Thema der Woche

SNI-Chef Schulmeyer: "Die Aktionäre haben entschieden"

01.05.1998

CW: Bisher war Siemens-Nixdorf für jedermann erkennbar eine DV-Firma. Jetzt verschwindet das Unternehmen in drei IuK-Bereichen der Siemens AG, bei der man bekanntlich auch Kühlschränke oder Telefone kaufen kann. Die Positionierung als IT-Unternehmen wird schwieriger - oder ist sie vielleicht gar nicht beabsichtigt? Wird hier der langsame Rückzug aus dem IT-Geschäft vorbereitet?

Schulmeyer: Ich weiß, Sie brauchen eine gewisse Dramaturgie. Uns geht es aber darum, daß sich Siemens irgendwann entscheiden mußte, ob die Verschmelzung von Informations- und Kommunikationstechnologie vorangetrieben werden soll. Das Unternehmen hatte die Chance, eine einmalige Marktposition einzunehmen. Es hat sich dafür entschieden, und es gibt sehr viele wichtige Leute, auch Analysten, die das gar nicht so komisch, sondern sogar gut finden.

Siemens mußte über die Aufstellung des Konzerns nachdenken. Auf der einen Seite gibt es SNI, auf der anderen Öffentliche Netze (ÖN) und Private Netze (PN). Diese zum Teil zehn Jahre alten Aufstellungen waren neu zu ordnen. Das ist alles. Wenn Sie meinen, daß unsere Enterprise-Kunden sagen: "Es stört uns ungemein, daß wir jetzt IuK aus einer Hand beziehen sollen", dann haben Sie schon lange nicht mehr mit einem Kunden gesprochen.

CW: Hätte man nicht die für das IT-Geschäft wesentlichen Bereiche aus dem Kommunikationssegment in die SNI überführen und damit deren Eigenständigkeit wahren können?

Schulmeyer: Sie meinen, man sollte Siemens in der SNI auflösen? Ihre Phantasie ist unbegrenzt. Ich werde das Herrn von Pierer von Ihnen ausrichten lassen.

CW: Es hat ja in den letzten Jahren immer wieder genügend Presseberichte sowie Statements aus dem Siemens-Vorstand gegeben, denen zufolge man mit der Leistung von SNI nicht zufrieden gewesen ist. Insofern läßt sich die Eingliederung auch so verstehen, daß Siemens dieses Geschäft wieder unter die eigenen Fittiche nehmen will. Ist es nicht so, daß die Siemens AG in Zeiten, in denen der Shareholder Value groß geschrieben wird, ein Signal nach außen setzen will, nach dem Motto: Wir konzentrieren uns auf das Kerngeschäft und schneiden alte Zöpfe ab?

Schulmeyer: Zum Glück managen Sie keine Firma. Wenn Sie das tun und den Shareholdern sagen würden, wir werden jetzt eine marode Tochter in den Konzern integrieren, um das Ergebnis zu verbessern, dann würden die Ihnen den Marsch blasen...

CW: Es sei denn, bei der Gelegenheit werden die Assets aus der maroden Tochter herausgefiltert und der Rest fallengelassen.

Schulmeyer: Die Rechnung wird nie billiger, wenn Sie ein Unternehmen in die Mutter reintegrieren - auch dann nicht, wenn Sie dabei anfangen zu sieben. So etwas läßt man draußen und ist heilfroh, wenn es draußen bleibt.

Wenn Sie die jüngsten Finanzergebnisse von Siemens fein säuberlich gelesen haben, ist Ihnen vielleicht aufgefallen, daß SNI profitabel ist. Deswegen ist das Interesse größer und die Gefahr geringer, ein solches Geschäft zu integrieren.

CW: Bleibt das Problem, daß Siemens nun die Groß-DV neben Kühlschränken und Finanzdienstleistungen im Angebot hat.

Schulmeyer: Ich verstehe Ihre Diktion, aber die Strategie ist vertretbar, weil uns unsere Kunden darin bestärken, Information und Kommunikation stärker miteinander zu verschmelzen. Außerdem hat Siemens damit eine Alleinstellung im Markt, die genutzt werden soll. Deshalb können Sie doch den Leuten nicht vorwerfen, daß sie zusammen mit Bosch ein Joint-venture in Kühlschränken haben. Ist das so abstrakt? Warum finden Sie das so komisch?

CW: Weil wir glauben, daß Siemens in seinem Gesamtkonzept nicht vorsieht, wie bisher als DV-Anbieter aufzutreten. Wir nehmen an, daß dies der erste Schritt von Siemens ist, aus dem DV-Geschäft auszusteigen. Es gibt schließlich nicht allzu viele Mischkonzerne, die hier erfolgreich sind...

Schulmeyer: Ich verstehe Ihre Lust, da etwas zu konstruieren, aber können wir das jetzt nicht mal aufgeben? Ich habe doch eben versucht, die Logik zu erklären. Es wäre vom Kostenaspekt her ein Wahnsinn, etwas nach innen zu integrieren, um es dann aufzugeben. Das wäre auch für die Siemens-Aktie tödlich.

Ob es Ihnen paßt oder nicht: Es ist nun einmal so, daß wir in dieses Szenario hineinpassen. Wir haben uns bei SNI schon vor einem Jahr so strukturiert, daß wir Produkte und Dienstleistung trennen. Daran merken Sie, daß wir dieses Szenario von langer Hand vorbereitet haben.

CW: Das klingt ja fast so, als wären Sie bei SNI angetreten, um das Unternehmen in den Siemens-Konzern zu integrieren.

Schulmeyer: Nein. Ich habe ganz klar gesagt, daß ich meine Arbeitskraft hier für fünf Jahre zur Verfügung stellen und versuchen möchte, das Unternehmen in diesem Zeitraum auf gesunde Beine zu stellen. Nachdem die gröbsten Probleme gelöst waren, wurde klar, daß SNI nur langfristig bestehen kann, wenn das Unternehmen nach innen oder außen integriert wird. Sonst hätten wir nie die Chance gehabt, ein weltweiter Player zu werden.

Integration nach außen hätte bedeutet, mit einem Computerhersteller zu fusionieren. Integration nach innen heißt, die Verschmelzung mit dem Kommunikations-Spezialisten Siemens AG. Auf diese Weise bekommen wir eine andere Marktposition und ein Siemens-Branding, das weltweit trägt. Beide Szenarien wären möglich gewesen, beide sind den Aktionären vorgetragen worden. Sie haben sich dafür entschieden, Szenario zwei zu wählen - Verschmelzung mit Kommunikation.

CW: Wird in dem neuen Siemens-IuK-Bereich "Produkte" künftig vom BS2000-Rechner über RM-Systeme und PCs bis hin zum Telefon alles erhältlich sein?

Schulmeyer: Wenn Sie sich SNIs Produkt- und Technologieseite ansehen und die Netzgeschäfte herausnehmen, kommen Sie nahe an den Kern dessen, was sich IuK-Produkte nennt. Die SBS (Siemens Business Solutions, bisher gemeinsame Dienstleistungstochter von SNI und Siemens, Anm. d. Red.) wird Kern des neuen Siemens-IuK-Bereichs Dienstleistungen.

Das alles ist aber nur ein Grobgerüst. Wir haben Teams gebildet, die herausfinden werden, was richtig ist. Die können durchaus noch zu anderen Ergebnissen kommen. Dann werden wir hinhören und unsere Strategie gegebenenfalls ändern.

CW: Es wird weiterhin eine Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG geben...

Schulmeyer: Richtig, dort läuft das Geschäft mit Bankautomaten und Retail-Produkten weiter. Herr Nixdorf war ein von mir hochgeschätzter Unternehmer. Ich hielt es für richtig, den Namen Nixdorf in diesem Akt nicht unterzupflügen. Die Teile, die von ihm kommen und nicht zur Integration von IuK beitragen, werden dort belassen. So besteht der Name Nixdorf weiter.

CW: Ist geplant, die SNI AG irgendwann abzustoßen?

Schulmeyer: Sie bleibt eine 100prozentige Siemens-Tochter. Es ist ein abgeschlossener Unternehmensbereich mit einer guten Marktposition, der stark wächst und finanziell performt. Er kommt von der Nixdorf-Seite her und soll und möchte das Nixdorf-Warenzeichen behalten. Das Headquarter ist in Paderborn - auch von daher war es nicht unlogisch, an der Nixdorf-Marke festzuhalten.

CW: Die SNI ist dann aber nur noch so klein, daß man das Kapitel Nixdorf als abgeschlossen bezeichnen muß.

Schulmeyer: Nein. Sagen Sie das nicht. Es gibt hier noch viele Nixdorfler, denen das etwas bedeutet. Deshalb habe ich auch die Mühen auf mich genommen, das Ganze so zu strukturieren. Das sollten wir würdigen und nicht so locker darüber reden.

CW: Wir reden aber locker darüber, weil SNI das Nixdorf-Erbe nicht gerade würdig verwaltet hat. Die Kunden sind Ihnen in Scharen davongelaufen.

Schulmeyer: Da haben Sie recht, das haben wir sicher nicht gut gemacht. Es gibt keinen Zweifel, daß wir zu spät Lösungen für diese Kunden hatten, da sind uns andere zuvorgekommen.

CW: Macht es Sinn, die SBS in den Siemens-Konzern zu integrieren, wo doch die meisten IT-Dienstleister derzeit in externe Gesellschaften ausgegliedert werden?

Schulmeyer: Sie haben offenbar die feinen Nuancen der Presseerklärung nicht gelesen. SBS bleibt eine selbständige Rechtseinheit. Sie stützt sich aber auf einen starken IuK-Backbone, der ihr eine Alleinstellung gibt.

CW: Wie ist das zu verstehen?

Schulmeyer: Nehmen wir einmal an, wir haben einen Outsourcing-Kunden und können ihm nicht nur die I-Seite, sondern auch die K-Seite kompetent outsourcen, dann ist das bereits ein wichtiges Plus.

CW: Das kann die IBM auch.

Schulmeyer: Mag sein, aber wenn ich mich mit ihr vergleiche, bekomme ich keine Depressionen. Wie Sie vielleicht wissen, wurde die Kompetenz von IBM im Kommunikationsbereich an uns verkauft (an Siemens Rolm, Anm. d. Red.).

CW: Müßten Sie nicht dringend eine Akquisition im Dienstleistungsgeschäft vornehmen, um mit den großen Wettbewerbern mithalten zu können?

Schulmeyer: Wenn etwas geplant wäre, würde ich Sie jetzt belügen - das wissen Sie doch.

CW: Man kann davon ausgehen, daß die Integration von SNI in den Siemens-Konzern nicht ohne den Abbau von Mitarbeitern vonstatten geht.

Schulmeyer: Daß eine solche Integration an der einen Stelle Redundanzen und an der anderen neue Möglichkeiten schafft, ist völlig klar. Es geht hier um eine riesige Integrationsaufgabe mit hunderttausend Menschen - um mal eine Zahl zu nennen. Wir werden das tun, was wichtig ist. Wenn es Redundanzen gibt, werden wir wissen, was wir zu tun haben. Es geht natürlich darum, die drei IuK-Bereiche in ihren Aufgaben effizienter werden zu lassen. Das ist klar. Aber das kann man auch auf anderem Wege als durch Personalabbau. Ausschließen kann ich den aber in bestimmten Bereichen nicht grundsätzlich.

CW: Kommen wir zum Verkauf des PC-Geschäfts. Verstehen wir es richtig, daß Acer künftig die PCs für SNI produziert und Sie die Geräte dann mit Ihrem Warenzeichen auszeichnen und als OEM-Produkte - eventuell nach eigenen Spezifikationen angepaßt - verkaufen?

Schulmeyer: Natürlich steht die Marke Siemens drauf. Wir bringen in diese Partnerschaft viel Technologie ein. Außerdem werden wir auch weiterhin Technologie behalten, denn wir gehen im PC-Bereich hoch bis in die Workstation-Kategorie, während Acer sich stärker im Consumer- und Soho-Bereich bewegt.

Wir werden in der Produktkonzeption unsere Marke weiter durchziehen. Andererseits wären wir natürlich dumm, wenn wir alles völlig anders machen würden als Acer. Wir würden uns um den Größeneffekt bringen. Diese Partnerschaft läßt uns jeden Freiraum offen.

CW: Betrachtet die SNI das Produzieren als lästigen und sogar überflüssigen Kostenfaktor? Geht es Ihnen nur noch darum, in diesem Markt irgendwie sichtbar zu sein?

Schulmeyer: Sie verwenden Worte, die wilde Interpretationen zulassen. Es ist einfach so, daß Fertigung und Design von PCs eine gewisse Wertstufe darstellen. Der Käufer fragt am Ende nicht nach, wo diese Wertstufe erreicht wurde. Wir haben jetzt einen Partner, der acht Millionen Rechner produziert, wir selbst bauen 1,5 Millionen Stück. Durch die Partnerschaft sind unsere Chancen beim Volumeneinkauf und in der Logistik viel besser geworden.

Gegenüber den Komponentenlieferanten haben wir jetzt ähnliche Argumente wie beispielsweise Compaq. Übrigens lassen die auch woanders fertigen. Man sollte das also nicht dramatisieren.

CW: Fakt ist aber, daß die Fertigungsstätte in Augsburg komplett an Acer verkauft wird?

Schulmeyer: Richtig.

CW: Mit anderen Worten, SNI produziert keine PCs mehr.

Schulmeyer: Wir assemblieren noch PCs in Italien und einige wenige in Frankreich, aber wir fertigen nicht mehr im großen Stil.

CW: Was hat Acer Ihnen für die Augsburger PC-Produktion bezahlt?

Schulmeyer: Das sage ich Ihnen nicht. Das wird Sie hoffentlich nicht verwundern.

CW: Wie stehen die Mitarbeiter im Augsburger Werk zu dieser Entwicklung?

Schulmeyer: Wir haben heute morgen Betriebsversammlung gehabt. Der typische Mitarbeiter in Augsburg sagt: "Im Gehirn verstehe ich's, im Bauch fällt mir's noch schwer." Das ist klar, das ist eine emotionale Angelegenheit. Ich wäre zutiefst enttäuscht, wenn die Leute eine Marke wie Siemens-Nixdorf ablegen würden wie ein Unterhemd. Davor muß man Respekt haben, wir müssen das ordentlich aufarbeiten. Von der Logik her ist das aber verstanden worden. Die Mitarbeiter wußten, daß es keinen Ausweg gab und wir in einer Situation waren, wo eine langfristige Lösung hermußte.

CW: Hatten Sie denn Probleme in Augsburg? Die Produktion lief doch nicht defizitär?

Schulmeyer: Nein! Warum sagen Sie so einen Satz?

CW: Weil Sie eben erklärten, es habe keinen Ausweg gegeben...

Schulmeyer: Es ist so, daß wir unangenehmerweise nicht nur an morgen, sondern auch an übermorgen denken. Das PC-Geschäft in den beiden vergangenen Jahren hat eine schwarze Null geschrieben.

CW: Werden PCs bei SNI jetzt billiger?

Schulmeyer: Ich hoffe, Ihnen erscheint die Vorstellung nicht zu abstrakt, daß wir von sinkenden Herstellungskosten ausgehen.