Vorstandsmitglied Dr. Claus Kessler äußerte sich zur Betriebssystempolitik des Münchner Konzerns

Siemens will aus BS2000 kein MVS machen

18.06.1982

MÜNCHEN - Die neue Schnittstellen-Politik der Siemens AG hat sowohl unter den Mainframe-Mitbewerbern des Münchner Elektrokonzerns als auch unter den Anwendern heftige Diskussionen ausgelöst. Angeheizt wurden diese noch, nachdem in der lsarmetropole Realisierungsprobleme bei der 370-Anpassung bekanntwurden. Auf einer internationalen Benutzertagung im italienischen Stresa legte der Vorstandsvorsitzende und Leiter des Unternehmensbereiches Dr. Claus Kessler jetzt die BS2000-Karten auf den Tisch. Die COMPUTERWOCHE bringt Auszüge aus dem Kessler-Referat.

Für Hersteller und Anwender ist weltweit ein zunehmender Trend zur Verwendung von Standard-Schnittstellen festzustellen. Die einzelnen Standards kommen dabei entweder über eine verabschiedete Norm oder über die Empfehlungen/Vorschriften entsprechend starker Gruppen (z.B. CCITT, Behörden) oder auch über die Verbreitung einer Schnittstelle im Markt zustande.

Wir sind überzeugt, daß sich dieser Trend fortsetzen wird und daß als Folge davon der Wettbewerb der großen Hersteller zunehmend im Rahmen standardisierter Techniken stattfinden wird.

Anpassung an BS2000

Wir sind entschlossen, unsere Entwicklungen überall dort, wo es sinnvoll möglich ist, auf die entsprechenden Welt-Standards auszurichten. Dabei werden wir immer sehr sorgfältig prüfen, welches der jeweils für

unsere Systeme beste Standard ist.

Wir haben in der Systemfamilie 7.500 mit dem BS2000 bereits eine Anzahl von wichtigen Standards; zu diesen gehören vor allem Programmiersprachen, Datenbank- und Transaktions-Schnittstellen und Kommunikationsprotokolle. Wir haben uns darüber hinaus zur Ausrichtung auf weitere Welt-Standards entschlossen. Dazu gehört, daß wir für aie Zentraleinheiten den Kanaltyp 370 einfuhren werden und unter dem BS2000 die Verwendung von Zentraleinheiten mit der Befehlsliste und Kanälen vom Typ 370 ermöglichen werden.

Die Einführung dieser Befehlsliste erfordert eine Anpassung des BS2000; dazu einige Ausführungen:

Der anwendersichtbare Teil unserer Befehlsliste war bisher immer schon fast identisch zum entsprechenden Teil der 370-Befehlsliste; hier ist der Übergang unproblematisch. Die Unterschiede zwischen beiden Befehlslisten liegen in dem Teil, der nur vom Betriebssystem verwendet wird. Das BS2000 muß in der Verwendung dieses "privilegierten" Teils der Befehlsliste so modifiziert werden, daß es beide Varianten gleich gut bedienen kann. Dies ist eine gut überschaubare technische Maßnahme und - das ist besonders wichtig - sie bleibt an den Benutzer-Schnittstellen des BS2000 unsichtbar. Das heißt, der Anwender sieht die Befehlslisten-Varianten nicht.

370-Möglichkeiten nutzen

Wir werden diese Anpassung des BS2000 bis Ende 1985 durchfuhren und bis dahin auch den Kanaltyp 370 an den Zentraleinheiten der Serie 7.500 und unter dem BS2000 zur Verfügung haben.

Mit diesen beiden Maßnahmen gewinnen wir die Zukaufsmöglichkeit von 370-kompatiblen Zentraleinheiten und Peripherie-Subsystemen für das BS2000, und wir werden diese Möglichkeit nutzen, um den Leistungsbereich unter dem BS2000 durch Hereinnahme einer Zentraleinheit von Fujitsu um einen guten Faktor 3 gegenüber unserer Zentraleinheit 7.571 zu erweitern.

Zu den einzuführenden Standards gehören auch bestimmte Sätze von Kommunikationsprotokollen, nämlich solcher, die im Rahmen des ISO-Schichtenmodells unter "Level 5,6,7" als sogenannte "höhere Protokolle" aufgeführt sind.

Dabei gelten für uns folgende Prinzipien:

An den etablierten Transdata-Transport-Protokollen (bis ISO Level 4 einschließlich) werden wir festhalten. Für die darüber liegenden, anwendungsorientierten Schichten wird es jedoch mehrere Standards geben, die wir bedienen werden. Zu den Kandidaten gehören der CCITT-Standard für Teletex und der für Bildschirmtext im Entstehen befindliche Standard. Wir werden diese und weitere zukünftige Standards, die den öffentlichen Kommunikationsdiensten zugehören, vorrangig bedienen.

Daneben gibt es aber auch höhere Protokolle im Rahmen von SNA, die einen De-facto-Standard bilden. Dazu gehören Terminal-, RJE-, Cluster- und Host-Host-Protokolle. Wir haben uns entschlossen, uns auf die wichtigsten davon auszurichten.

Transdata mit SNA gekoppelt

Mit der Einführung dieser Protokolle öffnen wir unsere Transdata-Netze zur Kopplung mit SNA-Netzen. Gleichzeitig bekommen wir damit die Basis für einen Rechnerverbund zwischen BS2000- und BS3000-Konfigurationen.

Ich skizziere jetzt die wichtigsten mittelfristigen Entwicklungsziele für die Systemfamilie 7.500, mit dem BS2000, die über die Einführung de genannten Schnittstellen-Standards hinausgehen.

Ich beginne mit den Zentraleinheiten der Serie 7.500. Als erstes möchte ich feststellen, daß unsere beiden neuen Zentraleinheiten mit den Codenamen Iltis und Tiger, die eine neue Technologie-Generation bilden und aus denen wir die Modelle 7.536, 7.54l, 7.551, 7.561 und 7.571 ableiten, fertig entwickelt und erprobt sind. Die kleinere kam pünktlich und wird heute aus Serie geliefert; die große, der Tiger, hatte anfänglich Probleme, sie läuft aber heute zufriedenstellend und wird ab Juni 82 aus Serie geliefert werden; in ihrer Ausprägung 7.571 erbringt sie die volle angekündigte Leistung.

Wir werden auf diesen beiden Anlagen aufsetzend wiederum eine Familie von neuen Zentraleinheiten entwickeln und dabei den weiteren Technologiefortschritt für eine angemessene Leistungserhöhung benutzen. Die Arbeiten zum größten Rechner dieser Familie wurden aufgenommen.

Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Struktur des BS2000 noch eine Antwort auf eine sehr oft an uns gestellte Frage geben.

Die Frage ist: Ist denn das BS2000 überhaupt geeignet auf immer größere Rechner gebracht zu werden? Diese Frage birgt mehrere Aspekte.

Der eine ist der Vergleich mit den Funktionen des MVS. Auf diese Frage gehe ich gleich anschließend ein.

Ein anderer ist das Verhalten des BS2000 auf schnellen Rechnern hinsichtlich der prinzipiellen Nutzbarkeit der zur Verfügung stehenden Hardwareleistung durch den Anwender.

Detail-Probleme überschaubar

Hierauf lautet unsere Antwort: Es ist uns kein prinzipieller Hinderungsgrund bekannt. Wir können dies für Leistungen größer als 4 MOPS heute nicht beweisen, aber es gibt da für die Untermauerung einige Plausibilitäten. Dazu gehört, daß das BS2000, genauso wie das MVS und das BS3000 , ein Betriebssysstem mit multiplen virtuellen Adreßräumen ist, in denen jeweils gegeneinander abgeschirmte Prozesse laufen, die miteinander kommunizieren können und über denen Aufträge mit Batch und Realzeitverhalten organisiert werden können. Und es ist genau dieses grundlegende Konzept - es wurde übrigens mit dem BS2000 durchaus vor dem MVS aus der Taufe gehoben - dessen Tragfähigkeit auf verfügbaren Rechnern bis 15 MOPS (BS3000 auf 7.890) und in Simulations-Untersuchungen bis hinauf zu sehr großen Leistungen erhärtet worden ist. Natürlich gibt es in diesem Rahmen für größere Anlagen eine Menge Detailarbeit (insbesondere in der Speicherverwaltung, der Prozeßverwaltung und der Dateiverwaltung), dies ist jedoch überschaubar.

Ich möchte nun, das BS2000-Thema abschließend, auch auf den funktionellen Vergleich mit dem BS3000 (und damit zum MVS) und damit auch auf die Abgrenzung der beiden Betriebssysteme eingehen.

Vergleichbare Strukturen

Unsere übergeordnete Position dazu ist: BS2000 bleibt BS2000-kompatibel, BS3000 bleibt MVS-kompatibel. Beide Betriebssysteme haben zwar, wie eben erläutert, eine vergleichbare Grundstruktur, doch haben sie in diesem Rahmen auch eine Reihe deutlicher Unterschiede.

Dazu gehört wesentlich, daß das BS2000 für vergleichbare Funktionen deutlich schmälere Benutzer-Schnittstellen bietet als das BS3000 und das MVS. Es ist dies eine den Charakter des Betriebssystems prägende Eigenschaft, die dazu führt, daß - wieder für vergleichbare Funktionen - die Code-Mengen des BS2000 deutlich kleiner sind; seine kleinste, sinnvoll bedienbare Anlagenkonfiguration ist ebenfalls ein gutes Stück unter der des BS3000. Das BS2000 ist aus dem gleichen Grund auch einfacher zu bedienen und die Operating-Kosten sind entsprechend geringer.

Natürlich bieten die breiten Schnittstellen des BS3000 oder MVS auch mehr Möglichkeiten, der Anwender möge aber bitte prüfen, ob er diese auch braucht. Man kann jetzt im Vergleich ins Detail gehen; lassen Sie es mich jedoch auf einen einfachen Nenner bringen:

BS2000 wird kein MVS

Das BS3000 bleibt das MVS-kompatible Betriebssystem mit den breiten Schnittstellen und seinen vielfältigen Möglichkeiten, insbesondere für sehr große Rechner in Rechenzentren mit breitem Produktionsspektrum. Das BS2000 bleibt das deutlich kleinere, einfacher zu bedienende aber für Vergleichbares durchaus zu BS3000/MVS konkurrenzfähige System.

Wir werden das BS2000 im Rahmen von TRANSDATA zu einem modernen Transaktions- und Verbundsystem weiter ausbauen.