfeld locken. "Sie brauchen einen Pull-Ansatz, keinen Push-Ansatz", sagt er.

Human Ressources nennt er denn auch als prädestiniert für Gamification. Teams können im sportlichen Wettkampf gegeneinander antreten. Es geht darum, den Mitarbeiter ins Zentrum zu stellen, sagt Meusburger. "Optimal ist, wenn der Mitarbeiter das Gefühl hat: Ich entwickle mich selbst und leiste zudem einen Beitrag in meinem Unternehmen."

Motivation, Collaboration, Engagement - das sind die typischen Schlagworte rund um Gamification. Als Vorzeigebeispiel im Hinblick auf Gamification im Kundeneinsatz gilt Nike+. Das System des Sportartikelherstellers bringt Menschen zum Laufen und zum Kaufen. Der Jogger kann seine Trainingserfolge nicht nur über Sensoren dokumentieren, sondern sich in der Community an Mitstreitern messen.

Gartner-Analyst Burke zählt dies zu den Top Ten Business Cases im Gamification-Feld. Die Analysten gehen davon aus, dass schon im kommenden Jahr 70 Prozent der 2000 weltgrößten Unternehmen spielerische Anwendungen einsetzen werden.

Erfolg von Gamification definieren und messen

Burke gibt aber zu Bedenken, dass eine Anwendungsentwicklung, die auf Motivation abzielt, andere Skills erfordert als eine, die - wie bisher - vor allem auf Effizienz ausgerichtet ist. Er glaubt, dass viele CIOs diese Skills in ihren Teams erst noch entwickeln müssen. An einer Stelle seines Buches behauptet er denn auch: "Gamification is not about fun!"

Aus Meusburgers Sicht müssen die Entscheider zunächst klären, wie sie den Erfolg von Gamification definieren und messen wollen. So kann es beim Blick nach Außen darum gehen, dass sich mehr Kunden auf einer Site registrieren. Oder, dass sie mehr kostenpflichtige Services nutzen. Oder, dass sie mehr Zeit auf der Site verbringen.

Grundsätzlich eigne sich das Prinzip, mit dem menschlichen Spieltrieb zu arbeiten, für jede Branche, sagt er. Schwer verständliche Produkte wie anspruchsvolle Unternehmenssoftware ließen sich über spielerische Elemente leichter erklären, ebenso förderten sie erwünschte Verhaltensweisen wie Online-Banking.

So kann Gamification beispielsweise Kfz-Versicherte zu einem umsichtigen Fahrstil anregen. Automobilhersteller wie Ford verwenden das Symbol einer Pflanze auf dem Armaturenbrett. Bei vernünftigem Fahren wachsen ihr Blätter, bei rasanten Anfahr- und Abbremsmanövern - unfallträchtigem Fahren also - verkümmert sie. Meusburger schmunzelt: "Wer sich an das grüne Pflänzchen gewöhnt hat, möchte es auch hegen".