Simulation - ein Stiefkind kommt langsam aus dem Eck

04.07.1975

Vielleicht liegt es daran, daß die Simulation immer noch im Geruch steht, einerseits zu wissenschaftlich und andererseits zu unexakt zu sein - jedenfalls greifen bis heute viele Anwender noch nicht zu diesem Werkzeug, das für sie von großem Nutzen sein könnte. Zwar bieten fast alle Hersteller auch Simulationssprachen mit den entsprechenden zugehörigen Software-Paketen an, also gibt es wohl auch hinreichend viele Anwender, es scheint jedoch ein schmaler Kreis von immer denselben zu sein, die dieses Instrument nutzen. Was hindert nun so viele potentielle Bedarfsträger daran, die von den Herstellern angebotenen Simulationssprachen - SIMSCRIPT bei CDC, SIAS bei Siemens, GPSS und SIMPL/1 bei IBM - zu verwenden?

Von Dr. Frank D. Peschanel Exklusiv für CW

MÜNCHEN - An und für sich ist Simulation etwas bestechend Einfaches: wenn früher der Generalstab in immer neuen Variationen von Truppenmengen, Aufstellungsformationen und taktischen Verfahren im Sandkasten durchspielte, was wohl in der Realität am günstigsten sei, so betrieb er nichts anderes als eben Simulation.

Das Vorgehen von damals ist dasselbe wie heute, man schafft eine Abbildung des realen Systems (Modell genannt) und experimentiert nun mit diesem Modell, indem man die Abläufe aus der Realität ebenso modellhaft abbildet und durchvariiert. Dieses Spielchen wird so lange fortgesetzt, bis man all die Fragen am Modell beantwortet bekommen hat, die man in der Realität nicht hätte stellen können, weil entweder das Experimentieren zu teuer oder zu gefährlich gewesen wäre (zum Beispiel Zusammenstöße von Flugzeugen im Air-Control-Bereich) oder weil es schlichtweg unmöglich gewesen wäre, die Experimente in natura auszuführen, da das zu untersuchende System sich gerade erst in der Planung befindet.

Wenig Mathematik

An dem Beispiel vom militärischen Sandkastenspiel erkennt man schon, daß die Mathematik keine große Rolle in der Simulation spielt, im Gegensatz zu den sonstigen Methoden des Operations Research, die von ihren mathematischen Anforderungen her im Regelfall den Abschluß eines mathematisch orientierten Hochschulstudiums erfordern. Auch eine andere Eigenschaft der meisten Verfahrensweisen des Operations Research - die schwere Verständlichkeit des Vorgehens durch Nichtfachleute - ist bei der Simulation offensichtlich nicht gegeben. Da man ja immer mit einem Modell der zu untersuchenden Realität arbeitet, begibt man sich nicht in sonderlich mathematische Abstraktionen, sondern bleibt beim konkret Vorstellbaren.

Breite Anwendung

Das Feld der Anwendung der Simulation ist weit. Um nur einiges zu nennen: Lagerhaltung und Materialwirtschaft, Verkehrsströme auf unseren Straßennetzen, das Zusammenspiel von Computer-Peripherie und Zentraleinheit, Job-Scheduling in der Produktion, Jäger-Jäger-Duelle, die Ermittlung optimaler Air-Control im Bereich eines Großflughafens. Ziele der Simulation wären zum Beispiel im Bereich Lagerhaltung und Materialwirtschaft die Synchronisation der Verfahren der Materialdisposition, der verwendeten Lagertechnik und der benutzten Verfahren der Zuführung und Entnahme unter Berücksichtigung einer Fülle von zusätzlichen Gesichtspunkten und Gegebenheiten. Oder bei der Festlegung der Konfiguration einer Rechenanlage: Abstimmung der Software-Organisation und der gespeicherten Daten auf ihren Trägern mit den Kanälen des E/A-Systems sowie der Kernspeichergröße unter den Gesichtspunkten der variierenden Anforderungen in den Schwankungen des Job-Mix. Für letztere Aufgabe wurde zum Beispiel von der IBM ein eigenes Simulationspaket - CSS Computer-Systems-Simulator - entwickelt.

Keine Fehler im Modell

Warum aber ist nun bei den doch offensichtlich vielfältigen Anwendungsgebieten die Verwendung der Simulation auf relativ wenige Anwenderkreise beschränkt? Einen Hinweis enthält vielleicht doch der (unrichtige) Vorwurf, der häufiger in Wissenschaftlerkreisen vorgebracht wird, nämlich daß die Simulation unexakt und unzuverlässig sei. Natürlich kann eine Simulation in ihren Ergebnissen nicht besser und richtiger sein als das zugrunde liegende Modell. Wenn also zum Beispiel in einem Lagerhaltungsmodell vergessen wird, daß die Gabelstapler gelegentlich wegen Schäden ausfallen, wird natürlich das Simulationsergebnis nicht die Probleme abgehandelt haben, die durch solche Schadensfälle auftreten.

Dieses Beispiel mag in seiner Schlichtheit vielleicht lächerlich wirken, aber in der Praxis des Aufstellens von Simulationsmodellen treten solche Fehler in Fülle auf, und es ist häufig sehr schwer, diese Konzeptionslücken des Modells überhaupt zu finden. Gegenüber anderen sog. kommerziellen Programmen sind im Regelfall Logikfehler viel schwerer zu entdecken, da wegen der vielen Zufallsprozesse, die ja für die Simulation charakteristisch sind, die Ergebnisse nur beschränkt auf ihre Richtigkeit oder auch nur Plausibilität geprüft werden können.

Angst vor Statistik?

Um im Rahmen einer Simulation sinnvoll mit den angesprochenen Zufallsverteilungen umgehen zu können, muß man zumindest den Typus der Verteilung kennen. Die Aufbereitung der statistischen Basisdaten erfordert zumindest statistische Grundkenntnisse und eine gewisse Vertrautheit im Umgang mit statistischen Material. Hier liegt sicherlich eine erste Schwierigkeit, die häufig den gedanklichen Zutritt zum Instrument Simulation erschwert oder verbaut hat.

Ein weiteres Problem resultiert aus den Zufallsverteilungen: Es ist häufig recht schwierig abzuschätzen, wieviele Simulationsläufe im Einzelfall durchgeführt werden müssen, damit das erhaltene Ergebnis statistisch vertrauenswürdig ist. Zu geringe Stichprobenumfänge sind oft die Ursache für schiefe oder falsche Ergebnisse.

Studienbewußtes Management

Wenn nun der Eindruck entsteht, daß die Simulation allmählich aus ihrer Abseitsposition herauskommt, so sind dafür wohl vornehmlich zwei Ursachen zu nennen: Das Management auch mittlerer und kleinerer Unternehmen wird zunehmend "studienbewußt", das heißt, es werden umfangreichere Entscheidungsgrundlagen erstellt beziehungsweise in Auftrag gegeben als früher. Zum anderen sind inzwischen jüngere Fachleute mit einer etwas stärker quantitativen, betriebswirtschaftlichen Ausbildung beziehungsweise auch Techniker und Naturwissenschaftler in die Unternehmen eingezogen, so daß auch im mittleren und unteren Management eine verstärkte Aufgeschlossenheit gegenüber dem Lösungsweg Simulation anzutreffen ist.

Hat man sich einmal für eine Simulation entschlossen, so wird man feststellen, daß allein die Lerneffekte bei der Systemanalyse und dem darauf folgenden Modellbau schon eine Fülle von wesentlichen Einsichten bringen. Ist einmal das Simulationsmodell aufgestellt, so ist es keine sonderliche Mühe mehr, das zugehörige Programm zu schreiben. Höchstens bei den z. T. sehr langen Auswerteläufen können wieder Probleme wegen der manchmal hohen Rechenzeitkosten auftreten.

Dr. Frank Perschanell ist leitender Mitarbeiter der GfS, Gesellschaft für Systementwicklung mbH, München/Köln, sowie Lehrbeauftragter an der RWTH Aachen für Simulation und ihre Anwendungen.