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Siemens zieht Konsequenzen nach herbem Verlust im I&C-Geschäft

25.07.2001
Aufgrund der IT-Konjunkturflaute verzeichnete Siemens im dritten Fiskalquartal 2001 einen Verlust nach Steuern von 489 Millionen Euro (ohne Sondereffekte und Infineon). Mit einem Personalwechsel und verschärften Sparmaßnahmen will Konzernchef Heinrich von Pierer Siemens wieder auf Kurs bringen.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - In seinem dritten Fiskalquartal 2001 erwirtschaftete der Elektronikkonzern Siemens AG überraschend einen Verlust nach Steuern (ohne Infineon-Beteiligung und Sondereffekte) von 489 Millionen Euro. Im vergleichbaren Vorjahresquartal lag das Ergebnis noch bei plus 439 Millionen Euro. Analysten waren im Vorfeld uneins darüber gewesen, ob Siemens ins Minus rutschen würde. Übereinstimmung herrschte lediglich darüber, dass die Münchner einen Gewinneinbruch verzeichnen werden. Schuld an den schlechten Zahlen ist vor allem das schwache Mobilfunk- und Netzwerkgeschäft im Arbeitsgebiet Information & Communication (I&C). Siemens konterte mit personellen Konsequenzen und berief Thomas Ganswindt zum neuen Vorsitzenden des Bereichsvorstands ICN (Information and Communication Networks), der auf Netzwerklösungen spezialisierten I&C-Sparte.

Roland Koch, bisher Mitglied des Vorstands der Siemens AG und Vorsitzender des Bereichsvorstands ICN, verlasse "in gegenseitigem Einvernehmen das Unternehmen, um neue persönliche Interessen wahrzunehmen", lautet die offizielle Erklärung des Konzerns. Ganswindt, der bislang Mitglied des Bereichsvorstand Transportation Systems (TS) ist, übernimmt die Leitung der Netzwerksparte zum 1. September 2001.

Im dritten Geschäftsquartal stieg der Umsatz von Siemens ohne Infineon gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 23 Prozent auf 20,27 Milliarden Euro. Der Auftragseingang konnte ebenfalls um 23 Prozent auf 23,15 Milliarden Euro zulegen. Einschließlich der 51-prozentigen Infineon-Beteiligung beliefen sich die Einnahmen auf 21,36 Milliarden Euro, was einem Wachstum von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. Der Auftragseingang kletterte um 13 Prozent auf 23,72 Milliarden Euro. Diese Zahlen beinhalten einen Umsatzanstieg von rund 1,7 Milliarden Euro als Folge der Akquisitionen von SMS, Acuson, Atecs Mannesmann und Efficient Networks, die nach dem Ende des dritten Quartals 2000 erfolgten.

Nur aufgrund der Sondereffekte, darunter unter anderem 3,46 Milliarden Euro aus der Übertragung von Infineon-Aktien an den eigenen Pensionsfonds, konnte Siemens im dritten Geschäftsquartal einen Gewinn nach Steuern von 1,61 Milliarden Euro ausweisen. Im Vorjahresquartal betrug das Plus 267 Millionen Dollar.

In den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres verzeichnete der Münchner Konzern einen Gewinn nach Steuern von 3,19 Milliarden Euro (Vorjahr: 8,3 Milliarden Euro). Der Profit nach Steuern ohne Infineon und Sondereffekte fiel von 1,4 Milliarden Euro im Vorjahreszeitraum auf 652 Millionen Euro. Der Umsatz (ohne Infineon) stieg jedoch von 49,7 auf 58,6 Milliarden Euro.

Die Anleger reagierten am heutigen Mittwoch zunächst enttäuscht: Im morgendlichen Handel sank die Siemens-Aktie zunächst von 56,90 Euro auf unter 55 Euro. Gegen Mittag erholte sich der Kurs wieder auf 57,10 Euro.

Die schwarzen Schafe ICN und ICM

Während einige Geschäftsbereiche wie Power Generation, Medical Solutions und Transportation Systems im abgelaufenen Dreimonatszeitraum deutliche Ergebnisverbesserungen aufwiesen, führten starke Nachfragerückgänge und der zunehmende Preisdruck vor allem im Arbeitsgebiet I&C zu operativen Verlusten, Belastungen und Wertminderungen. Das führte zu einem Gesamt-Ebita (Ergebnis vor Zinsen, Ertragssteuern und Goodwill-Abschreibungen) von minus 479 Millionen Euro (ohne Infineon). Im Vorjahr erzielte Siemens noch ein Plus von 592 Millionen Euro.

Besonders negativ wirkte sich die rückläufige Nachfrage der TK-Netzbetreiber sowie die Konjunkturkrise in den USA auf ICN aus. Die Sparte meldete einen Ebita-Verlust von 563 Millionen Euro. Darin enthalten sind Sonderbelastungen in Höhe von 420 Millionen Euro für Lagerabschreibungen, Kapazitätsanpassungen, Forderungsabschreibungen und Venture-Capital-Beteiligungen, bei denen eine langfristige Wertminderung festgestellt wurde. Der Bereich litt zudem unter Margenrückgängen in einigen Geschäftsfeldern sowie einem negativen Ebita von 74 Millionen Euro bei der Breitband-Tochter Efficient Networks.

Den Umsatz konnte ICN jedoch gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 19 Prozent auf 3,16 Milliarden Euro steigern. Der Auftragseingang lag jedoch mit 2,87 Milliarden Euro in etwa auf Vorjahresniveau.

Mit Kostensparprogrammen will Siemens seine defizitäre ICN-Sparte wieder auf Kurs bringen. "Die im Frühjahr eingeleiteten Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden Euro waren ehrgeizig, reichen aber noch nicht aus", sagte von Pierer. "In den kommenden Wochen werden wir weitergehende Schritte definieren, um dieses Gesamtvolumen auf mindestens zwei Milliarden Euro zu erhöhen." Der Fokus liege dabei auf den weltweiten Fertigungskapazitäten, dem Portfolio und weiteren Kosteneinsparungen.

Auch der I&C-Sektor ICM bekam die Margenerosion und den verschärften Wettbewerb im Mobilfunkmarkt zu spüren. Der Bereich verzeichnete ein negatives Ebita von 511 Millionen Euro einschließlich Sonderbelastungen von 370 Millionen Euro für Abschreibungen auf Lagerbestände, Kapazitätsanpassungen sowie auf die dreiprozentige Beteiligung an dem Finanzsoftwareanbieter Brokat AG. Der Umsatz der Mobilfunksparte stieg allerdings um 34 Prozent auf 2,54 Milliarden Euro, der Auftragseingang legte um zwölf Prozent auf 2,93 Milliarden Euro zu. ICM lieferte rund 5,8 Millionen Mobiltelefone an die Vertriebskanäle der Netzbetreiber ab. Weitere 1,2 Millionen Handys wurden aus den Beständen der Carrier an die Endkunden verkauft.

SBS leidet unter rückläufiger Servicenachfrage

Der dritte I&C-Bereich Siemens Business Services (SBS) meldete zwar mit sieben Millionen Euro ein positives Ebita, erreichte die Gewinnzone jedoch nur aufgrund positiver Sondereffekte. Die Sparte nahm durch den Verkauf ihrer Beteiligung an der SAP-Tochter SAP SI 44 Millionen Euro ein. Dieser Erlös glich Rückstellungen für Verluste bei Outsourcing-Aufträgen (vor allem in Großbritannien) aus. Umsatz und Auftragseingang kletterten im Vorjahresvergleich jeweils von 1,3 auf 1,4 Milliarden Euro. SBS hat Schritte eingeleitet, um seine Kapazitäten der rückläufigen Nachfrage für IT-Dienstleistungen anzupassen. Vor kurzem hatte SBS bereits den Abbau von 2000 Arbeitsplätzen - davon 1600 in Deutschland - bekannt gegeben.

"Operation 2003"

Siemens-Chef von Pierer zeigte sich enttäuscht von den jüngsten Zahlen: "Die Ergebnisse des dritten Quartals sind nicht zufriedenstellend. In den kommenden Wochen werden weitere Korrekturmaßnahmen definiert, vor allem bei Information and Communications. Damit wollen wir trotz der derzeitigen Marktschwächen die Voraussetzungen schaffen, um unsere mittelfristigen Ertragsziele zu erreichen. Die ´Operation 2003´ ist voll im Gang." Durch verschärfte Maßnahmen zur Ergebnissteigerung will Pierer die für 2003 prognostizierte Ebita-Marge von 9,2 Prozent erreichen.

Das Kostensparprogramm umfasst in der Sparte I&C die folgenden Punkte:

IC Networks: Aufstockung des Effizienzprogramms auf mindestens zwei Milliarden Euro.

IC Mobile: Umsetzung des erweiterten Effizienzprogramms vom Mai 2001 für Mobiltelefone mit einem Gesamtvolumen von 0,8 Milliarden Euro; Umsetzung des neuen Programms für mobile Infrastruktur mit einem Gesamtvolumen von mehr als 0,4 Milliarden Euro.

Siemens Business Services: Die Definition eines Restrukturierungsprogramms folgt bis September 2001.