Acatech-Bericht

Smart Services – die nutzerorientierte Schwester der Industrie 4.0

17.03.2015
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Pünktlich zum CeBIT-Beginn legte die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) ihren Abschlussbericht zur Initiative "Smart Service Welt" vor. Unter anderem enthält er ein Schichtenmodell für digitale Infrastrukturen.

Wir befinden uns mitten in einem Wettrennen um die Betriebsdaten und Plattformen, warnt Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture Deutschland. Die deutsche Wirtschaft sei führend hinsichtlich der digitalen Produkte, aber ein großer Teil der Wertschöpfung komme nicht aus den Produkten selbst, sondern aus der Konvergenz zwischen Produkten und Daten. Und da seien die US-Firmen im Vorteil: "Sie haben eben nicht den Ballast der Produkte."

Riemenspergers Lieblingsbeispiel hierfür ist der Dienstleister, der selbst kein einziges Röntgen-Gerät besitzt, aber Zugriff auf unzählige Röntgen-Bilder hat und über fundiertes Know-how für die Auswertung verfügt. Auf dieser Basis könne er einen Auswertungs-Service für Ärzte anbieten. Ohne eigene Produkte, allein durch Informationen lassen sich also datengetriebene Geschäftsmodelle aufbauen, Smart Services eben.

Stellten den Abschlussbericht vor (von links): SAP-Vorstand Bernd Leukert, Dirk Hoke, CEO von Siemens Customer Services, Accenture-Geschäftsführer Frank Riemensperger, Staatssekretär Matthias Machnig und Acatech-Präsident Henning Kagermann.
Stellten den Abschlussbericht vor (von links): SAP-Vorstand Bernd Leukert, Dirk Hoke, CEO von Siemens Customer Services, Accenture-Geschäftsführer Frank Riemensperger, Staatssekretär Matthias Machnig und Acatech-Präsident Henning Kagermann.

Der Nutzer im Mittelpunkt

Unter diesem Motto steht auch eine Initiative der Bundesregierung, die etwa gleichzeitig mit Industrie 4.0 lanciert wurde. Mehr als 140 Experten aus unterschiedlichen Bereichen der Politik, Wissenschaft und Industrie, darunter auch die Gewerkschaften, haben dazu einen Bericht mit "Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Internetbasierte Dienste für die Wirtschaft" erarbeitet und veröffentlicht. Unter www.acatech.de/smart-service-welt lässt er sich ab sofort herunterladen.

"Industrie 4.0 und Smart-Service-Welt sind zwei Seiten derselben Medaille", sagte Acatech-Präsident Henning Kagermann anlässlich der offiziellen Vorstellung des Berichts auf der CeBIT. Industrie 4.0 sei bereits eine "starke Marke", decke aber nur die Produktseite ab. Dazu gehöre unbedingt der Gegenpart, der den Nutzer in den Mittelpunkt stelle. Und das sollen die Smart Services tun.

Forderungen an die Politik

In der Langfassung enthält der Bericht eine Reihe von Anwendungsbeispielen, die heute schon in Arbeit sind, so Kagermann. Sie könnten die Basis für "Living Labs" bilden.

Darüber hinaus haben die Experten gemeinsam ein Schichtenmodell für digitale Infrastrukturen entwickelt: Es setzt sich aus innovationsorientierten Rahmenbedingungen, dem digitalen Ökosystem im Unternehmen sowie den Komponenten Smart Talents, Smart Services, Smart Data, Smart Products und Smart Spaces zusammen.

An die Politik adressieren die Smart-Service-Experten eine Reihe von Empfehlungen und Forderungen. Unter anderem plädieren sie für eine "integrierte Forschungs-Roadmap" auf der Basis der definierten Modelle und Plattformen. Vor allem aber halten sie einen europäischen Binnenmarkt für unumgänglich. Und der kann nur auf politischer Ebene geschaffen werden.

Die Position der Politik vertrat in Hannover Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: "Der europäische digitale Binnenmarkt muss kommen", räumte er ein. Dazu gehöre allerdings auch das Schaffen von Vertrauen - vor allem in die Datensicherheit: "Wenn wir das Problem nicht lösen, geht am Ende des Tages überhaupt nichts."

Bernd Leukert, Mitglied des Vorstands der SAP AG, erinnerte daran, dass zu einem Binnenmarkt auch Standards gehören. Dann könnten die kleineren Anbieter ebenfalls mithalten und branchenübergreifende Kooperationen bilden, die wiederum neue Arten der Wertschöpfung hervorbrächten.

Dirk Hoke, CEO Customer Services der Siemens AG, hat den Acatech-Arbeitskreis "Use Cases" geleitet. Auf diese Weise habe er nicht nur eine "Vision" entwickelt, sondern auch Einblick in das erhalten, "was bereits passiert", sagte er. Und das stimmt ihn offenbar optimistisch: "Die Hürden sind gar nicht so hoch". Wenn es den deutschen Unternehmen gelinge, die "Knotenpunkte" des Schichtenmodells zu besetzen, seien sie durchaus in der Lage, "den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken".