Eine Milliarde Euro für die globale Vernetzung

Siemens will "E-driven Company" werden

13.10.2000
MÜCNHEN (tc) - Der Münchner Siemens-Konzern, von Kritikern gern als "Bank mit anhängender Elektro-(tech)nikproduktion" geschmäht, macht sich auf zu neuen Ufern: Das Unternehmen will binnen kurzer Zeit zur "E-driven Company" werden und bereits in zwei bis drei Jahren 50 Prozent des bestehenden Consumer-orientierten Geschäfts über das Internet abwickeln. Derzeit liegt etwa der elektronisch abgewickelte Anteil des Einkaufsvolumens von rund 35 Milliarden Euro bei lediglich zehn Prozent.

Zu diesem Zweck hat das Unternehmen - wie bereits im vergangenen April auf der Halbjahrespressekonferenz in Toulouse angekündigt - das "Center of E-Excellence" etabliert, ein interdisziplinäres Team, das direkt an den Vorstand berichtet. Dieses hat für den Konzern einen Masterplan für den Wandel zur E-Company entworfen. Das Center soll sämtliche geschäftlichen Aktivitäten rund um Electronic Business koordinieren, forcieren und in ein globales Netz für die rund 440000 Mitarbeiter des Konzerns in 190 Ländern integrieren.

"Leiter der Zentralstelle E-Business" ist Albert Goller. Er proklamiert einen Wandel des Konzern getreu dem Mantra "Transform, Create, Sell". Zunächst gelte es, die bestehenden Geschäftsprozesse auf eine E-Business-Plattform zu überführen und damit produktiver zu werden. Danach müsse man innovative Lösungen und neue Geschäftsmodelle "auf E-Basis" entwickeln, um schließlich im dritten Schritt die E-Business-Lösungen im Markt anzubieten, das Leistungsspektrum zu erweitern und auf diese Weise zu wachsen.

Analog zum Münchner Thinktank etabliert Siemens zwei weitere Zentren - eines in Atlanta, Georgia, unter Leitung des bisherigen Osram-President Anthony Pucillo, und ein weiteres in Singapur.

Für den radikalen Wandel hat Siemens zunächst Investitionen von rund einer Milliarde Euro vorgesehen. In gleichem Umfang sollen die Kosten gesenkt und das Unternehmen "noch schneller, kundennäher und effizienter" werden.

Bei der Umsetzung und Implementierung von Lösungen ist Geschwindigkeit Trumpf - Perfektion steht erst an zweiter Stelle. Vorstandschef Heinrich von Pierer bezeichnete den gegenwärtigen Zustand bei der offiziellen Einweihung des Centers am Münchner Flughafen offenherzig als "größte E-Business-Baustelle der Welt" mit dem erklärten Ziel, "New Economy mit Substanz" zu schaffen. Alle Prozesse, vom Einkauf bis zur Vermarktung, von der Entwicklung bis zum Controlling, sollen künftig elektronisch ablaufen, so von Pierer.

Man wolle über die "klassischen" Anwendungen wie elektronisches Beschaffungswesen (E-Procurement) und Online-Verkäufe hinausgehen, erklärte der Konzernchef. Mit - unter anderem - E-Learning, E-Recruitment und E-Logistics soll die gesamte Wertschöpfungskette elektronisch abgebildet werden. "Alle Prozesse werden sich ändern - schnell und kompromisslos", prophezeite von Pierer. Mit dem hohen Bekanntheitsgrad der Marke Siemens und einem der größten menschlichen Netzwerke der Welt sieht der Manager sein Unternehmen bestens aufgestellt.

Auf SBS kommt einiges zuGegenwärtig seien zirka 70 Prozent aller Siemens-Aktivitäten elektronisch vernetzt. Die bereits bestehenden Einzellösungen sollen mittelfristig durchgängig in ein Gesamtsystem überführt werden. Für die Umstellung der internen und externen Geschäftsprozesse zeichnet die Konzerntochter Siemens Business Services (SBS) verantwortlich. Ihr obliegt es unter anderem, die Anzahl der Geschäftsprozesse "erheblich zu reduzieren". Als technische Plattform hat sich Siemens in Sachen Supply-Chain-Management (SCM) für die E-Business-Lösungen von I2 entschieden. Ein entsprechender Rahmenvertrag zwischen beiden Unternehmen wurde dazu unterzeichnet. Beim Aufbau elektronischer Marktplätze verlässt man sich auf die Software-Infrastruktur von Commerce One.

Alles andere als eine einfache Aufgabe, die da auf Friedrich Fröschl zukommt, den Vorsitzenden der SBS-Geschäftsführung. Der allerdings gibt sich optimistisch: "Siemens zum E-Outperformer umzugestalten ist das spannendste und vielseitigste Projekt für SBS. Wir werden unter Beweis stellen, dass wir dafür die besten Ressourcen und Kompetenzen haben."

Von der totalen Vernetzung sollen natürlich auch die Mitarbeiter profitieren, eine "Zweiteilung in E-People und andere" werde es nicht geben. Von Pierer versprach jedem der 440000 Siemensianer weltweit binnen Jahresfrist Zugang zum Internet. Statt eines ambitionierten Mitarbeiter-PC-Programms, wie es diverse US-Firmen oder der Gütersloher Medienriese Bertelsmann nicht ganz uneigennützig gestartet haben, setzt der Konzern auf eine "kleine Lösung" und installiert beispielsweise in seinen Fertigungsstätten Informations-Terminals, an denen sich die Mitarbeiter ins Intra- und Internet einwählen können. Im Gegenzug möchte man - Stichwort "Knowledge-Management" - natürlich auch vom Wissen der Belegschaft profitieren. Dazu setzt man weiterhin auf die globale Wissensdatenbank "Sharenet". "Künftig gilt: Siemens weiß, was Siemens weiß", proklamierte von Pierer.

Einen weiteren Innovationsschub verspricht sich der Konzern von der Einbeziehung junger Startup-Firmen. Siemens will sich dabei als "Inkubator" betätigen und Zugang zu seinem globalen Netzwerk sowie Hilfestellung in der kritischen Startphase gewähren. Im Gegenzug hofft man, von dynamischer Unternehmenskultur, Know-how und innovativen Geschäftsideen zu profitieren.