Verbundforschung für Industrie 4.0

Siemens ruft Campus Automatisierung und Digitalisierung ins Leben

16.07.2014
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Aus eins und eins und eins mehr als drei machen – das will Wolfgang Heuring, Forschungschef des Siemens-Konzerns, mit einem neu gegründeten Forschungsverbund erreichen. Der „Campus Automatisierung und Digitalisierung“ soll sich Themen im Industrie-4.0-Umfeld widmen.

Lauter erstklassige Adressen sind das, die Heuring auf der Liste seiner Mitstreiter vereint: Nicht nur die Technische Universität München (TUM), sondern auch die benachbarte Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), dazu das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und das Fraunhofer-Institut für angewandte und integrierte Sicherheit (Aisec) haben am gestrigen Dienstagabend die Absicht bekundet, zusammen eine Technologiebasis für Themen wie Automatisierung, Internet der Dinge, Cloud-Lösungen, IT-Sicherheit und Smart Data zu schaffen - und darüber hinaus schnell vermarktbare Produkte zu entwickeln.

Das will Siemens sich auch etwas kosten lassen. Eigenen Angaben zufolge wird der Technologiekonzern innerhalb von drei Jahren einen "zweistelligen Millionen-Euro-Betrag" in das Vorhaben investieren. Allerdings hofft Klaus Helmrich, Chief Technology Officer der Siemens AG, auch auf "gute Unterstützung" der Bayrischen Landesregierung. Die will in einer Kabinettsklausur am kommenden Wochenende über die Finanzierung der Initiative "Digitales Bayern" beraten.

Nach der Unterzeichnung des Memorandum of Understanding (von links): Siemens-CTO Klaus Helmrich, Forschungschef Wolfgang Heuring, LMU-Präsident Bernd Huber, Aisec-Leiterin Claudia Eckert, TUM-Präsident Wolfgang Herrmann und DFKI-Geschäftsführer Walter Olthoff.
Nach der Unterzeichnung des Memorandum of Understanding (von links): Siemens-CTO Klaus Helmrich, Forschungschef Wolfgang Heuring, LMU-Präsident Bernd Huber, Aisec-Leiterin Claudia Eckert, TUM-Präsident Wolfgang Herrmann und DFKI-Geschäftsführer Walter Olthoff.

Mit Ausnahme der DFKI haben alle Campus-Teilnehmer ihren Hauptsitz in oder bei München. Die KI-Forscher hingegen betreiben ihr Praxislabor "Smart Factory" seit 2005 in Kaiserslautern. Dazu der kaufmännische Geschäftsführer Walter Olthoff: "Die DFKI hat die Grundlagen für Industrie 4.0 mitgeprägt. Wir sind überzeugt davon, dass der Campus-Verbund wertvolle Beiträge zur Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, für die Analyse großer Datenmengen und hinsichtlich einer sicheren Funkkommunikation leisten wird."

Big Data for Security

IT-Sicherheit wird schon deshalb einer der Forschungsschwerpunkte sein, weil mit ihr die Akzeptanz der künftigen Nutzer steht und fällt. "Es geht um die Gestaltung der Zukunftsfelder von morgen", konstatierte die Leiterin des Aisec, Claudia Eckert. Zu diesen Feldern zählt die Sicherheitsexpertin beispielsweise Smart Energy, Healthcare und Mobility "Was passiert, wenn diese Daten nicht vertrauenswürdig verarbeitet werden?" So ihre rhetorische Frage. Und gleich darauf die Antwort: "Wir müssen darauf vertrauen können, dass diese Daten und Systeme manipulationssicher sind." En passant warf sie die Idee in den Raum, Big-Data-Anwendungen - oder konkret: Predictive Analysis - für die Security zu nutzen, um bei Bedrohungen früher eingreifen zu können.

Mit Wolfgang Herrmann, dem Leiter der TU München, ist sich Eckert einig, dass die Ingenieure künftig aktiver am gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen müssen. "Die Digitalisierung ruft tiefgreifende Veränderungen in allen Lebensbereichen hervor", so der TUM-Präsident, "umso wichtiger ist es, dass wir uns mit diesem Phänomen auf Seiten der Wissenschaft und Wirtschaft auseinandersetzen. In diesem Kontext werden Ingenieure zu entscheidenden Akteuren des gesellschaftlichen Lebens."

Er freue sich, dass Siemens die Initiative ergriffen habe, sagt Herrmann, und konnte sich doch einen kleinen Seitenhieb auf die Vergangenheit des Konzerns nicht verkneifen: "Am Beispiel Siemens lernen wir auch, wie schnell sich Organisationen heute verändern müssen."

Budget für drei Jahre gesichert

Für seinen Amtskollegen von der LMU, Bernd Huber, sind Partnerschaften mit der Industrie "keineswegs alltäglich", wie er selbst einräumt. Dieser Campus sei jedoch eine "Herausforderung", die er annehmen wolle - zumal das Budget dafür ja wohl gesichert sei. Die LMU werde im Rahmen dieser Kooperation "dazu beitragen, Innovationen voranzubringen und Potenziale für wegweisende Zukunftstechnologien zu identifizieren".

In einem ersten Schritt plant der Forschungsverbund beispielsweise die Entwicklung autonomer Roboter, die in künftigen hochflexiblen Fabriken eng mit Menschen interagieren können. Ein anderes hoch priorisiertes Thema sind Algorithmen zur Smart-Data-Analyse, wie sie für intelligente Energienetze, Industrieautomatisierung oder Healthcare-Systeme benötigt werden. Einen weiteren Schwerpunkt sollen "sich selbst verwaltende, konfigurierende, optimierende, heilende und schützende Cloud-Services" bilden.

Der Campus ist offen für weitere Partner. Geplant sind zudem umfangreiche Doktoranden- und Post-Doktoranden-Programme.