Produktivität der IT

Skaleneffekte werden überbewertet

18.06.2009
Von Thomas Gießen

Homogenität durch Standardisierung

Damit sind wir bei einem qualitativen Kriterium, das bei der Fixierung auf den Skaleneffekt meist aus den Augen verloren wird: Homogenität der Infrastruktur, erzielt durch Standardisierung. Wie Compass auf der Basis von etwa 2500 Unternehmensanalysen aus den vergangenen zwei Jahren nachweisen kann, ist die Homogenität einer IT-Umgebung nicht nur eine wichtige Vorausetzung für Skaleneffekte; vielmehr ist sie für die Produktivität sogar wichtiger als der reine Mengenvorteil.

Sehen wir uns doch einmal die Einflussfaktoren an, die zu einem Skaleneffekt führen können:

  • Der erste Faktor kommt im Einkauf zum Tragen: Größere identische Bestellmengen führen in der Regel zu günstigeren Konditionen.

  • Der zweite Faktor betrifft die bessere Ressourcenauslastung, etwa wenn sich eine größere Anzahl von Usern einen Server teilt oder neue Software einmal zu einem Paket geschnürt wird und dann an 40.000 statt 10.000 Geräten ausgerollt wird.

  • Den dritten Faktor stellt das Personal dar: Für Notfälle, Krankheit oder Urlaub müssen die Unternehmen personelle Reserven vorhalten; je größer die Teams, desto günstiger die Relation zwischen den vorhandenen und den aktuell benötigten Mitarbeitern

Und welche Rolle spielt dabei die Standardisierung? Nun, es liegt auf der Hand, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Gerätetypen und Marken die ersten beiden Faktoren direkt negativ beeinflusst: Die identischen Bestellmengen sind kleiner, der Aufwand für den Support ist höher, und wenn beim Rollout die Software statt an 40.000 identische an viermal 10.000 unterschiedliche Geräte verschickt werden muss, ist die Zeit- und Personalinvestition eben auch fast viermal so hoch.

Kleine Unternehmen sind oft produktiver

Inhomogenität der Systeme hat vielfältige Ursachen. Oft ist sie historisch bedingt: Verschiedenen Fachabteilungen haben unterschiedliche Anforderungen, oft "Erbhöfe", spezielle gewachsene Anwendungen verlangen differenzierte Server. Bei einem Großkonzern durften die Anwender aus sage und schreibe 17 verschiedenen "Standard"-Hardware-Konfigurationen wählen. In einem anderen Unternehmen waren 300 verschiedene Desktop-Anwendungen im Einsatz, die ebenfalls als Standard galten. Besonders nach Firmenzusammenschlüssen stellt sich die Infrastruktur in der Regel äußerst heterogen dar; so sind zum Beispiel oft verschiedene Telefonanlagen in Gebrauch, deren Vor-Ort-Service hohe Wegekosten verursacht. Ein Merger, an dem zweimal 10.000 Mitarbeiter beteiligt sind, bedeutet also keineswegs automatisch einen Skaleneffekt; häufig verursachen diese 20.000 Anwender sogar einen - auch relativ - höheren Aufwand als vorher.

Der Skaleneffekt ist somit die Frucht, die ein Unternehmen nur ernten kann, wenn es vorher in Homogenität investiert hat. Doch die Chance auf Homogenität nimmt mit der Unternehmensgröße ab. Das liegt daran, dass sich in Großunternehmen zahlreiche Komplexitätstreiber breit machen: unterschiedliche Sprachen (vor allem bei internationalen Gesellschaften), eine höhere Marken-varianz, verschiedene Gerätetypen (zum Beispiel CAD-System in der hauseigenen Forschungsabteilung), größere Bandbreite bei den Arbeitszeiten, höhere Fertigungstiefe und mehr Anwendungslandschaften. Was den Homogenitätsgrad seiner Infrastruktur betrifft, setzt sich ein Großunternehmen quasi aus mehreren kleinen zusammen. In der Folge weisen kleinere, hochstandardisierte Unternehmen bei gleicher Fertigungstiefe und Prozessreife deutliche Vorteile gegenüber größeren, nur mäßig standardisierten Unternehmen auf.