Siemens-Nixdorf AG: Ein Unternehmen am Scheideweg

21.01.1994

Im Januar 1990 verkuendete die Siemens AG voller Stolz, dass sie den Konzernbereich Daten- und Informationstechnik mit der Nixdorf Computer AG verschmelzen werde. Die Muenchner kauften grosse Teile der Nixdorf-Stammaktien, brachten ihr DV-Geschaeft als Sacheinlage ein und hielten damit in der Folge rund 90 Prozent des Nixdorf- Kapitals.

Damals wurde das Konglomerat, das den Namen Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG tragen wuerde, mit Vorschusslorbeeren ueberschuettet. Den meisten Beobachtern schien die Existenz von Nixdorf gesichert, das Erreichen der Gewinnzone - trotz des aufgelaufenen Verlustes von einer Milliarde Mark - nur eine Frage von ein, hoechstens zwei Geschaeftsjahren. Bei einem addierten Umsatz von zwoelf Milliarden Mark sei durch die Fusion, so jubelten sie, mit einem Schlag Europas groesster DV-Hersteller entstanden.

Ein Wirtschaftsgutachten, das unter anderem als Grundlage fuer die Bewertung der beiden Unternehmensteile herangezogen worden war, ging beispielsweise davon aus, dass sich die Einnahmen des neuen DV-Konzerns bis 1994 auf 18 Milliarden Mark belaufen wuerden. Die Experten waren sich sicher, dass bis dahin ausserdem ein vorsteuerlicher Gewinn von ueber 1,3 Milliarden Mark zu erwarten sei.

Im Februar 1990, noch vor der SNI-Gruendung im Oktober, fuehrte die CW ein Interview mit Hans-Dieter Wiedig, damals noch Vorsitzender des Bereichsvorstandes Daten und Informationstechnik (DI) der Siemens AG. Angesteckt von der allgemeinen Euphorie, sah Wiedig in erster Linie die Chancen der Fusion: "Hier gibt es die Moeglichkeit, in eine andere Dimension zu kommen mit dem Datenverarbeitungsgeschaeft und damit letzten Endes auch fuer Europa eine Perspektive wieder aufzumachen - das wird durchgehend positiv gesehen."

Die Beseitigung der Schwierigkeiten, die fuer das neue Unternehmen aus der hohen Mitarbeiterzahl erwachsen wuerden, schob er auf das damals noch existente Nixdorf-Management ab: "Dass Nixdorf mit der Beseitigung der Menschen, die zuviel da sind, natuerlich im Moment Riesenschwierigkeiten hat, ist eine andere Frage."

Im uebrigen versprach er den Anwendern Kontinuitaet: "Es wird keine Brueche geben. Wir versuchen natuerlich, nicht in der Parallele weiterzuarbeiten, sondern das auf die gemeinsamen Linien hinzufuehren. Und die offenen Systeme - das ist ja einer der wesentlichen Gruende, warum wir das getan haben - bieten genau die Basis dafuer."

Viele Worte, denen so bald keine Taten folgten. Schon am Ende des Geschaeftsjahres 1991/92 weigerte sich Wiedig, Angaben darueber zu machen, wann das Unternehmen wieder schwarze Zahlen schreiben werde. Im Jahr zuvor hatte er noch angekuendigt, dass der Verlust von 781 Millionen Mark nach Ablauf des zweiten vollen SNI- Geschaeftsjahres um die Haelfte auf 400 Millionen Mark reduziert werden koenne.

Noch im August 1992 hatte SNI kaum eigenes Profil entwickelt und konnte weder mit einer um Altlasten befreiten Produktpalette im Hardwarebereich noch mit einem durchgaengigen Softwarekonzept aufwarten. Das Unternehmen hing durch die zum 1. April 1992 vorgenommene Rueckfuehrung unter das Dach der Siemens AG mehr denn je am Finanztropf des Mutterkonzerns. Bis dahin hatte es die Fuehrungsmannschaft nicht geschafft, eine langfristige Strategie zu entwickeln.

Auch der kurz vor seiner Inthronisierung zum Siemens-Boss stehende Heinrich von Pierer schien unschluessig. Er bezeichnete SNI als einen der "dicken Kloetze", die Siemens am Bein habe. Angesichts haerterer Konkurrenz koenne der Konzern "Verlustgeschaefte nicht ewig weiterfuehren". Danach kuendigte Wiedig ein weiteres Massnahmenpaket an, das die Situation von SNI verbessern sollte. Kernpunkt des Programms war ein weiterer Stellenabbau um 6000 Mitarbeiter. Klar war zu diesem Zeitpunkt, dass das Unternehmen auch im zweiten Geschaeftsjahr erhebliche Verluste wuerde hinnehmen muessen (siehe Tabelle).

Im Februar 1993, Heinrich von Pierer war gerade vier Monate im Amt, sorgte ein Interview im "Wall Street Journal Europe" fuer Aufregung. In der Ausgabe vom 26. Februar berichtete das Blatt unter Berufung auf von Pierer, dass Siemens fuer den verlustgeplagten Computerbereich SNI einen "strategischen Partner" suche. Zwar bestritt die Pressestelle der Muenchner in einer "Klarstellung" sofort, dass ihr Chef "Aussagen in diese Richtung" gemacht habe, aber die Unsicherheit ueber das kuenftige Schicksal von SNI konnte durch das Dementi nicht mehr aus der Welt geschafft werden.

Zum 1. April des vergangenen Jahres ging SNI nochmals in die Offensive und gab sich eine neue Unternehmensstruktur. Seitdem teilt sich die Siemens-Tochter in neun Business- und vier System- Units sowie in vier Divisionen. Neben den zentralen Funktionen wie Personal, Finanzen und Controlling wurde ausserdem noch der nach Regionen unterteilte Vertrieb einbezogen. Darueber gestuelpt wurde das sogenannte Account-Management, das die Schnittstelle zum Kunden bilden soll.

Seit Beginn des Geschaeftsjahres 1993/94 kuemmert sich Robert Hoogstraten um die Vertriebsbelange des Unternehmens. Er ersetzt die bis dahin fuer den Bereich zustaendigen SNI-Topmanager Heinz- Dieter Wendorff und Otto-Herman Grueneberg.

Inwiefern der Wiedig-Nachfolger Gerhard Schulmeyer neue Akzente setzen und die Abwanderung der Kaeufer zu anderen Herstellern stoppen kann, bleibt abzuwarten. Bis er das SNI-Steuer im Oktober 1994 in die Hand nehmen darf, muss die Siemens-Tochter noch fast drei Geschaeftsquartale ueberstehen.

Sicher ist jedenfalls, dass sich Schulmeyer den Siemens-Plaenen beugen muss. Im Zentralvorstand des Muenchner Elektrokonzerns ist er naemlich vorerst nicht vertreten. ciw